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Fluchtmethode für Fortgeschrittene

Schaben gelten als Meister der Flucht: Kaum hat man sie entdeckt, sind sie im nächsten Augenblick schon verschwunden. Das Fluchtprinzip der quirligen Krabbler haben US-Forscher untersucht und auf einen Roboter übertragen.

Von Michael Stang | 11.06.2012
    Amerikanische Großschaben sind wahre Klettermeister. Wie diese Fluginsekten ihre Antennen beim Klettern einsetzen, um einen Spalt vor sich zu erkennen und zu überwinden, wollte Robert Full herausfinden. In seinem Labor an der Universität von Kalifornien in Berkeley ließ der Biologe eins seiner Tierchen über eine Versuchsrampe mit zahlreichen Spalten laufen.

    "Wir hatten uns ja für ein sehr athletisches Tier entschieden. Deshalb mussten wir die Bewegungen der Schabe mit einer Hochgeschwindigkeitskamera filmen. Zu unserer Überraschung sahen wir, dass sie blitzschnell verschwand. Sie hatte sich wie ein Pendel kopfübereine Kante herunter geschwungen. Auch Geckos machen dies – in gerade einmal einer hundertstel Millisekunde - das ist schneller als die Reaktionsfähigkeit eines Menschen."

    Erst als sich Robert Full die Filme in Zeitlupe anschaute verstand er allmählich das Prinzip. Sowohl Geckos (Video-Datei) als auch Schaben rennen mit hoher Geschwindigkeit auf eine Kante zu, fallen aber nicht hinunter, da sie sich mit den Hinterbeinen an der Oberfläche festkrallen und sich dann nach unten schwingen.

    "Um dieses Verhalten zu verstehen mussten wir es im Detail analysieren. Dabei sahen wir, wie unglaublich agil diese kleinen Tiere sind. Sie sind in der Lage, 75 Prozent ihrer Fortbewegungsenergie in den Schwung zu legen, bei dem sie wie ein Pendel die Kante überwinden. Diese Pendelbewegung ist aber nicht langsam, sondern erfolgt wie ein Stoß und das ist der Grund, warum das so schnell geht."

    Bei dieser Rotation wirken Kräfte von bis zu 5G, also der fünffachen Erdbeschleunigung. Das sei ungefähr so viel wie die Kraft, die bei einem Bungeesprung auf den menschlichen Körper wirkt, wenn sich das Seil spannt, so Robert Full. Bei dieser Rotation um die Kante herum erreichen die winzigen Tiere eine Geschwindigkeit von rund einem Meter pro Sekunde. Um zu testen, wie genau sich die Schaben festkrallen, haben die kalifornischen Wissenschaftler die Klauen bei den Tieren entfernt. Danach konnten sich die Insekten nicht mehr festhalten und stürzten ab (Video-Datei). Ohne die Krallen konnten selbst die Haftscheiben an den Füßen den enormen Fliehkräften nicht widerstehen.

    "Wir haben dann als physisches Modell einen kleinen Roboter gebaut, den wir DASH genannt haben. Wir haben ihn so programmiert, dass dieser Sechsbeiner kleine Rotationen machen konnte und haben uns so Stück für Stück an diesen pendelartigen Bewegungsmechanismus herangetastet."

    Mithilfe von Klett-Haftstreifen konnte sich der Roboter ähnlich wie Schabe oder ein Gecko um eine Kante (Video-Datei) herum schwingen und dann an der Unterseite der Rampe weiterlaufen. Robert Full sieht seine Arbeit aber nicht nur als Grundlagenforschung an, um Fluchtmechanismen im Tierreich zu verstehen, sondern er sieht dies eher als Wegbereiter für zukünftige Anwendungen.

    "Wenn wir Notfall- und Rettungsroboter konstruieren wollen, die etwa nach einem Erbbeben, einem Tornado oder einer Explosion aufklären und helfen können, müssen wir diese agilen Bewegungsmechanismen verstehen. Wenn Roboter giftige Chemikalien oder nukleare Gefahren detektieren können sollen, dann brauchen wir Roboter, die sich wie diese Tiere bewegen können."

    Denn heutige Roboter können bislang entweder nur schnell rennen oder gut klettern, beides zusammen ist bisher noch nicht möglich.