Samstag, 20. April 2024

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Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt
"Wir brauchen diese Leute"

Der Unternehmer Gottfried Härle begrüßt die Debatte um ein Bleiberecht für abgelehnte, aber gut integrierte Asylbewerber. Wenn die bei ihm beschäftigten Flüchtlinge abgeschoben würden, wäre das ein wirtschaftliches Problem, sagte Härle im Dlf. Wer seinen Lebensunterhalt verdiene, solle bleiben dürfen.

Gottfried Härle im Gespräch mit Stefan Heinlein | 24.08.2018
    Gottfried Härle, Geschäftsführer der Brauerei Clemens Härle in Leutkirch, spricht während eines Rundgangs vor dem historischen Brauereigebäude, das sein Großvater gebaut hat.
    Unternehmer Gottfried Härle wirbt für pragmatische Lösungen in der Asylpolitik (dpa)
    Stefan Heinlein: Abgelehnte Asylbewerber sollen bei uns in Deutschland bleiben dürfen, wenn sie gut integriert sind und einen festen Job oder eine Ausbildung haben. Das ist leicht abgekürzt der Vorschlag von Daniel Günther, dem Ministerpräsidenten in Schleswig-Holstein. Ein Vorschlag, der bei seinen Parteifreunden von der Union nur wenig Beifall findet. Der Koalitionspartner, die SPD will dagegen für einen "Spurwechsel" kämpfen, und auch bei Unternehmen und Verbänden gibt es durchaus Sympathie für den Vorschlag aus Kiel. Im Südwesten, in Baden-Württemberg gibt es bereits eine breit aufgestellte Unternehmensinitiative, die sich für ein dauerhaftes Bleiberecht gut integrierter Flüchtlinge einsetzt.
    Am Telefon im schönen Allgäu, in Leutkirch begrüße ich jetzt Gottfried Härle. Er ist Inhaber der gleichnamigen Traditionsbrauerei und Mitbegründer der Unternehmensinitiative "Bleiberecht". Grüß Gott, Herr Härle!
    Gottfried Härle: Guten Morgen, Herr Heinlein.
    Heinlein: Wie viele Flüchtlinge schaffen bei Ihnen in Ihrer Brauerei?
    Heinlein: In unserer Brauerei arbeiten aktuell fünf Geflüchtete. Das sind drei Gambier, ein Syrer und ein junger Mann aus dem Irak. Das sind mehr als 15 Prozent unserer gesamten Belegschaft.
    "Insgesamt sehr gute Erfahrungen"
    Heinlein: Haben sich die Flüchtlinge bei Ihnen beworben, oder haben Sie als Unternehmer, als Inhaber dieser Brauerei aktiv gesucht?
    Härle: Na gut. Den ersten Gambier beschäftigen wir bereits seit über dreieinhalb Jahren. Das war im April 2015, als er zu uns gekommen ist. Wir hatten damals akuten Mangel im Bereich der Leergutsortierung und es waren damals schon zirka 30, 40 junge Afrikaner, geflüchtete Afrikaner bei uns in der Stadt. Wir dachten dann, wir versuchen es einfach mal, wir nehmen so einen jungen Mann bei uns auf und bieten ihm die Chance, dass er sich in dem Bereich einarbeitet, und das hat dann sehr gut funktioniert. Das war der erste und dann kamen Zug um Zug die nächsten auch zu uns, und wir machen eigentlich insgesamt sehr gute Erfahrungen.
    Heinlein: Über diese Erfahrungen können wir gleich noch reden. Sie sagen, akuten Mangel gab es. Warum gab es keine Deutschen, die sich interessiert haben für diesen Job bei Ihnen? Bezahlen Sie so schlecht?
    Härle: Nee! Das liegt sicherlich nicht daran, sondern das liegt einfach daran, dass wir hier absolute Vollbeschäftigung haben in unserer Region. Und Tätigkeiten wie Leergutsortierung, einfache Arbeiten in der Flaschenfüllerei, Kasten auf die Rollbahn setzen, das sind alles Tätigkeiten, die absolut nicht begehrt sind.
    "Haben bewusst auf Zuschüsse verzichtet"
    Heinlein: War es für Sie als Unternehmer auch besonders attraktiv, Flüchtlinge zu beschäftigen, weil es dafür Zuschüsse vom Amt gibt?
    Härle: Nein, da gab es keine Zuschüsse. Wir haben für die Flüchtlinge auch keine Zuschüsse bekommen, sondern wir haben die eingestellt. Die bekommen den Lohn, den ein Deutscher, der eine ähnliche Tätigkeit ausübt, auch bekommen würde. Wir haben damals aber bewusst auf Zuschüsse verzichtet, weil wir wollten einfach zeigen, dass es auch möglich ist, solche jungen Menschen bei uns zu beschäftigen. Und das hat dann auch gut funktioniert.
    Heinlein: Wie schwierig war es denn, die neuen Mitarbeiter in den Arbeitsprozess zu integrieren? Ich vermute, viele der jungen Afrikaner konnten überhaupt kein Deutsch.
    Härle: So ist es tatsächlich. Wir haben ihnen deshalb auch Deutschkurse finanziert, Sprachkurse in den ersten Monaten. Und natürlich ist es auch sehr wichtig, gegenüber der Belegschaft im Betrieb das zu kommunizieren und dann auch zu sagen, weshalb wir das machen, was die Hintergründe sind, wo es vielleicht auch mal Probleme geben kann, auch sprachlicher Art.
    Wir haben uns natürlich dann auch sehr darum bemüht, dass diese jungen Männer Wohnungen finden. Das ist uns auch gelungen, so dass die dann auch eine gesicherte Unterkunft haben. Das war am Anfang relativ schwierig. Das waren Asylbewerber, die waren zu dritt oder zu viert in einem Zimmer, und wenn einer morgens um sechs anfangen muss, dann ist es natürlich schlecht, wenn der Kollege im Zimmer dann nachts bis zwölf Remmi Demmi macht. Deshalb war es wichtig, dass sie eigene Wohnungen haben.
    "Die beste Form der Integration ist Arbeit"
    Heinlein: Wie wichtig, Herr Härle, ist nach Ihren Beobachtungen die Arbeit für die Integration von Menschen, für die Integration von Flüchtlingen?
    Härle: Das ist ganz, ganz wichtig. Der Satz, die beste Form der Integration ist Arbeit, der Satz ist zu 100 Prozent richtig. Die Erfahrung machen wir. Die jungen Menschen haben damit eine Tagesstruktur. Die fangen in der Regel morgens bei uns um sechs oder sieben an, arbeiten dann bis 16 Uhr am Nachmittag, mit einer Stunde Pause. Die bekommen dann auch ihr Geld aus dieser Arbeit. Sie können ihren Lebensunterhalt finanzieren, was für sie natürlich auch ganz wichtig ist. Sie können ihre Wohnung finanzieren und sie können - und das machen sicherlich auch noch einige - Geld zurückschicken nach Afrika zu ihren Familien. Das sind im Monat auch gleich mal 100 oder 200 Euro, und das ist für die auch ganz wichtig.
    Und sie haben natürlich auch Kontakt zu Kollegen, sie haben Kontakt zu anderen Mitarbeitern im Betrieb. All das ist letztendlich entscheidend. Und auch die Erlernung der Sprache passiert am besten, wenn sie mit Kollegen sprechen. Die Erfahrungen des Learning bei Doing, die sind oft viel wichtiger wie die Arbeit in einem Sprachkurs.
    Abschiebungen wären "echtes wirtschaftliches Problem"
    Heinlein: Wie groß ist jetzt die Angst Ihrer neuen Mitarbeiter, nicht mehr arbeiten zu dürfen beziehungsweise abgeschoben zu werden in ihre alten Herkunftsländer?
    Härle: Ja, die Angst verspüren die eigentlich täglich. Wenn dann die gelben Briefe kommen vom BAMF, vom Bundesamt für Migration, dann öffnen die die meist gar nicht, sondern die legen mir die Briefe auf den Schreibtisch und haben tatsächlich Angst, dass irgendwann der Tag kommt, an dem sie dann abgeschoben werden sollen. Das ist auch das, was die psychisch schon sehr belastet. Das kriege ich immer wieder mit, weil wir haben ja sehr engen Kontakt zu den jungen Männern. Ich sehe die täglich bei uns im Betrieb und ich spüre das halt.
    Da wäre es ganz wichtig, dass hier eine Bleibeperspektive sich eröffnet für diese jungen Menschen. Und für uns als Betrieb ist das natürlich genauso wichtig, weil wie gesagt: Wir haben investiert in diese Männer, wir haben sie eingearbeitet, wir haben Sprachkurse finanziert, wir haben Wohnungen besorgt. Wenn die dann von heute auf morgen weg wären, dann wäre das für uns ein echtes wirtschaftliches Problem.
    Heinlein: Können Sie das, Herr Härle, noch ein wenig näher beschreiben? Was würde es für Sie bedeuten als Unternehmen, wenn Ihre neuen Mitarbeiter nicht in Deutschland bleiben dürfen, sondern abgeschoben werden in ihre alte Heimat? Wie hoch wäre dieser wirtschaftliche Verlust?
    Härle: Ja gut, das wäre gleich ein ganz ordentlicher fünfstelliger Betrag, der da zusammenkommt, weil das sind die Einarbeitungskosten. Ganz abgesehen davon, dass ich wahrscheinlich ganz schwierig andere Mitarbeiter finde, die diese Tätigkeiten machen. Da geht es uns gleich wie den Kunden in der Gastronomie, da geht es uns gleich wie vielen Getränkehändlern, wie vielen Handwerkern. Wir haben die Leute hier nicht am Arbeitsmarkt, die diese Tätigkeiten ausführen, und deshalb wäre das für uns dann ganz schwierig, gerade in dem Bereich Leergutsortierung, Lagerhaltung entsprechend weiter arbeiten zu können. Die Abschiebungen würden da ein ganz tiefes Loch reißen.
    "Es geht um pragmatische Lösungen"
    Heinlein: Waren Sie deshalb positiv überrascht, als Daniel Günther in Kiel, der Ministerpräsident mit seinem Vorschlag an die Öffentlichkeit ging für einen Spurwechsel in der Asylpolitik? Das geht ja genau in die Richtung Ihrer Forderung.
    Härle: Das geht in die Richtung der Forderung unserer Initiative und wir waren natürlich erfreut, dass auch aus der CDU derartige Signale kommen. Dass der Vorschlag von Herrn Günther kam, zeigt uns ja auch, dass dass das nicht nur ein regionales Problem ist, sondern dass es eigentlich ein bundesweites Problem ist. Auch in Schleswig-Holstein gibt es diese Fälle, auch in Bayern gibt es sehr viele Fälle, wo Handwerker Angst davor haben, dass ihre Mitarbeiter abgeschoben werden. Wir hoffen natürlich sehr, dass Daniel Günther da nicht allein bleibt.
    Auch die Wirtschaftsministerin von Baden-Württemberg, die Frau Nicole Hoffmeister-Kraut, auch eine CDU-Wirtschaftsministerin, unterstützt unseren Vorschlag aktiv. Frau Wiedmann-Mauz, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, unterstützt unseren Vorschlag, und so gibt es durchaus Signale, dass auch viele CDU-Abgeordnete sehen, wie wichtig das ist, dass die hier bleiben. Es geht hier nicht um Ideologie, sondern es geht um pragmatische Lösungen. Das ist eigentlich der Hintergrund. Wir brauchen diese Leute und wenn sie gut integriert sind, wenn sie arbeiten, oder im Schwäbischen heißt es, wenn sie schaffen und ihren Lebensunterhalt dann verdienen, dann sollten sie auch eine Bleibeperspektive haben.
    "Viele, viele positive Rückmeldungen"
    Heinlein: Wer schafft, der darf bleiben. Sie haben es gesagt, dieses schwäbische Sprichwort. Haben Sie denn den Eindruck - Sie haben das Stichwort Ideologie genannt -, dass in der großen Politik bei Parteien oft diese Ideologien, dieses Schielen auf die nächsten Wahlen, auf Stimmungen in der Bevölkerung wichtiger ist als die Praxis und die pragmatischen Lösungen, die Sie als Unternehmen brauchen?
    Härle: Leider Gottes habe ich manchmal den Eindruck, gerade auch in dieser Frage. Weil letztendlich wollen wir einerseits ein Einwanderungsgesetz verabschieden und suchen dringend Leute auch aus anderen Ländern, die bei uns arbeiten. Andererseits würden wir die dann wieder abschieben, die eigentlich hier schon die Arbeit verrichten und hier dann auch schon integriert sind. Es leuchtet überhaupt nicht ein, weshalb hier aus rein formalen Gründen so ein "Spurwechsel" abgelehnt wird.
    Auch die Befürchtung, dass das Anreizwirkung habe für andere, die dann kommen würden zu uns ins Land, trifft ja nicht zu. Weil wir sagen ja auch deutlich, wir wollen eine Stichtagsregelung. Dieser "Spurwechsel" gilt nicht für immer und ewig, sondern dieser "Spurwechsel" sollte gelten, bis das Einwanderungsgesetz in Kraft tritt, und dann nicht mehr. Damit wäre auch die Befürchtung, dass dann Tausende von weiteren Asylbewerbern zu uns kommen, mehr oder weniger gegenstandslos.
    Heinlein: Sie sind einer der Sprecher oder einer der Gründer dieser Bleiberechts-Initiative. Wie sind die Reaktionen Ihrer Kunden und Ihrer Geschäftspartner? Verkaufen Sie dadurch mehr oder weniger Bier?
    Härle: Das kann ich jetzt nicht sagen, ob sich das in den Umsätzen auswirkt. Aber eines kann ich sagen: Wir haben ja sehr viele Kunden in der Gastronomie. Wir beliefern insgesamt über 300 Gaststätten mit unseren Bieren hier in Oberschwaben und im Allgäu. Da bekomme ich viele, viele positive Rückmeldungen von den Wirten, weil denen geht es ähnlich. Ich kenne viele Wirte, die haben Asylbewerber eingestellt. Das sind Küchenhelfer, das sind teilweise auch Köche oder Auszubildende, die als Köche ausgebildet werden. Das sind Service-Kräfte. Viele Gastronomen sagen mir, Herr Härle, bleiben Sie auf jeden Fall dran. Auch das ist ein Thema, das für uns ganz wichtig ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.