Hinter Stacheldrahtzaun protestieren rund 60 Menschen aus Pakistan im überfüllten Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos. Sie rufen: "Wir bringen uns um, wenn ihr uns abschiebt." Und: "Nicht zurück in die Türkei!"
Jemand aus dieser Gruppe wollte sich umbringen, berichtet zumindest Giorgos Patlakas, der neben dem Eingang des sogenannten Moria-Camps einen Imbisswagen betreibt:
"Auf den Strommast ist einer geklettert. Wir redeten auf ihn ein und sagten: Wir helfen dir beim Asylantrag. Er sagte: 'Ich werde mich für alle Pakistaner aufopfern!' Zum Glück konnte jemand mit einem Polizisten ihn dann vom Mast runterholen."
Das Aufnahmelager erinnert an ein Hochsicherheitsgefängnis. Stacheldraht, Zäune hintereinander, Kameras, hohe Mauern. Zu den über 3000 Flüchtlingen dürfen nur Behördenvertreter, die auf der Insel gebliebenen Nichtregierungsorganisationen, Lieferanten und ein paar wenige Anwälte. Journalisten müssen nach wie vor draußen bleiben. Fernsehteams werden von der Polizei weggeschickt, wenn sie zu nah an den Zaun kommen.
Zu wenig zu essen, schlechte Hygiene
Die Informationslage ist schwierig. Von griechischer Seite zeigt sich kein Verantwortlicher. Ehrenamtliche von einigen NGOs wie Euro-Relief dürfen den anwesenden Journalisten nicht über die Zustände im Lager berichten. Das sei so angeordnet worden, heißt es. Die NGO Ärzte ohne Grenzen, die ihre Aktivitäten eingestellt hat als Reaktion zum EU-Türkei-Deal, berichtet von zu wenig Mahlzeiten für die Flüchtlinge und desaströsen hygienischen Zuständen. Einer, der etwas sagt, ist der Anwalt Nikos Choriatelis. Er möchte Asylsuchende beraten. Aber:
"Es muss sichergestellt werden, dass Anwälte ungehindert Zutritt bekommen. Juristische Hilfe ist die Voraussetzung, um sich auf seine Rechte zu berufen. Und weil wir noch am Anfang sind, müssen wir das Selbstverständliche garantieren."
Neben dem Anwalt steht eine Gruppe mit blauen Westen, auf denen "Support is our Mission" steht. Es sind Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO). Insgesamt sind es 70 Personen, die der überlasteten griechischen Asylbehörde helfen sollen:
"Wir können mindestens 50 Fälle am Tag bearbeiten. So werden wir die Prozesse in diesem Camp beschleunigen. Ja, ich bin überzeugt, dass es funktionieren wird", sagt Jean-Piérre Schembri, Sprecher von EASO. Seine Kollegen, auch aus Deutschland vom BAMF, haben keine Entscheidungshoheit. Über Asylanträge entscheiden nur die Griechen. EASO prüfe lediglich über Interviews mit Asylsuchenden und eigenen Dolmetschern, ob ein Antrag zulässig sei.
"Wenn der Antrag als unzulässig eingestuft wird, dann wird diese Person sofort in die Türkei zurückgebracht."
Abschiebungen, so scheint es, finden momentan keine statt. Der Sprecher des griechischen Flüchtlingskrisenstabes, Giorgos Kyritsis, sagte diesem Sender, es sei eine "praktikable Anzahl an abgelehnten Asylanträgen nötig, um den Aufwand der Rückführungen zu betreiben". Das seien, so Kyritsis, zwischen 60 und 70.
Vor den Taliban geflohen
Eine Abschiebung droht dem 24-jährigen Rezwan aus Pakistan. Er lebt mit ein paar Hundert anderen Flüchtlingen in einem von Aktivisten organisierten Camp. Er ist vor den Taliban geflohen, sagt er:
"Ich brauche Asyl. Ich will in Griechenland bleiben. Gebt mir nur drei Mahlzeiten, packt mich in einen Raum, kein Problem. Aber bitte nicht zurück, schiebt mich nicht ab. Ich verstehe es nicht, kein Asyl – warum?"
Die Zelte am Strand neben dem zentralen Hafen sind den Behörden ein Dorn im Auge. Rezwan befürchtet, dass das Camp geräumt wird und er nach Moria muss und dann in die Türkei.