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Flüchtlinge
Merkel warnt vor Versagen Europas

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich mit deutlichen Worten gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit ausgesprochen. Dies lasse sich durch nichts rechtfertigen. Zugleich mahnte sie eine bessere Zusammenarbeit innerhalb der EU an - und warnte vor düsteren Konsequenzen.

Von Klaus Remme | 31.08.2015
    Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem rötlichen Jacket gestikuliert mit der rechten Hand.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel fand klare Worte gegen Fremdenhass. (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Wie sich die Dinge doch in wenigen Wochen verändern können. Griechenland war heute allenfalls Fußnote, zur Ukraine wenig mehr als ein Nebensatz. Der alljährliche Auftritt der Kanzlerin vor den Hauptstadtjournalisten geriet nicht zur üblichen Tour d'Horizon. Das Flüchtlingsdrama dominierte über mehr als anderthalb Stunden: "Wir stehen vor einer großen nationalen Aufgabe. Die geht jeden an. Und es wir eine zentrale Aufgabe sein, nicht nur für Tage oder Monate, sondern, soweit man das absehen kann, für eine längere Zeit."
    Natürlich wurde Angela Merkel nach ihrem Besuch in Heidenau in der vergangenen Woche gefragt. Wie sie die dortigen Proteste und Beschimpfungen empfunden habe. Ficht mich nicht an, sagte sie scheinbar unbeeindruckt, damit müsse ein Politiker umgehen können. "Was mich anficht, ist, dass wir so eine Stimmung in unserem Land haben. Und da ist meine Antwort ganz klar: Hier muss es eine ganz klare Abgrenzung geben, hier kann keinerlei Entschuldigung sein. Keine biografische Erfahrung, keine historisches Erlebnis, nichts, aber auch gar nichts rechtfertigt ein solches Vorgehen. Ob das Ganze nun im Osten ausgeprägter ist, möchte ich jetzt nicht bewerten, ich daraus auch keinen Ost-West-Konflikt machen."
    Merkel will keine Ost-West-Diskussion
    Schwierig also, die Kanzlerin in der aktuellen Kontroverse um Befindlichkeiten in Ost- und Westdeutschland zu verorten. Auf Nachfrage sagte sie immerhin noch so viel: "Es gab und gibt auch in den alten Bundesländern natürlich Gedanken und Strömungen, die nicht gut sind. Ich rate uns, daraus nicht eine Ost-West-Diskussion zu machen. Ob irgendetwas im Osten gewesen ist, ist vollkommen egal. Wir sind ein Land, wir sind 25 Jahre lang ein Land. Und das gehört sich nicht, das hat mit unserer Verfassung nichts zu tun. Wir sind dem Geltungsbereich des Grundgesetzes beigetreten, nicht mehr und nicht weniger - und jetzt haben wir das durchzusetzen."
    Darüber hinaus ging es ihr um die konkreten Herausforderungen für die kommenden Monate, zunächst auf nationaler Ebene. Bund, Länder und Kommunen müssen zusammenfinden. Bis zum Flüchtlingsgipfel am 24. September will man ein konkretes Paket schnüren, gesetzliche Bestimmungen, so sie praktische Problemlösungen behindern, vorübergehend außer Kraft setzen, Verfahren beschleunigen und auch über die Aufteilung von Milliardenkosten einig werden: "Das Motiv, in dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft, wir schaffen das."
    Zahlreiche Herausforderungen auf europäischer Ebene
    Zum nationalen Aufgabenkatalog kommen die Herausforderungen auf europäischer Ebene. Von einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik kann keine Rede sein, von einer fairen Verteilung der Flüchtlinge im EU-Raum auch nicht. Im Gegenteil, es entsteht der Eindruck, ganze Regionen in der EU versuchen, die Last auf andere abzuwälzen, dies verbunden mit offener Diskriminierung. Merkels Kritik ist dennoch vorsichtig formuliert: "Mich bekümmert es, wenn man dann anfängt zu sagen: Muslime möchten wir nicht, wir sind ein christliches Land. Vielleicht sagt dann morgen einer, auch das Christentum ist nicht mehr so wichtig, wir sind ohne jede Religion. Das kann nicht richtig sein."
    Kann nicht sein, ist aber so! Die politischen und praktischen Herausforderungen sind gewaltig. Sichere Herkunftsländer auf dem Balkan, Registrierungszentralen in Südeuropa, eine Lastenverteilung, die den Namen verdient - nur drei Herausforderungen, die unmittelbar angegangen werden müssen. Grundsätzliches steht auf dem Spiel, so die Bundeskanzlerin. Der Schutz universeller Bürgerrechte sei einer der Gründungsimpulse der Europäischen Union gewesen. Und weiter: "Versagt Europa in der Flüchtlingsfrage, geht diese enge Bindung mit den universellen Bürgerrechten kaputt. Sie wird zerstört und es wird nicht das Europa sein, was wir als Gründungsmythos auch heute weiterentwickeln müssen."