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Flüchtlinge
"Populismus macht unsere Arbeit nicht leichter"

Ehrenamtliche hätten es zurzeit schwer, Flüchtlingen ein Willkommensgefühl zu geben, sagte Ali Moradi vom Sächsischen Flüchtlingsrat im DLF. Zum einen gelinge es den politischen Parteien nicht, auf populistische Äußerungen zu verzichten. Hinzu komme eine Serie fremdenfeindlicher Aktionen in Sachsen, die eine Bannmeile um Flüchtlingsunterkünfte notwendig mache.

Ali Moradi im Gespräch mit Christine Heuer | 28.07.2015
    Asylbefürworter ziehen am 27.07.2015 in Dresden (Sachsen) mit einem Banner "So geht sächsisch - neue deutsche Leitkultur" durch die Innenstadt von Dresden.
    Asylbefürworter in der Innenstadt von Dresden (picture alliance / dpa / Oliver Killig)
    Die demokratischen Parteien hätten sich in den letzten ein bis zwei Jahren immer wieder an populistischen Diskussionen beteiligt, sagte der Geschäftsführer des Sächsischen Flüchtlingsrats im DLF. Bedenklich seien auch fremdenfeindliche Aktivitäten in Dresden wie Pegida-Aufmärsche oder ein Angriff vom Wochenende, bei dem NPD-Demonstranten am Rande einer Flüchtlingszeltstadt auf Helfer des Roten Kreuzes losgegangen waren. Daher unterstütze der Sächsische Flüchtlingsrat die Forderung der Polizeigewerkschaft nach einer Bannmeile im Radius von einem Kilometer um Flüchtlingseinrichtungen.
    Moradi sagte, trotz fremdenfeindlicher Ressentiments seien viele Menschen ehrenamtlich aktiv geworden, um die Lage der Flüchtlinge zu verbessern. "Wir haben so viele Leute, die mithelfen. Das gibt Kraft, weiterzumachen", so Moradi im DLF.

    Christine Heuer: Wir möchten das Thema jetzt vertiefen im Gespräch mit Ali Moradi. Er ist Perser, lebt seit 22 Jahren in Deutschland, in Dresden, mit seiner Familie. Er ist Geschäftsführer des Sächsischen Flüchtlingsrats. Guten Morgen, Herr Moradi!
    Ali Moradi: Schönen guten Morgen!
    Heuer: Als Sie vor 22 Jahren nach Deutschland gekommen sind – beginnen wir wirklich mit Ihrer eigenen Erfahrung –, hatten Sie damals das Gefühl, willkommen zu sein?
    Moradi: Weder damals noch jetzt. (lacht)
    Heuer: Immer noch nicht?
    Moradi: Na ja, ich schon, aber die Flüchtlinge, die jetzt ankommen, das ist nicht ...hach... Wir sind nicht in der Lage, dieses Gefühl zu geben, sie hier willkommen zu heißen.
    Heuer: Was geben wir ihnen stattdessen?
    Moradi: Ja, wir haben, in letzter Zeit, reißt die Serie von Fremdenfeindlichkeit eigentlich nicht ab, und wir erleben immer wieder hier, dass die politischen Parteien, politische, demokratische Parteien nicht an einem Strang ziehen können, mindestens in diesem Punkt sich einigen, hier keine populistischen Äußerungen zu machen.
    "Politiker beteiligen sich an populistischem Wettbewerb"
    Heuer: Die politischen Parteien, das ist Ihr Vorwurf, die gehen mit den Populisten?
    Moradi: Bei diesem populistischen Wettbewerb, die beteiligen sich in den letzten eineinhalb, zwei Jahren, haben wir immer wieder erlebt, und das macht unsere Lage nicht leichter. Wenn ich von uns rede, rede ich von vielen Ehrenamtlichen, dass die hier stundenlang und tagelang Leuten behilflich sein wollen, und wir versuchen, ein Gefühl zu geben, dass die Leute hier willkommen sind.
    Heuer: Lassen Sie uns das noch mal konkret machen, vielleicht am gestrigen Abend. Da gab es in Dresden wieder einen Pegida-Aufmarsch. Wie erleben Sie solche Aktionen?
    Moradi: Na ja, gestern war dieses Zeltlager, wie Sie wissen, 1.100 Leute sollten in einem Zeltlager untergebracht werden. Erst mal müssen wir grundsätzlich darüber nachdenken, in Sachsen haben wir so viele leer stehende Wohnungen, auch viele leer stehende große Objekte, ob so ein Zeltlager überhaupt hier infrage kommen durfte und ob diese Entscheidung richtig ist.
    Ich war selber bis zwölf Uhr nachts in diesem Zeltlager gewesen. Die Leute haben große Angst gehabt. Gestern habe ich versucht, die Polizeidirektion hier zu erreichen, vom Präsident der Polizeidirektion habe ich auch nicht die direkte Telefonnummer, aber war nicht zu erreichen. Ich habe eine Abmahnung gegeben, ob die Demonstration auch Richtung Bremer Straße, wo das Zeltlager ist, aufmarschieren will. Wir wollten den Leuten ein bisschen Sicherheit geben. Wir haben bis zum Ende nicht erfahren, ob sie in diese Richtung marschieren wollen oder nicht.
    Zweiseitige Gefühle gegenüber Flüchtlingen
    Heuer: Also die Flüchtlinge fühlen sich allein gelassen?
    Moradi: Nein, das würde ich nicht so sagen. Also man kriegt wieder neue Kräfte, hier weiterzumachen, weil wir haben so viele Leute, die mithelfen, mitarbeiten, und Sie müssen selber dabei sein, um zu sehen, wie die Leute die Spenden einbringen und wie Ehrenamtlichen diese Spenden sortieren und bei den Flüchtlingen abgeben.
    Wir haben zweierlei Gefühl: Einerseits Leute, die von sich aus aktiv wurden und versuchen, ehrenamtlich hier mitzuhelfen, aber andererseits diese, ja, sogenannte fremdenfeindlichen Aktivitäten, die hier nicht abreißen.
    Heuer: Ist Dresden, ist Sachsen da ein besonderer Fall, weil dort erleben wir ja Pegida, wir hören auch von Anschlägen auf Asylbewerberheime, ehrlich gesagt dann doch vor allem aus dem Osten Deutschlands – ist Sachsen da ein Sonderfall?
    Moradi: Kann man so betrachten, weil wenn sie von diesen 220 Angriffen, die dieses Jahr passiert sind in Sachsen, leider muss ich sagen, wir sind die Spitze von diesen statistischen Zahlen, und das macht Sachsen nicht beliebt.
    Forderung nach Bannmeile um Flüchtlingsunterkünfte
    Heuer: Wie verhält sich in der angespannten Stimmung, die Sie ja beschrieben haben – die Flüchtlinge haben Angst, sagen Sie –, wie verhält sich in dieser Stimmung die Polizei?
    Moradi: Wir sind dabei, noch mal mit der Polizei ins Gespräch zu kommen. Wir unterstützen sehr die Forderung von Polizeigewerkschaften, was dieses Demonstrationsverbot ein Kilometer rund um die Wohnheime ...
    Heuer: Also eine Art Bannmeile wird jetzt diskutiert tatsächlich.
    Moradi: Genau, Bannmeile, also in einem Radius von einem Kilometer. Das ist sehr wichtig, besonders für Sachsen sehr wichtig, weil wie Sie wissen, auf einer NPD-Demonstration am Wochenende haben Leute, also die Demonstranten haben einen Helfer vom Roten Kreuz attackiert, weil er bei diesem Zeltaufbau mitgemacht hatte.
    Heuer: Herr Moradi, in Deutschland wird jetzt angesichts dieses Flüchtlingszustroms über die Trennung von Wirtschafts- und Kriegsflüchtlingen diskutiert. Nach Ihrer Erfahrung – und Sie arbeiten ja lange mit Flüchtlingen in Sachsen zusammen –, sind die Menschen, zum Beispiel vom Balkan, alle nur am Geld interessiert oder haben die auch echte Fluchtgründe?
    Moradi: Das muss im Einzelfall geprüft werden. Wir haben auch viele Leute, dass die dort massive Diskriminierung hinnehmen müssen.
    Heuer: Ist das ein Fluchtgrund, diskriminiert zu werden?
    Moradi: Das sollte ein Fluchtgrund sein, aber niemand verlangt, dass die Bundesrepublik Deutschland die gesamten Probleme hier löst, aber wir müssen hier eine spezielle Rolle spielen wegen unserer Geschichte. Wir beobachten, dass auf verschiedene Art und Weise die Leute diskriminiert werden, aber diese Diskriminierung verallgemeinert man und wird nicht beachtet. Deswegen sollten wir auch solche Sachen Fachleuten überlassen, und das muss im Einzelfall alles geprüft werden, weil der Einzelfall zählt nur.
    Heuer: Schlägt sich denn die politische Debatte über diese beiden Flüchtlingsgruppen im Alltag nieder, gibt es Reibereien zwischen Kriegsflüchtlingen und Wirtschaftsflüchtlingen, können Sie so etwas beobachten?
    Moradi: Also so würde ich es nicht sagen, sondern wir haben, wenn ich von 1.100 Leuten in einem Zeltlager rede, eine enge Unterbringung. Ob das an erster Stelle menschenwürdig ist, weil da haben wir Säuglinge, Kinder und Kranke, Behinderte, Frauen, Frauen mit Kopftuch – ob das die richtige Aktion ist, ob das nicht eine Ursache für die Vorprogrammierung von Konflikten ist? Also dort sehe ich die Probleme, nicht zwischen sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen, das würde ich nicht in den Mund nehmen, und Kriegsflüchtlingen.
    Heuer: Also zu viele Flüchtlinge aus verschiedenen Regionen auf engem Raum?
    Moradi: Richtig.
    Heuer: Ali Moradi, Geschäftsführer des Sächsischen Flüchtlingsrats war das. Haben Sie vielen Dank für das Interview, Herr Moradi!
    Moradi: Gern geschehen, auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.