
"Jung, alleine und motiviert"
"Die Leute kommen, um hart zu arbeiten"
"Flüchtlinge sind Glücksfall"
So oder so ähnlich klangen die Schlagzeilen im Sommer 2015, als die Bilder der deutschen Willkommenskultur um die Welt gingen. Zu den Begrüßungs-Teddybären am Münchner Hauptbahnhof passte die Ansicht, mit hunderttausenden junger Männer aus Syrien, Afghanistan, Eritrea und dem Iran könne Deutschland gleich mehrere Probleme auf einen Schlag lösen - die alternde deutsche Gesellschaft verjüngen und den Fachkräftemangel beheben.
Drei Jahre später klingen die Schlagzeilen ernüchternd.
"Jobwunder bei Migranten bleibt aus"
"Wo sind die Fachkräfte?"
"Die meisten Flüchtlinge leben von Hartz IV"
"Hohe Belastung durch Flüchtlingspolitik"
War Deutschland im Sommer 2015 im Willkommenstaumel? Haben Verantwortliche und Experten die Lage zu rosig gesehen und vergessen, dass die Integration - auch in den Arbeitsmarkt - ein langer, teils steiniger Weg ist?
"Alle Leute, die sich seriös damit auseinandergesetzt haben, die haben das von vornherein realistisch eingeschätzt, und da werden jetzt Geschichten erzählt, wir wären alle völlig naiv gewesen sind. So naiv war weder die deutsche Bevölkerung, so naiv waren die Experten nicht."
Dennoch hätten 2015 die meisten Medien Negatives ausgeblendet, heute habe sich das Blatt gewendet, viele sähen die positive Entwicklung nicht, kritisiert der Arbeitsmarktexperte. Er verweist auf die Fakten: Trotz wachsender Bevölkerung - in Deutschland leben momentan 800.000 Menschen mehr als vor acht Jahren - ist im selben Zeitraum die Zahl der Hartz IV-Bezieher gesunken, und zwar um eine halbe Million.

Zwei von drei Flüchtlingen leben derzeit von Hartz IV, entweder komplett oder als Aufstocker. Jeder vierte hat bereits einen Job, die meisten davon einen sozialversicherungspflichtigen. Ist das nun viel oder wenig? Um diese Frage zu beantworten, hat Migrationsforscher Brücker einen Vergleich angestellt. Wie haben sich die Jugoslawienflüchtlinge Anfang der 1990er-Jahre in den deutschen Arbeitsmarkt integriert - und wie sieht es heute aus?
Die Regierung tut mehr - Integrationskurse waren vor 25 Jahren noch ein Fremdwort. Aber auch die Zivilgesellschaft tut mehr, nicht zuletzt die Unternehmen.
Berlin, Hackescher Markt, Sitz des Energieversorgers Gasag.
"Ich habe jetzt die Präsentation in Power Point vorbereitet. Wir können sie gemeinsam durchgucken, ja. Und ich drucke jetzt zwei Blätter aus, ich zeige Euch, was habe ich geschrieben."
Mahmoud Asad macht eine Lehre zum Industriekaufmann bei der Gasag, seine Zwischenprüfung hat er bereits bestanden. Der 26-jährige Syrer aus Palmyra hat zwei Jahre lang Betriebswirtschaftslehre in der Hauptstadt Damaskus studiert, bis ihn der Bürgerkrieg aus seiner Heimat vertrieb.
"Vergiss bitte die Papiere nicht. Bis später, schönen Tag noch, ciao."
Der Schreibtisch von Mahmoud Asad zeigt - hier arbeitet eine strukturierte Person. Rechts oben der Duden, links neben der PC-Tastatur mehrere Zettel. Mit kleiner Schrift hat der künftige Industriekaufmann darauf deutsche Wörter notiert, daneben die arabische Übersetzung.
Mahmoud Asad lächelt. Eigentlich lächelt der junge Mann in Jeans und blassrosa Hemd immer. Fast als wolle er seiner neuen Heimat signalisieren - "Vertraut mir, ich werde mich integrieren." Dass er bereits nach zwei Jahren in Berlin wirtschaftlich auf eigenen Füßen steht, macht ihn stolz.
"Und ich kämpfe immer weiter, mit Lernen und die Sprache, Leute kennenzulernen, und die Kultur, viele Sachen."
"Ich würde Dich sehr gerne um etwas bitten, Mahmoud. Wir hatten ja gestern schon über die vielen Seiten im Intranet gesprochen, die wir überprüfen müssen. Wir hatten einen Kollegen, der nicht mehr da ist, der müsste getilgt werden."
Sechs Flüchtlinge - fünf Männer und eine Frau - machen derzeit bei der Gasag eine Ausbildung, sie werden dabei eng vom Unternehmen betreut. Caroline Marggraf hilft ihnen bei Behördengängen, bei der Wohnungssuche und beim Deutsch lernen. Sie ist Ausbildungsleiterin bei der Gasag.
"Natürlich ist es viel aufwändiger, als regulär Ausbildung zu betreiben, es gibt einen hohen Betreuungsbedarf, es gibt viele Fragen, die sich stellen. Wir haben im Vorhinein schon damit gerechnet, dass es viele Behördenthemen gibt. Und sie haben auch tatsächlich viele Amtstermine."

Bislang hat nur eines von zehn Unternehmen in der Hauptstadt Kontakt zu einem Flüchtling aufgenommen - so das Ergebnis einer Umfrage im Auftrag des Berliner Senats. Das sei zu wenig, stellt Arbeits- und Integrationssenatorin Elke Breitenbach fest. Allerdings stimme sie hoffnungsfroh, dass die Hälfte dieser Kontakte in eine Beschäftigung mündet.
"Ich muss sagen, mit allen, mit denen ich gesprochen habe, gibt es eine große Bereitschaft, aber auch an vielen Stellen eine Hilflosigkeit. Also die Hilflosigkeit besteht in erster Linie darin, dass es eine Unsicherheit gibt und immer wieder die Frage kommt, wie kann ich einen geflüchteten Menschen einstellen und wie kann ich sicher sein, dass er nicht abgeschoben wird."
Denn Abschiebungen von Flüchtlingen, die einen Job haben, kommen immer wieder vor. Um interessierte Unternehmen zu beraten und ihnen Hilfestellung zu geben bei der Beschäftigung von Flüchtlingen, hat die Agentur für Arbeit Berlin Süd bereits vor drei Jahren den Arbeitgeber-Service "Asyl" gegründet. 20 Personen gehen direkt in die Unternehmen, erfragen den konkreten Arbeitskräftebedarf und sprechen dann Flüchtlinge mit entsprechenden Qualifikationen an. Jeder siebte Flüchtling, der 2015 und 2016 in die Hauptstadt gekommen ist, hat bereits einen sozial-versicherungspflichtigen Job.
"Wir haben in Berlin eine ausgeprägte Dienstleistungsbranche, die nach wie vor Erwerbspotential bietet für Menschen, die den Quereinstieg suchen, wo ich nicht unbedingt eine formale Qualifikation brauche, um die Tätigkeit auszuüben, und das ist der Grund, wieso in Berlin der Arbeitsmarkt so aufnahmefähig ist und wir wachsen ja nach wie vor Jahr für Jahr um 30.000 bis 50.0000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen."
Wenige Industriebetriebe, viele Dienstleistungsunternehmen - das bedeutet viele Jobs im Niedriglohnbereich. Nur einer von 100 Flüchtlingen übt in Berlin eine hochqualifizierte Tätigkeit aus. Bundesweit gesehen haben 8 von 10 Asylbewerbern weder einen Hochschul- noch einen Berufsabschluss.
Um dringend benötigte Fachkräfte wie Pfleger, Lokführer oder Hochbauspezialisten zu bekommen, müssen die Unternehmen also zunächst in die Flüchtlinge investieren. Wie andere Arbeitsmarktexperten setzt auch André Hanschke vom Team Asyl darauf, dass viele Ungelernte noch mit einer Berufsausbildung beginnen.
"60 Prozent sind unter 35, das bringt per se ein großes Potential für die berufliche Ausbildung, und wenn ich auf die Unternehmen schaue, mit denen wir kooperieren, dann ist das wirklich die Karte, auf die viele Unternehmen setzen."
Allerdings: Als 30-Jähriger noch mit einer Berufsausbildung beginnen - das will nur ein Teil der Eingewanderten. Die Flüchtlinge bringen in den meisten Fällen langjährige Berufserfahrung mit, manche von ihnen hatten ein eigenes Unternehmen. Viele wollen und müssen ihre Familien in den Heimatländern finanziell unterstützen.
Sophie Geißler vom Team Asyl begrüßt einen Elektroinstallateur aus dem Iran, den sie heute zum Gespräch gebeten hat, um ihm einen Job anzubieten.
"Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten bezüglich Arbeit. Und wollte Sie fragen: Was haben Sie denn bisher gemacht? Ich bin seit fünf Jahren in Deutschland. Mein Beruf ist Elektriker. Bauelektriker. Ich wünsche in Deutschland künftig eine Firma eröffnen, ich versuche, aber sehr schwierig."
Er habe lange als Elektriker gearbeitet, erzählt der Iraner in gebrochenem Deutsch, und möchte sich in seiner neuen Heimat selbständig machen. Arbeitsvermittlerin Sophie Geißler erklärt freundlich aber bestimmt, dass die Gründung eines Handwerksbetriebs kein leichtes Unterfangen ist, stattdessen bietet sie ihm einen Job an. Berlins Baubranche boomt, die Unternehmen suchen händeringend Elektriker - wenn er wolle, könne er sich am selben Tag noch bei einer Zeitarbeitsfirma vorstellen.
"Da haben Sie die Möglichkeit einzusteigen als Elektriker. Die geben Ihnen die Möglichkeit, sich weiter zu qualifizieren während der Arbeit. Wenn Sie sich selbständig machen wollen, dann brauchen Sie ja eine Ausbildung in Deutschland. Eigentlich sogar einen Meister, also mehr als eine Ausbildung."

Der Mitvierziger lebt von staatlicher Unterstützung, ist arbeitssuchend gemeldet. Er kann Arbeitsangebote eigentlich nicht einfach ablehnen und muss Vorstellungsgespräche wahrnehmen, sonst kürzt das Jobcenter seine Hartz IV-Bezüge. Einen Termin bei einer Zeitarbeitsfirma hat der Elektriker bereits platzen lassen. Arbeitsvermittlerin Sophie Geißler macht einen zweiten für ihn aus. Sie hegt leise Zweifel an seiner Motivation, bleibt aber freundlich.
"Sie waren nicht gekommen zum Vorstellungsgespräch damals. Ich hätte gerne, dass Sie mir nächste Woche, wenn Sie bei diesem Unternehmen waren, mir zurückmelden, ob Sie diese Stelle annehmen oder nicht."
Er sei krank gewesen, entschuldigt sich der Mann. Dass in solchen Fällen ein Attest nötig ist, müssen viele Migranten erst noch lernen, hat der Leiter des Teams Asyl André Hanschke festgestellt.
"Insbesondere Schlüsselqualifikationen wie Pünktlichkeit, ist immer wieder ein Thema. Sich krank zu melden, wenn ich krank bin, zum Arzt gehen, Krankenschein einzureichen, Urlaub beantragen zu müssen, wenn ich Urlaub haben möchte. Das sind Dinge, die für uns banal klingen, wo es aber schwierig wird bei Menschen aus anderen Kulturkreisen, wo das nicht so praktiziert wird."
Einer der beiden hatte bereits einen Elektrikerjob, ist aber nach einem halben Jahr einfach nicht mehr zur Arbeit gekommen. Er konnte sich nicht verständigen, erzählt der Iraner. Jetzt macht er einen weiteren Deutschkurs. Arbeitsvermittlerin Geißler organisiert ihm einen Vorstellungstermin bei einem Bauunternehmen.
"Aber muss nicht hingehen? Also hingehen müssten Sie. Stellen Sie sich da vor. Vielleicht können Sie parallel zum Sprachkurs arbeiten. In Teilzeit."
Flüchtlinge aus Syrien oder dem Iran bekommen vor Abschluss ihres Asylverfahrens die Möglichkeit, einen Integrationskurs zu besuchen, Afghanen zum Beispiel nicht. Die Logik dahinter: Die Bundesregierung will nur denjenigen einen Deutschkurs finanzieren, die sicher im Land bleiben können.

"Man hätte diese Zeit des Wartens, die ja sehr lange war, nutzen können, dann hätte man auch eine größere Motivation gehabt. Das Rumhängen, Untätigkeit, zerstört Arbeitsmotivation, zerstört Lernbereitschaft. Da haben wir viel Zeit verloren."
Ein erster großer Fehler von 2015, der dringend korrigiert werden müsse, so der Wissenschaftler. Ein zweiter Fehler: Die Asylverfahren dauerten viel zu lange. Beides führe dazu, dass Menschen zu spät auf den Arbeitsmarkt kämen und so zu lange von staatlichen Leistungen lebten.
"Wir wissen aus der Arbeitsmarktforschung, das Schlimmste ist, Menschen lange vom Arbeitsmarkt fernzuhalten, weil dann auch bei gutgemeinten Programmen sie am Ende nicht mehr vernünftig im Arbeitsmarkt ankommen."
Zurück zum Berliner Energieversorger Gasag. Auf dem Gang trifft Mahmoud Asad seine Azubi-Kollegin Neda Sadeghi Ardestani aus dem Iran. Die 34-Jährige hat in Teheran Chemie und Geschichte studiert, danach in der dortigen deutschen Botschaft gearbeitet. Sie ist eine Ausnahme - hochqualifiziert und alleine als Frau nach Deutschland geflüchtet.
Neda Sadeghi Ardestani redet langsam und konzentriert, ihren Blick starr auf den Fußboden gerichtet, das Lächeln hat etwas Bitteres. Weitere Fragen verbieten sich. In den ersten Monaten in Berlin lebte die Iranerin alleine mit vielen jungen Männern aus Syrien und Afghanistan in einer Notunterkunft. Jetzt hat sie eine Wohnung gefunden - und verdient ihr eigenes Geld. Den vielen anderen nach Deutschland Geflohenen rät sie, schnell ein neues Lebensziel zu finden.
"Nicht einfach weiterleben bis eine Möglichkeit kommt. Sondern ein Ziel haben. Ohne Ziel kann man wirklich nicht leben. Denn hast Du ein Ziel, dann versuchst Du es zu bekommen. Sonst wird das Leben wirklich schwierig."
Neda Sadeghi Ardestani hat drei Jahre gebraucht, um eine neue Sprache zu lernen, sich an die fremde deutsche Kultur zu gewöhnen und wirtschaftlich auf eigenen Füßen zu stehen. Das dauert normalerweise länger. Herbert Brücker vom Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit geht davon aus, dass Flüchtlinge etwa acht Jahre brauchen, bis sie so viele Steuern und Abgaben zahlen wie sie zuvor Transferleistungen vom Staat bezogen haben.