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Flüchtlingsdeal EU-Libyen
"Das ist schwierig zu realisieren"

Um Flüchtlinge davon abzuhalten, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen, plädieren die europäischen Staats- und Regierungschefs für ein Flüchtlingsabkommen mit Libyen. Das werde problematisch, sagte der Konfliktforscher Andreas Dittmann im DLF. "Weil es den Staat Libyen eigentlich gar nicht mehr gibt."

Andreas Dittmann im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 03.02.2017
    Mitglieder der Maltesischen NGO-Organisation MOAS helfen am 3.11.2016 Flüchtlingen an Bord eines kleinen Rettungsbootes während einer gemeinsamen Rettungsaktion mit dem Italienischen Roten Kreuz vor der Küste Libyens.
    Die EU-Staaten wollen ein Abkommen mit Libyen schließen, um Bootsflüchtlinge zu stoppen. (AFP / Andreas Solaro)
    Ann-Kathrin Büüsker: Die Frage nach einem möglichen Abkommen mit Libyen, die wollen wir jetzt vertiefen, und zwar im Gespräch mit Professor Andreas Dittmann. Er lehrt an der Universität Gießen und einer seiner Arbeitsschwerpunkte ist die geografische Konfliktforschung. Guten Tag, Herr Dittmann.
    Andreas Dittmann: Guten Tag.
    Büüsker: Herr Dittmann, internationale Abkommen, die setzen ja voraus, dass es eine Regierung gibt, mit der man sie schließen kann. Kann man davon mit Blick auf Libyen derzeit überhaupt sprechen?
    Dittmann: Nein, kann man nicht, und genau das ist das Problem. Man könnte es süffisant so ausdrücken, dass Libyen sogar zwei Regierungen hat, eine offizielle, vom Westen anerkannte im Osten des Landes, theoretisch auch im Süden des Landes, und eine im Westen im Gebiet der Hauptstadt Tripolis, also eine Regierung und eine Gegenregierung, und dazu ein Wirrwarr aus unterschiedlichen Milizen, die sich auf die eine und auf die andere Seite schlagen, gegeneinander kämpfen, und da ist ein Verhandeln mit Libyen deshalb schwierig, weil es den Staat Libyen eigentlich gar nicht mehr gibt.
    "Europa hat seine größere Verantwortung erkannt"
    Büüsker: Das heißt, das, was jetzt auf Malta besprochen wird von den europäischen Staats- und Regierungschefs, das ist Wunschdenken?
    Dittmann: Nur zum Teil. Gut ist daran, dass Europa jetzt seine größere Verantwortung mehr erkannt hat und erkannt hat, dass es nicht reicht, wenn man, um das bildlich auszudrücken, auf einer undichten Stelle die Hand hält, dann an einer anderen Stelle der Damm bricht. Wenn jetzt der Türkei-Deal, der ja auch nicht richtig funktioniert, jetzt dazu geführt hat, dass viele Flüchtlingsströme aus dem Nahen Osten umgeleitet werden und sich in Libyen vereinigen mit solchen aus dem subsaharischen Bereich, dann ist das das nächste Sprungbrett nach Europa.
    Es ist zwar von Tunesien, von tunesischen Küsten aus potenziell näher, in den Schengen-Raum zu gelangen, aber zur Organisation für Schleppernetzwerke, das Ausrüsten der Boote, das Sammeln derer, die flüchten wollen, braucht ein Schlepper eigentlich genauso etwas wie einen kaputten, einen sogenannten failed state, und dafür sind die Bedingungen in Libyen super.
    "Das ist schwierig zu realisieren"
    Büüsker: Unsere Korrespondentin hat ja gerade erklärt, dass es der EU darum geht, die libysche Küstenwache, den libyschen Grenzschutz in die Lage zu versetzen, gegen Schlepper vorzugehen. Wie kann das denn praktisch funktionieren?
    Dittmann: Das ist schwierig zu realisieren, aber es ist eigentlich eine unmittelbar sehr gute Idee. Die Ideen, die dem ganzen vorangingen, sind ja gescheitert. Die basierten mehr oder weniger auf die Mare-Nostrum-Idee, also die Idee, das Meer zwischen Europa und Libyen zu kontrollieren und dabei dann auch in Seenot geratene Flüchtlinge zu retten. Das wurde zurückgezogen, angeblich aus Kostengründen, und wurde zusammengeschrumpft auf eine Art Küstenwache für die italienischen Küsten, aber wohl wissend in Kauf nehmend, dass jetzt mehr Flüchtlinge im Meer ertrinken.
    Da hatte man schon ein besseres Konzept, hat das aber zurückgefahren von der gesamten Meereskomponente Libyen und Italien auf einen nur noch italienischen Küstenschutz, hat das jetzt Frontex überlassen, und Frontex schützt hier die italienische Küste vor Einwanderung, aber rettet nicht unbedingt ertrinkende Flüchtlinge. Aus diesem Dilemma kann nur erwachsen, dass Libyen teilweise seine Staatsaufgaben, soweit es geht, selbst wahrnimmt, und dann muss man getrennte Deals mit unterschiedlichen Regierungen machen.
    Wie gesagt: Die im Osten, da wo die Flüchtlinge nicht starten, ist international anerkannt. Und die islamistisch geprägte, auch von islamistischen Milizen unterstützte im Westen ist diejenige, von deren Territorium aus - das sind im Wesentlichen die Strände zwischen der libysch-tunesischen Grenze und Suara in Nordwest-Libyen -, die kontrollieren dieses Gebiet und dann müssen die die Ansprechpartner sein. Sie haben sowohl Landstreitkräfte als auch Luftwaffe. Die Luftwaffe wird unter anderem von der Ukraine stark ausgerüstet, die ja eigentlich auch wieder ein Verbündeter des Westens ist. Also eine ungeheuer, wissenschaftlich würde man sagen, interessante Konstellation, aber auch eine sehr verwirrende in Libyen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.