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Flüchtlingskirche am Bodensee
"Wir alle glauben letztlich an den einen Gott"

Bescherung unter außergewöhnlichen Vorzeichen: 52 muslimische Flüchtlinge sind im Örtchen Liebenau am Bodensee in einer katholischen Kirche untergebracht. Mit ihren christlichen Gastgebern wollen die Flüchtlinge nun Weihnachten feiern – und nicht nur das.

Von Thomas Wagner |
    Die Kirche St. Maria in Liebenau am Bodensee wurde zur Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert.
    Die Kirche St. Maria in Liebenau am Bodensee wurde zur Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert. (Picture Alliance / dpa / Felix Kästle)
    Auf der einen Seite ein Weihnachtsbaum, auf der anderen das riesige Portal der Schlosskirche St. Maria in Liebenau im Bodenseekreis: Dazwischen spielen zwei Jungs Fußball.
    Fußball, ja, das sei schon etwas ganz tolles, erklären Maschet und Abdallah, jeweils sechs Jahre alt, auf Arabisch - und träumen von einer Karriere als Fußballprofi. Ein Mann, Anfang 40, schütteres Haar, steht daneben, lächelt. Hured Ahemy ist vor etwas über drei Wochen als syrischer Flüchtling in Deutschland angekommen - und lebt als Muslim seit gerade mal einer Woche in der Kirche St. Maria auf dem ehemaligen Schlossareal Liebenau.
    "Ich habe das Gefühl, als ob ich am sichersten Ort der Welt lebe. Das ist das Haus Gottes. Selbst der Teufel hat hier nichts zu suchen."
    Sagt einer, der die Hölle auf Erden hinter sich hat. Denn Hured Ahmed ist einer jener Flüchtlinge, die vor Verfolgung und Bombenhagel ihre syrische Heimat verlassen haben - und nun in der oberschwäbischen Schlosskirche St. Maria ein neues Hause gefunden haben. Hured blickt auf den Tannenbaum:
    "Weihnachten, natürlich, das haben wir doch schon seit Jahren auch in Syrien gefeiert, zusammen mit unseren christlichen Freunden. Und jetzt, nachdem wir bald vier Jahre auf der Flucht sind, ist das wirklich sehr schön, dieses Fest wieder zu feiern - und das Lächeln der Kinder zu sehn."
    Ahmed, vier Jahre, steht daneben, grinst über beide Ohren. Der kleine Junge warte auf sein Weihnachtsgeschenk, übersetzt einer der Syrer, die Englisch können. Berührungsängste mit westlichen Weihnachtstraditionen hat er nicht - so wie alle der Flüchtlinge, die seit Kurzem in der Kirche wohnen.
    "Heiligabend wird's was geben"
    "Es war ein Adventskonzert hier in der Gegend. Und wir waren alle zusammen in der Kirche und haben dieses Adventskonzert angehört. Und das war wirklich sehr schön, also echt emotional, als die da in der Kirche waren und fasziniert waren von den Liedern und von der Weihnachtszeit. Und das war der Punkt, wo ich total erstaunt war."
    Erklärt Laura Decker, als Sozialarbeiterin im Auftrag der "Stiftung Liebenau" zuständig für die Flüchtlingsbetreuung. Die "Stiftung Liebenau" ist Eigentümerin der Schlosskirche, betreibt drum herum Behindertenwerkstätten, kümmert sich seit über 140 Jahren um benachteiligte Mitmenschen. Heiligabend, sagt sie, wird's was geben - auch für die Flüchtlinge in der Kirche:
    "Vom Essen haben wir geschaut, dass es etwas Besonderes gibt: Es wird Couscous-Salat geben. Es wird Geschenktüten für die Kinder geben mit was Süßem drin."
    So lange lebt Abdul, Anfang 30, bereits in Deutschland, hat in dieser Zeit so gut Deutsch gelernt, dass er in der zur Flüchtlingsunterkunft umfunktionierten Kirche als Dolmetscher eingesetzt wird. Auch er ist Moslem. Doch gerade in diesem Jahr, sagt er, sei Weihnachten ein ganz besonderer Tag. Will heißen: Nach altem islamischen Kalender fällt 2015 der Geburtstag Mohammeds genau auf Heiligabend. Für Abdul ist das eine ganz besondere Botschaft:
    "Mohammeds Geburtstag und Heiligabend 2015 an ein und demselben Datum - das sei ein Fingerzeig des Himmels und eine Mahnung an alle, Muslime und Christen: Wir alle glauben letztlich an den einen Gott."
    Spielende Kinder an einem Tisch im Kirchenschiff, fröhliche Gesichter, erwartungsvolle Gesichter. Einige Erwachsene schauen dagegen nachdenklich in die Runde: Viele haben Schlimmes hinter sich, weiß Sozialarbeiterin Laura Decker:
    "Wir haben hier auch eine Mutter mit fünf Kindern. Die hat ihren Mann auf der Flucht verloren. Das sind Geschichten, die kommen jetzt auch immer mehr durch Übersetzer raus."
    Das schockiert auch die Helfer, gerade heute, an Heiligabend. Mazin Read, 40 Jahre, ist mit seiner Familie aus der irakischen Hauptstadt Bagdad nach Deutschland geflüchtet. Seinen Weihnachtswunsch teilen alle hier im Raum: Frieden vor allem für den Irak und für Syrien.