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Flüchtlingspolitik
Das verschärfte Asylrecht in der Praxis

Seit gut einer Woche gilt das verschärfte Asylrecht. Die Verfahren sollen beschleunigt werden, Abschiebungen vorangetrieben, Bleibeberechtigte schnell integriert werden. Bayern will aber noch weiter gehen.

Von Michael Watzke | 30.10.2015
    Ein Asylsuchender aus Somalia mit seiner Wartenummer in der Zentralen Aufnahmeeinrichtung des Landes Berlin
    Ministerpräsident Horst Seehofer fordert vom Bund die Einrichtung von sogenannten Transitzonen an der bayerisch-österreichischen Grenze. (imago stock & people)
    Eine ehemalige Militärkaserne in Manching bei Ingolstadt. Hier steht, an einen Gitterzaun gelehnt, Robaj Ramadan, 46 Jahre alt, Asylbewerber aus dem Kosovo. "In Deutschland bin ich seit 9 Monaten schon. Hier in Bayern bin ich seit drei Monaten fast. Nur hin und her spaziert."
    Robaj Ramadan ist einer von 270 Bewohnern der sogenannten ARE. Der Ankunfts- und Rückführungs-Einrichtung der Regierung von Oberbayern, eröffnet Mitte September. Im Volksmund wird die ARE auch "Balkan-Zentrum" genannt, weil hier fast ausschließlich Asylbewerber aus dem Westbalkan untergebracht sind. Vor allem Roma aus Albanien und dem Kosovo, wie Robaj Ramadan. Der Gelegenheitsarbeiter hatte in den 90er Jahren schon einmal Asyl in Deutschland beantragt. "Früher war Deutschland ganz anders. Das heißt, jetzt ist schlimmer wie früher."
    Die Zustände im ARE seien schlecht, sagt Ramadan. Das Essen schmecke ihm nicht, es gebe zu wenig Geld und vor allem: nichts zu tun. Er wartet darauf, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - kurz BAMF - endlich seinen Asylantrag bearbeitet.
    "Heute hab ich mein Interview."
    "Wenn Sie schon seit Anfang Februar hier sind?"
    "Tja ..."
    "Trotzdem erst heute Ihr Interview?"
    "Ja, ich konnte nichts machen. So ist es. Bis jetzt war nur Abwarten. Die haben gesagt, ich kann nichts anderes machen."
    Solche Geschichten von monatelangen Warteschleifen sind Herbert Winter eher unangenehm. Er ist der Leiter der neu eröffneten Außenstelle des BAMF in der Ankunfts- und Rückführungs-Einrichtung Manching. Winters Versprechen ist eigentlich, "dass wir hier in der Lage sind bei Antragstellern, die nach Manching kommen ein Verfahren innerhalb von zwei bis fünf Tagen durchzuführen".
    Eine afghanische Familie wartet in Bayern auf ein Asylverfahren. 
    Eine afghanische Familie wartet in Bayern auf ein Asylverfahren. (picture alliance / dpa / Sven Hoppe)
    Zwei bis fünf Tage. Normalerweise dauert ein Asylverfahren beim BAMF durchschnittlich 5,3 Monate. In Manching soll es viel schneller gehen - bislang steht am Ende zu hundert Prozent die Ablehnung. "Wir haben über 500 Bescheide gefertigt bisher, aber dabei war kein positiver Bescheid." In Manching bündeln drei verschiedene Behörden an einem Ort das Verfahren: Von der Antragstellung beim BAMF über die Rechtsantragsstelle des Verwaltungsgerichtes Ingolstadt, die über Widersprüche bei Ablehnung des Asylantrags entscheidet, bis zur Ausländerbehörde, die für die Abschiebung zuständig ist.
    Diese Bündelung war ein Plan der bayerischen Staatsregierung, die in Bayern zwei Abschiebezentren aufgebaut hat: in Manching und in Bamberg. Allerdings sind diese "Balkan-Zentren" nur ein Baustein der Strategie, mit der der Freistaat die Zahl der in Deutschland bleibeberechtigten Menschen begrenzen will. Ministerpräsident Horst Seehofer fordert vom Bund vor allem die Einrichtung von sogenannten Transitzonen an der bayerisch-österreichischen Grenze. Dort sollen Bundespolizei und BAMF Asylbewerber ohne Bleibewahrscheinlichkeit sofort zurückweisen. Für den CSU-Chef eine Maßnahme, die rechtsstaatliche Zustände an den deutschen Grenzen wieder herstellen soll.
    "Da geht es auch darum, ob der Staat versagt oder funktioniert. Das ist die Grundfrage, die zugrunde liegt. Dazu brauchen wir diese Maßnahmen, die wir in der Regierung beschlossen haben, in der Landtagsfraktion beschlossen haben, im Parteivorstand beschlossen haben. Öffentlich behandelt haben."
    Morgen will Seehofer in einer Krisensitzung mit der Kanzlerin ein letztes Mal darauf drängen, diese Transitzonen schnell einzurichten. Am Sonntag wollen Angela Merkel und Seehofer mit dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel sprechen. Für den Fall, dass die Kanzlerin sich sperrt, soll der CSU-Chef intern damit gedroht haben, seine drei bayerischen Minister aus der Bundesregierung abzuziehen, also die Große Koalition zu verlassen. Jedenfalls dementiert Horst Seehofer entsprechende Meldungen nicht. Der bayerische Ministerpräsident geht davon aus, dass die CDU-Vorsitzende in letzter Minute kleinbeigibt und härtere Asyl-Maßnahmen anordnet, wie sie die Schwesterpartei im Süden fordert. "Wir brauchen alle diese Maßnahmen - es reicht nicht eine."
    Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz als erste Maßnahme
    Eine Maßnahme, die bereits beschlossen ist, trägt die Drucksachen-Nummer 18/6185 des Deutschen Bundestages. Sie ist 62 Seiten lang und heißt: Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz (AvbG). Beschleunigt hat die Bundesregierung dabei vor allem den Gesetzgebungs-Prozess: Zwischen Entwurf und Verabschiedung des AvbG lagen gerade mal 24 Tage. Aber ist ein schnelles Gesetz auch ein gutes Gesetz?
    "Also, im Großen und Ganzen kann man damit leben", sagt die Münchner SPD-Stadträtin Brigitte Meier. Sie ist Sozialreferentin in der bayerischen Landeshauptstadt und damit für die Versorgung von Flüchtlingen zuständig. Etwa mit Lebensmitteln. Das wird im neuen Gesetz unter Artikel 2 geregelt - unter dem Stichwort "Leistungen an Asylbewerber".
    "Mei, ich hab mich vor allem beschäftigt mit dem Asylbewerberleistungsrecht. Da geht's ja um die Vorrangigkeit der Sachleistung in der Erstaufnahme. Das kann man machen. Ich war nie ein Freund von den Essenspaketen, aber ich habe auch nie verstanden, warum man dann selber kochen muss, wenn man nur ein paar Monate bleibt. Da ist das Catering einfach sinnvoller, auch logistisch. Wenn ich mir vorstelle, dass in der Bayernkaserne immer alle zum Kochen anfangen - dann lieber Kraft und Energie in ein g'scheites Catering."
    Die Fraktionsvorsitzenden der Parteien im bayerischen Landtag, Hubert Aiwanger (FW), Markus Rinderspacher (SPD), Ludwig Hartmann, Margarete Bause (beide Grüne) sowie Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) nehmen am 30.10.2015 an einer Pressekonferenz in der Staatskanzlei in München (Bayern) teil. Seehofer sprach mit den bayerischen Fraktionsvorsitzenden über die Flüchtlingspolitik.
    Ministerpräsident Horst Seehofer sprach mit den bayerischen Fraktionsvorsitzenden über die Flüchtlingspolitik. (picture alliance / dpa / Andreas Gebert)
    Ein Catering oder Lebensmittelpakete kosten den Staat finanziell mehr, als würde er den Flüchtlingen Geld zum Einkaufen und Selberkochen auszahlen. Doch das neue Gesetz will, dass Flüchtlinge möglichst wenig Bargeld erhalten. Damit will der Staat Asyl-Anreize vermindern. Auch das Taschengeld soll gekürzt und - soweit möglich - Sachleistung ausgegeben werden. Also: Duschgel, Schuhe, Busfahrkarten.
    "Das Taschengeld zu streichen finde ich hoch problematisch. Es ist ja auch noch nicht gestrichen - es heißt ja nur: 'Vorrangigkeit der Sachleistungen'. Wir sind uns mit der Polizei einig: Das führt zu ordentlicher Kleinkriminalität. Also, ein paar Euro fuffzig brauchen die Leute immer als Taschengeld."
    Taschengeld oder Sachleistung - diese Entscheidung obliegt jedem einzelnen Bundesland. Hessen etwa hat angekündigt, seinen Asylbewerbern weiterhin Bargeld auszuzahlen. Niedersachsen und Hamburg halten es ähnlich. Bayern dagegen wird sich voraussichtlich für Sachmittel entscheiden - statt Bargeld.
    Der Freistaat hatte eine solch strenge Regelung bereits in der Vergangenheit. Doch im Jahr 2013 führte das bayerische Sozialministerium Geldleistungen ein - auf Druck von Horst Seehofer, der damals die harte Haltung Bayerns in der Asylpolitik beendete. Nun, nur zwei Jahre später, hat sich die Stimmung in der bayerischen Bevölkerung gedreht - und der Freistaat kehrt wieder zur alten Regelung zurück. Kritik kommt vom "Bayerische Flüchtlingsrat". Sprecher Alexander Thal: "Diese ganzen Änderungen im Asylbewerberleistungsgesetz, die jetzt vorgenommen worden sind, sind schlicht verfassungswidrig. Was gemacht wurde: Flüchtlinge, die in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind - aber auch alle in der Erstaufnahme und in den Balkan-Zentren - sollen, soweit es geht, nur noch Sachleistungen kriegen."
    Anerkannte Asylbewerber erhalten Hartz IV
    Unterscheiden muss man hier zwischen Asylbewerbern, deren Verfahren noch läuft, und denen mit abgeschlossenem Verfahren. Anerkannte Asylbewerber erhalten - genau wie deutsche Staatsbürger - Hartz IV, wenn sie arbeitslos sind. Abgelehnte, aber in Deutschland Geduldete dagegen, die nicht arbeiten dürfen, erhalten monatlich 216 Euro plus Miet- und Nebenkosten-Übernahme sowie die Erstattung bestimmter Basisleistungen. Flüchtlinge, die in einer Erstaufnahme-Einrichtung leben, erhalten pro Monat 143 Euro. Viel zu wenig, findet Alexander Thal. Solche Almosen würden die Stimmung unter abgelehnten Asylbewerbern vergiften.
    Thal: "Das wird zu einer massiven Verschärfung der Situation in den Unterkünften führen. Und das muss man sich selber zuschreiben. Ganz viele der Geduldeten können nicht zurück. Die kommen aus Afghanistan, die kommen aus dem Irak. Sind teilweise schon Jahre bis Jahrzehnte hier. Die können nicht zurück. Und wenn ich denen die Daumenschrauben anziehe, dann sorge ich nur dafür, dass die Verzweiflung steigt, aber nicht die Ausreisen."
    Alexander Thal übt auch Kritik an einem weiteren Paragraphen des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes: §29a, "Sicherer Herkunftsstaat". Der Bundestag hat beschlossen, Albanien, Montenegro und das Kosovo als sichere Herkunftsländer zu führen. Begründung: Den Menschen droht in diesen Staaten keine Verfolgung, ihre Asylverfahren könnten also schneller bearbeitet werden. Der Bayerische Flüchtlingsrat bezweifelt das. "Also, es wird die Dauer der Asylverfahren nicht beeinflussen. Weil die Flüchtlinge vom Balkan werden auch so schon schnell abgelehnt. Und ob man das jetzt ablehnt, weil man das individuell macht oder unter Verweis auf das Herkunftsland, macht in der Zeit überhaupt keinen Unterschied."
    Das bestreitet auch Herbert Winter nicht, der Leiter der BAMF-Außenstelle in Manching. Er verweist allerdings auf einen anderen Effekt bei der Definition von "sicheren Herkunftsstaaten". "Es gibt bei sicheren Herkunftsländern bei Ablehnungen wie auch bei freiwilligen Ausreisen, bei Bescheiden, die das Bundesamt erstellt, ein sogenanntes Einreise-Verbot, das sich auf 30 Monate bezieht."
    Flüchtlinge überqueren nahe Wegscheid in Bayern gemeinsam mit der Polizei die Grenze von Österreich nach Deutschland und werden zu einem Reisebus geführt.
    Flüchtlinge überqueren nahe Wegscheid in Bayern gemeinsam mit der Polizei die Grenze von Österreich nach Deutschland und werden zu einem Reisebus geführt. (picture alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
    Solche Wiedereinreise-Sperren gab es auch bisher schon, allerdings nicht für eine Dauer von zweieinhalb Jahren. Deshalb hatten abgelehnte Asylbewerber aus diesen sicheren Herkunftsstaaten häufig schon kurz nach ihrer Ausreise einen Asyl-Folge-Antrag gestellt. Das soll jetzt nicht mehr möglich sein. Brigitte Meier, die Münchner Sozialreferentin, hält das neue Gesetz in diesem Punkt für sinnvoll.
    "Bei den Asylverfahren, also den Kosovo, Serbien und Montenegro als sichere Herkunftsländer zu bezeichnen, finde ich richtig. Der Kosovo müsste jetzt mal endlich alle Anstrengungen unternehmen, in die EU aufgenommen zu werden. Das sind eigentlich Länder, deren Perspektive die Europäische Union ist. Und von daher muss man sich seitens der EU Gedanken machen: Wie kriegt man die zügig ins europäische System. Und dass man an der Frage der Rückführung arbeiten muss: Wenn ich A sage, muss ich auch B sagen."
    Die Frage der Rückführung hat sich auch Robaj Ramadan schon gestellt. Der Kosovare, der im Balkan-Zentrum in Manching lebt. Er ahnt, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seinen Asyl-Antrag ablehnen wird. Zwar kann er theoretisch gegen den Ablehnungsbescheid klagen. Die Rechtsantragsstelle des Verwaltungsgerichtes Ingolstadt findet er gleich vor seiner Unterkunft. Ramadan macht sich aber wenig Hoffnung. "Rechtsanwalt oder so geht überhaupt nicht, weil... wenn Du gehst, sagt er gleich: 'ich kann nicht helfen'. Kann man nichts anderes machen."
    Robaj Ramadan will eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes gar nicht erst abwarten. Er plant, freiwillig in den Kosovo zurückzukehren und setzt auf das "Coming-Home-Projekt". Ein Wiedereingliederungsprogramm im Kosovo, das der deutsche Staat unterstützt. Ramadan will daheim in Pristina eine Firma eröffnen. Auf der Homepage des BAMF hat er sich erkundigt und rechnet sich eine Rückkehr-Prämie in Höhe von 1.500 Euro aus. Das sei allemal besser, als auf die Abschiebung zu warten, die so oder so komme. Die örtliche ARE-Leiterin in Manching, die nicht namentlich genannt werden will, beschreibt das Procedere so:
    "In der Früh kommt die Polizei, schaut, wo die Bewohner sich hier auf dem Gelände aufhalten. Sagt dann: "Sie werden zurückgeführt". Sammelt die Leute hier auf dem Gelände ein, organisiert dann den Transport von hier zum Flughafen. Und am Flughafen werden die Personen an die Bundespolizei überstellt. Und die Bundespolizei macht dann die Rückführung ins Heimatland." In Manching hat die Polizei eigenen Angaben nach innerhalb eines Monats 90 Personen abgeschoben. 220 sind freiwillig ausgereist, und zwischen 20 und 50 sind verschwunden. Stefan Frey, Sprecher des Bayerischen Innenministeriums:
    "Ja, es kommt immer wieder vor, dass sich da auch Menschen ihrer Rückführung entziehen. Die bekommen halt mit, dass da die Polizei vor der Tür steht, und tauchen dann kurzfristig ab oder unter. Nur dadurch können sie sich nicht dauerhaft ihrer Abschiebung entziehen. Die werden irgendwann wieder aufgegriffen von der Polizei. Und werden dann halt bei der nächsten Abschiebung mitgenommen."
    Bayern hat bislang 3.000 abgelehnte Asylbewerber abgeschoben
    Der Freistaat Bayern hat in diesem Jahr bislang rund 3.000 abgelehnte Asylbewerber abgeschoben. Das sind mehr als in jedem anderen Bundesland. Einmal pro Woche startet am Münchner Airport Franz Josef Strauß ein Passagierflugzeug Richtung Belgrad, Tirana oder Pristina. An Bord: zwischen 50 und 80 Migranten und etwa ebenso viele Bundespolizisten. In Einzelfällen gebe es zwar auch Abschiebungen per Bus oder Zug, sagt Stefan Frei: "Momentan aber bevorzugen wir Sammel-Abschiebungen mit einem Charterflieger vom Flughafen München weg. In einem Flugzeug bekommen wir einfach mehr Menschen außer Landes."
    Abgelehnte Asylbewerber steigen im Februar in Baden-Württemberg in ein Flugzeug
    Abgelehnte Asylbewerber steigen im Februar in Baden-Württemberg in ein Flugzeug (picture-alliance / dpa / Patrick Seeger)
    Das Flugzeug hat im Vergleich zum Bustransport den Vorteil, dass die begleitenden Bundespolizisten am Abend wieder in München sind. Und billiger sei der Lufttransport obendrein, weil man mit ganz normalen Fluggesellschaften fliege. "Wenn wir einen Sammelcharter alleine buchen und auch alleine als Freistaat Bayern die Rückführung durchführen, kostet in der Regel ein solcher Flug ca. 45.000 Euro. Und die Kosten der Bundespolizei übernehmen wir auch."
    Das macht dann noch einmal rund 40.000 Euro. Sodass jeder Abschiebeflug annähernd 100.000 Euro kostet. "Allerdings werden diese Flüge den jeweiligen Betroffenen in Rechnung gestellt. Das heißt: Die Asylbewerber, die abgeschoben werden, müssen dann auch letztlich die Kosten dieser Flüge begleichen."
    Das ist natürlich nur Theorie. In der Praxis zahlt der Staat, also der Steuerzahler. Deshalb versucht man alles, um abgelehnte Asylbewerber zur freiwilligen Ausreise zu bewegen. Inklusive großzügiger finanzieller Anreize. Erzwungene Abschiebungen sind mühsam und mit vielerlei Hürden versehen. Fehlende Ausweis-Papiere, ärztliche Atteste, die Flüchtlinge im letzten Moment vorweisen – und häufig auch körperlicher Widerstand. In manchen, wenn auch seltenen Fällen weigert sich gar der Pilot, das Flugzeug zu starten. "Wenn jemand randaliert oder Tumulte macht und dadurch jemand gefährdet ist, kann der Pilot sagen: Nein, ich starte nicht, ich hebe nicht ab. Dann muss der Flieger ohne diese Person starten."
    Abschiebungen scheinen ein Tabu-Thema zu sein: Die Fluggesellschaften wie Ryan Air und Niki wollen sich nicht öffentlich äußern. Die Bundespolizei hat Reportage-Anfragen des Deutschlandfunks mehrfach abgelehnt. Und das, obwohl die Bundesrepublik in Zukunft mehr Menschen abschieben will. Im Jahr 2014 zählte das Bundesinnenministerium knapp 11.000 Abschiebungen - bei rund 100.000 abgelehnten Asyl-Anträgen. Bundeskanzlerin Angela Merkel rief die Bundesländer dazu auf, mehr illegale Einwanderer auszuweisen. Und CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer fordert gar, "dass wir nicht nur eine Willkommenskultur pflegen, sondern mit den Rückführungen und Verabschiedungen auch zu einer angemessenen Verabschiedungskultur kommen".
    Auch die soeben verabschiedete Asylrechts-Reform fördert Abschiebungen. Mit den meisten sicheren Herkunftsstaaten auf dem Balkan hat die Bundesrepublik Rücknahme-Abkommen abgeschlossen. Nun strebt sie eine solche Vereinbarung auch mit Afghanistan an. Denn die Ablehnungsquote bei Asylbewerbern vom Hindukusch beträgt je nach Bundesland zwischen 23 und 48 Prozent, sagen Statistiken des BAMF von 2013. Gleichzeitig steigt die Zahl der Flüchtlinge aus Afghanistan stark an. Josef Ramzi ist Mediziner aus Jordanien. Seit mehreren Wochen hilft er als Dolmetscher in Passau aus. Auf Arabisch und Paschtu spricht er mit vielen ankommenden Flüchtlingen. Er geht davon aus, dass die Afghanen mittlerweile ein Drittel ausmachen.
    "Für mich sind das ungefähr 50 Prozent Syrer, 30 Prozent Afghanen und 20 Prozent Iraker. Nach meiner Erfahrung." Ramzis Kollegin, die deutsche Ärztin Angelika Metzger-Weiser, teilt diese Schätzung. Vor allem aber, sagt sie: "Was wir kaum mehr sehen, sind irgendwelche Flüchtlinge aus dem Balkan. Ich habe seit Wochen keinen einzigen mehr gesehen."
    Flüchtlinge warten am 28.10.2015 an der deutsch-österreichischen Grenze in Österreich vor Wegscheid (Bayern) auf ihre Einreise nach Deutschland.
    Flüchtlinge warten am 28.10.2015 an der deutsch-österreichischen Grenze in Österreich vor Wegscheid (Bayern) auf ihre Einreise nach Deutschland. (dpa / picture-alliance / Armin Weigel)
    Tatsächlich ist die Anzahl der neu ankommenden Migranten aus Albanien, Montenegro oder dem Kosovo rapide zurückgegangen. Im August waren es laut Bundespolizei noch mehr als 40 Prozent der Ankommenden, im September knapp 30 Prozent, im Oktober voraussichtlich weniger als 5 Prozent. Warum? Fühlen sich Flüchtlinge aus dem West-Balkan von den in Bayern eigens eingerichteten Ankunfts- und Rückführungseinrichtungen abgeschreckt? Oder greift das gerade erst verabschiedete Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz schon im Voraus? Matthias Weinzierl vom Bayerischen Flüchtlingsrat bezweifelt das.
    "Die Leute kommen unter Garantie nicht, weil sie hier dieses tolle Taschengeld bekommen. Das ist einfach eine Illusion. Und sie kommen auch nicht, weil sie sich mit dem Geld hier tolle Menüs kochen können. Die Zwangsverpflegung mit den Essenspaketen und die Sachleistungen, das ist ein Instrument der Schikane, aber das hat keine Auswirkungen. Die Leute reisen trotzdem nicht freiwillig aus", sagt Weinzierl. Warum aber hat der Zustrom aus dem Balkan so abrupt nachgelassen? Der Asylbewerber Robaj Ramadan, der bald in den Kosovo zurückkehren will erklärt es sich mit dem Stimmungswandel in Deutschland. "Früher war Deutschland ganz anders. Das heißt, jetzt ist schlimmer wie früher."
    Für die ARE, die Ankunfts- und Rückführungs-Einrichtung in Manching, bedeuten die niedrigen Zahlen vor allem leere Betten. 2.000 Plätze gibt es in der ehemaligen Kaserne, derzeit sind nur 270 belegt. Die Regierung von Oberbayern macht sich schon Gedanken über eine Umwidmung des Areals. Aus dem Balkan-Zentrum könnte eine normale Erstaufnahme-Einrichtung werden. Oder - auch diese Pläne kursieren in der CSU - ein Afghanistan-Zentrum.
    Möglicherweise auch ein Thema beim morgigen Krisengespräch zwischen Seehofer und Merkel. Maria Els, die Vize-Regierungspräsidentin von Oberbayern, will erst mal abwarten. Sie lobt das neue Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz, auch wenn es dem gerade geöffneten Balkan-Zentrum möglicherweise die Kundschaft entzieht. Für Els ist vor allem Absatz 1, Artikel 15 des Gesetzes interessant. Hier ist geregelt, wie lange ein Asylbewerber in einer Erstaufnahmeeinrichtung bleiben kann.
    "Eine dieser Änderungen ist, dass bei den herkömmlichen Aufnahmeeinrichtungen eine Verweildauer bis zu sechs Monaten möglich ist - bisher waren das nur drei Monate. Und dass bei Einrichtungen wie dieser Aufnahme- und Rückführungseinrichtung wie hier in Manching das gesamte Asylverfahren bis zum Abschluss möglich ist."
    Das darf dann sogar länger als sechs Monate dauern. Dabei war es doch das Ziel der bayerischen Staatsregierung unter Horst Seehofer, das Verfahren auf wenige Wochen oder sogar Tage zu beschränken. Robaj Ramadan, der Asylbewerber aus dem Kosovo, plant seine Rückkehr nach Pristina für Ende November. Er wird dann zehn Monate in Deutschland gewesen sein. 2018 dürfte er wiederkommen. Aber von Deutschland, sagt er, habe er erst mal genug.