Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Armin Laschet glaubt, dass Deutschland die Flüchtlingskrise bewältigen kann. "Die Zuversicht überwiegt, dass wir das schaffen, mit allen Problemen, die das mit sich bringt", sagte Laschet im Interview der Woche im Deutschlandfunk. Es könne aber durchaus gelingen, die Zahl der neuen Flüchtlinge zu begrenzen und diejenigen, die schon da seien, zu integrieren.
Entscheidend sei vor allem, die bereits vorhandenen Konzepte umzusetzen und wirken zu lassen. Die Große Koalition habe in nur vier Wochen viele Asylgesetze beschlossen und umgesetzt. "Das war die größte Asylrechtsverschärfung seit 25 Jahren, aber niemand spricht darüber", sagte Laschet. Verständigen müsse man sich darüber, was nun an der deutschen Grenze geschehe. Ziel müsse es sein, dass die vielen Menschen, die keinen Anspruch haben, erst gar nicht nach Deutschland kommen.
Zu Forderungen, eine Obergrenze für Flüchtlinge und Asylsuchende festzulegen, sagte Laschet: "Es gibt keine Obergrenze für ein Grundrecht." es sei aber auch klar, dass nicht jedes Jahr eine Million Flüchtlinge kommen könnten. "Es gibt faktisch eine Zahl, die wir nicht leisten können." Die hohe Anzahl an Flüchtlingen, die nach Deutschland käme, müsse deshalb heruntergebracht werden und das geschehe auch seit Wochen.
Der CDU-Politiker äußerte sich skeptisch zu dem Vorschlag der SPD, mehr Einreisezentren innerhalb Deutschlands einzurichten. Ziel sei es schließlich, die Zahl der Menschen zu begrenzen, die überhaupt nach Deutschland kämen. Eine europäische Richtlinie sehe genau solche Transitzonen vor, wie die Union sie vorgeschlagen habe. "Das scheint mir in der Gesamtschau die beste Möglichkeit, zu verhindern, dass jeden Tag 10.000 Menschen kommen." Voraussetzung dafür sei auch, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge genügend Mitarbeiter habe, um die Asylanträge zu bearbeiten. Da hätten sich die Bedingungen inzwischen verbessert, es seien mehr Mitarbeiter eingestellt worden.
Ein Ort, wo man die Zahl der Flüchtlinge begrenzen müsse, sei auch die Außengrenze der Türkei, sagte Laschet. Zudem müsse die Situation in den Flüchtlingslagern in der Region verbessert werden. Laschet räumte ein, dass die Flüchtlingspolitik besser erklärt werden müsse. Da sei aber nicht nur Bundeskanzerlin Angela Merkel gefordert, sondern alle Politiker. "Jeden Tag ein neuer Vorschlag hilft da nicht weiter". Ein öffentlicher Streit verunsichere eher.
Das Interview in voller Länge:
Barbara Schmidt-Mattern: Herr Laschet, ich begrüße Sie, live bei uns im Deutschlandfunk. Herzlich willkommen.
Armin Laschet: Guten Morgen.
Schmidt-Mattern: Wir haben jetzt 25 Minuten Zeit, in denen wir vor allem über eines heute Morgen sprechen wollen, nämlich die Herausforderungen, die Sorgen und Chancen, nenne ich es mal, der Flüchtlingspolitik. Und ich würde gerne mit einer persönlichen Frage an Sie beginnen: Was überwiegt bei Ihnen im Moment, die Zuversicht eigentlich oder die Sorge?
Laschet: Die Zuversicht. Die Zuversicht, dass wir das schaffen, mit all den Problemen, die das mit sich bringt. Dass wir es schaffen, die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommt, zu begrenzen, durch viele Maßnahmen außerhalb Deutschlands. Aber dass die, die jetzt da sind, auch gute Chancen auf Integration haben und dass Deutschland auch diese Herausforderung bewältigen wird.
Schmidt-Mattern: Über die Maßnahmen sprechen wir gleich noch genauer. Die Kanzlerin, so wird heute bekannt, in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, rechnet offenbar mit einer Million Flüchtlingen, die dieses Jahr bei uns Zuflucht suchen werden. Bisher war von 800.000 offiziell die Rede. Und zur Stunde findet eine Spitzenrunde im Kanzleramt statt, mit Angela Merkel, mit Horst Seehofer und dem SPD-Vorsitzenden, Sigmar Gabriel. Herr Laschet, was glauben Sie, schaffen die drei das heute Vormittag, konkrete Konzepte vorzulegen, damit es vorangeht in der Flüchtlingspolitik, damit auch diese Große Koalition befriedet wird?
Laschet: Also, das Entscheidende ist ja, dass man die Konzepte, die da sind, jetzt einmal umsetzt und wirken lässt. Die Große Koalition hat gemeinsam mit den 16 Ländern – auch den rot-grün regierten Ländern – in Rekordgeschwindigkeit, innerhalb von vier Wochen, viele, viele Asylgesetze umgesetzt und auch beschlossen, deren Wirkung wir jetzt erst mal abwarten müssen. Das war die größte Verschärfung des Asylrechts seit 25 Jahren, und niemand spricht da drüber, niemand erklärt es den Bürgern, was eigentlich da alles vorgesehen war. Das Zweite ist – und das kann man heute nicht im Kanzleramt beschließen –, die europäischen Aktivitäten, insbesondere der Bundeskanzlerin, laufen, dass wir da zu Verteilsystemen auf der europäischen Ebene kommen, dass jeder seinen Beitrag leistet – auch da gibt es erste Erfolge. Und heute wird in der Türkei gewählt, Ihre Nachrichten haben das gerade vermeldet. Die Außengrenze der Türkei ist natürlich der Ort, an dem man versuchen muss, die Flüchtlingszahlen zu begrenzen. Man muss die Bedingungen in den Flüchtlingslagern in der Türkei verbessern – das passiert inzwischen. Und in diesem gesamten Maßnahmenpaket muss sich jetzt die Große Koalition heute noch darauf verständigen: Was machen wir denn an der innerdeutschen Grenzen? Da gibt es unterschiedliche Meinungen zu den Transitzonen.
Schmidt-Mattern: Genau.
Laschet: Aber wenn alle gutwillig sind, kann das gelingen.
Schmidt-Mattern: "Wenn alle gutwillig sind", genau das ist die Gretchenfrage. Lassen Sie uns vielleicht bei diesem Stichwort "Transitzonen" noch mal einen Moment verweilen. Sigmar Gabriel, die SPD, hat sich gestern schon zusammengesetzt und beraten über dieses umstrittene Vorhaben "Transitzonen". Und der SPD-Vorsitzende hat gesagt: "Mit uns wird es keine Haftzonen für Flüchtlinge geben", stattdessen – so kommt jetzt der Vorschlag von den Sozialdemokraten – solle es mehr Einreisezentren in Deutschland selbst geben – mindestens eines pro Bundesland – und dort sollen sich die Flüchtlinge dann registrieren lassen. Und wenn sie sich nicht dazu bereit erklären, dann könnte es eine Leistungskürzung geben und auf jeden Fall Nachteile im Asylverfahren. Ist das ein Konzept, dem die Union jetzt zustimmen kann, aus Ihrer Sicht?
Laschet: Also, für mich, der sich mit der Praxis täglich beschäftigt, klingt das nicht wie ein Konzept. Also, ob Sie jetzt eine Transitzone Reisezentrum nennen, das ist die typische Wortakrobatik. Es geht doch um die Frage: Wie unterscheidet man zwischen denen, die schutzbedürftig sind, die Asyl mit Bleibeperspektive haben und denen, die aus den sicheren Herkunftsländern kommen, die zum Teil aus Demokratien kommen, aus Beitrittskandidatenländern der Europäischen Union kommen? Und da war der Grundgedanke: Die sollen in einem schnellen Verfahren überprüft werden und dann schon aus der Erstaufnahmeeinrichtung zurückgeführt werden.
"Ich kann den Transitzonen, wenn es denn funktioniert, was abgewinnen"
Schmidt-Mattern: Genau, Herr Laschet, das ist ja die Frage, über die sich alle jetzt – in Brüssel und auch in Berlin – seit Wochen und Monaten den Kopf zerbrechen. Auch Sie sagen, die Frage ist: Haben Sie darauf eine Antwort, wie man das sicherstellen kann? Wer hat Recht auf politisches Asyl und wer nicht?
Laschet: Das ist erst mal gesetzlich geregelt. Wer Asylrecht beanspruchen kann, steht im Artikel 16a des Grundgesetzes. Da ist auch die Konstruktion der sicheren Herkunftsländer vorgesehen. Auch da kann man individuell, wenn man also persönlich verfolgt ist, trotzdem möglicherweise Asyl bekommen, aber der Prozentsatz liegt weit unter einem Prozent. Bei allen anderen ist es eher der Wunsch nach Einwanderung, der Wunsch, einer Armutssituation zu entgehen, aber das reicht halt nicht aus, um nach Artikel 16 Asyl zu bekommen. Und das lässt sich sehr schnell feststellen. Das allerdings hat die große Koalition schon im Juni beschlossen. Dieser Beschluss, dass es Erstaufnahmeeinrichtungen geben soll, in denen das stattfindet, steht seit Juni. Das einzige Bundesland, dass das umgesetzt hat, ist Bayern. Und für Nordrhein-Westfalen hat man – das ist auch einzigartig in Deutschland – die Erstaufnahme per Amtshilfe in die Kommunen delegiert. Und deshalb habe ich meine Zweifel an diesem SPD-Vorschlag, denn dann müsste in jeder einzelnen Kommune plötzlich das stattfinden. Das Ziel muss es aber sein, dass gar nicht erst so viele Menschen, die keinen Anspruch haben, nach Deutschland kommen. Und das wird das schwere Ringen in diesen Stunden im Kanzleramt sein.
Schmidt-Mattern: Sie loben also die Praxis in Bayern – ausgerechnet dann ja auch ein Lob, das sich letzten Endes an CSU-Chef Horst Seehofer richtet. Nun ist es Bayern, das bereits ja spezielle Zentren auch eingeführt hat, sogenannte "Ankunfts- und Rückführungseinrichtungen" – zwei Stück gibt es da inzwischen. Dann haben wir noch Erstaufnahmeeinrichtungen. Jetzt sind weiter Transitzonen geplant oder auch Einreisezentren – es gibt ja Begriffe dafür in Hülle und Fülle. noch mal konkret nachgefragt: Welches Konzept schlagen Sie vor? Welches Konzept für ein Zentrum zur Registrierung halten Sie für sinnvoll?
Laschet: Also, ich kann den Transitzonen, wenn es denn funktioniert, was abgewinnen. Es gibt ja eine europäische Richtlinie, die genau solche Transitzonen vorsieht. Wir haben an den Flughäfen bereits dieses Verfahren. Es gibt auch bei den Transitzonen ganz viele ungeklärte Fragen. Also, das ist nun auch nicht das Allheilmittel, aber das erscheint mir in der Gesamtlogik dessen, was wir bereits tun, die beste Lösung, um zu verhindern, dass jeden Tag mehrere Zehntausend Menschen ins Land kommen.
Schmidt-Mattern: Und warum sollte in diesen Zentren plötzlich gelingen, was bisher in den Erstaufnahmeeinrichtungen ja seit Monaten nicht funktioniert, die Registrierung?
Laschet: Die Registrierung funktionierte vor Monaten nicht, aber sie funktioniert seit wenigen Wochen viel, viel besser. Das BAMF, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, hat viele, viele Mitarbeiter. Mit dem neuen Präsidenten Weise ist eine neue Dynamik in die Behörde gekommen, und man arbeitet jetzt auch viele der Anträge ab, die schon lange gelegen haben. Das ist natürlich die Voraussetzung für eine solche Transitzone, Reisezentren, wie immer Sie das nennen wollen, dass genügend Mitarbeiter da sind, die in schneller Geschwindigkeit die Anträge bearbeiten können. Dann müssen Verwaltungsrichter da sein, denn jeder hat ja auch noch einen Rechtsanspruch. Aber andere Länder in Europa schaffen das ja auch. Wir haben das bisher nicht als notwendig betrachtet, aber ich glaube, die Lage, dass jeden Tag noch immer so viele Menschen kommen, erfordert jetzt auch ein solches Konzept.
Schmidt-Mattern: Sie sind ja nicht nur stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU, sondern Sie sind auch Landespolitiker, Vorsitzender der CDU in Nordrhein-Westfalen. Ist aus Ihrer Sicht, als Nordrhein-Westfale, denn eigentlich das ausreichend, was der Bund im Moment für die Länder leistet? Beispiel "Erstaufnahmeplätze", da hieß es nach dem Gipfeltreffen von Bund und Ländern im September, man wolle, ich glaube, bis zu 40.000 neue Plätze bereitstellen. Die gibt es bis heute nicht, oder?
Laschet: Es gibt viel, viel mehr Plätze, aber wir haben ja – wie Sie wissen – in Deutschland eine Aufteilung, dass für manche Dinge Kommunen zuständig sind, für manche Dinge die Länder und für manche Dinge der Bund. Und es ist etwas einfach, wenn die Länder einfach sich zurücklehnen und sagen: Der Bund soll jetzt mal machen. Auch Länder in Deutschland agieren unterschiedlich. Auch Länder in Deutschland unterstützen sehr unterschiedlich ihre Kommunen: In Nordrhein-Westfalen, wo ich ja herkomme, waren das bis vor kurzem 30 Prozent der Kosten, die den Kommunen erstattet wurden von der Landesregierung. In Bayern waren es 100 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern auch und im Saarland auch. Und daran kann man sehen: Ja, der Bund muss mehr machen, der Bund hat sechs, acht, zehn Milliarden jetzt in absehbarer Zeit, auch sehr kurzfristig, zugesagt, aber die Länder müssen auch machen. Und die Qualität zwischen den deutschen Ländern ist doch sehr unterschiedlich in ihren Integrationskonzepten und in der Finanzierung der Kommunen.
Schmidt-Mattern: Herr Laschet, wenn wir noch einmal auf den Plan für Einreisezentren zurückkommen. Stimmen Sie der SPD zu, dass das keine Zäune oder Mauern sein dürfen, von denen diese Zentren umgeben sind? Sprich, dass sich dort jeder Flüchtling frei bewegen kann, dieses Zentrum auch verlassen kann, wenn er möchte?
Laschet: Ja, ich kann der SPD ja nicht zustimmen bei ihren unausgegorenen Vorschlägen.
Schmidt-Mattern: Nun, das ist ja sehr konkret: Also entweder Zäune, Ja oder Nein?
Laschet: Die SPD schlägt irgendetwas vor und sagt dann: 'Ja, da soll kein Zaun drum rum sein.' Da kann ich sagen: 'Ja, schön.' Wenn ich auch irgendetwas vorschlage, in irgendeiner Kommune, wird da kein Zaun drum herum sein. Das ist aber ja noch kein Konzept, zu sagen: Ich mache jetzt quer in Deutschland irgendwo Zentren, die ich Reisezentren nenne. Das klingt mehr nach Deutscher Bahn als angemessen, was hier für einen Menschen, der eine lange Flucht, eine schreckliche Reise hinter sich hat. Da finde ich das Wort "Reisezentrum" etwas unangemessen.
Schmidt-Mattern: Einreisezentrum.
Laschet: Der Herr Jäger in Nordrhein-Westfalen hat immer von "Reisezentren" gesprochen – jetzt heißt es "Einreisezentrum". Man wird dem Thema auch nicht gerecht, wenn man jeden Tag neue Worte erfindet, jeden Tage neue Ideen in die Welt pustet. Im Juni sind bereits Erstaufnahmeeinrichtungen des Bundeskabinetts mit dem SPD-Vorsitzenden, mit 16, auch rot-grün regierten Ländern besprochen worden. Warum kommt man jetzt zum 1. November mit einem Vorschlag, der unwesentlich das Gleiche ist, was man im Juni bereits beschlossen hat? Wenn man so weitermacht, dann verwirrt man wirklich die Menschen, weil die Menschen irgendwann auch merken, was Wortakrobatik ist oder was ein System ist, um sauber Asyl und Einwanderung zu trennen, den Schutzbedürftigen zu helfen und denen, die keinen Schutz haben, auch eine schnelle Rückkehr in das Heimatland zu ermöglichen. Und ob da Zäune um etwas sind, was man jetzt gerade sich gestern erfunden hat, das ist mir relativ egal. Natürlich wird das keine Zäune haben, wenn man in jeder Kommune in Deutschland so etwas einführt.
Schmidt-Mattern: Okay, wir halten fest: Wenn welche Art von Zentren auch immer kommen, dann wollen Sie keine Zäune darum haben. Oder Zäune stehen ja nur symptomatisch ...
Laschet: Ja, aber was heißt "Zäune". Wenn Sie mal in einer Erstaufnahmeeinrichtung gewesen wären, irgendwo im Land, würden Sie wissen, dass jede einzelne einen Zaun hat. Es ist meistens ein Kasernengelände, eine große Einrichtung, da ist ein Zaun drum herum.
Schmidt-Mattern: Na ja, man kann das frei betreten oder auch verlassen.
Laschet: Das ist eine andere Frage – Sie haben ja nach Zäunen gefragt. Zäune hat jede Einrichtung.
Schmidt-Mattern: Als Bild dafür, ob es freien Zutritt gibt oder ob ein Flüchtling quasi gezwungen wird, dort zu verbleiben.
Laschet: Niemand sitzt in Deutschland in Haft, wenn er als Flüchtling ankommt.
"Es gibt keine Obergrenzen für ein Grundrecht"
Schmidt-Mattern: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit Armin Laschet, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Bundespartei und Landesvorsitzender der CDU in Nordrhein-Westfalen. Kommen wir auf ein anderes umstrittenes Thema, nämlich die Abschiebungen. Horst Seehofer fordert, es müsse Obergrenzen geben bei der Zuwanderung von Flüchtlingen nach Deutschland. Die Kanzlerin ist bislang (noch) dagegen. Wie ist Ihre Meinung, brauchen wir eine Begrenzung nach oben hin?
Laschet: Auch das ist ein ganz einfacher Fall. Und da würde ich wieder – jetzt nicht Ihnen, sondern denen, die es benutzen – vorwerfen: Wortakrobatik.
Schmidt-Mattern: Wen meinen Sie genau, wenn Sie das vorwerfen?
Laschet: Ja, jeder, der diese Frage stellt: Gibt es Obergrenzen? Jeder, der ins Grundgesetz guckt, weiß, es gibt keine Obergrenzen für ein Grundrecht. Ein Grundrecht ist ein Grundrecht. Aber jeder weiß auch – das ist auch die Wahrheit –, es können nicht jedes Jahr eine Million Menschen kommen. Es geht nicht, dass wir jedes Jahr in Deutschland eine Million Menschen zusätzlich integrieren. Das wird unsere Kommunen, unsere Gesellschaft überfordern. Was ist jetzt die Antwort auf ... : Gibt es Obergrenzen? Nein, es gibt juristisch, grundgesetzlich, dem Schutz des Grundrechts angemessen, keine Obergrenzen. Es gibt aber faktisch eine Zahl, die wir nicht jedes Jahr leisten können. Und daraus werden dann immer Gegensätze gestrickt: Der Eine sagt das so herum, der Andere sagt das so herum. Ich finde, wenn man die Realität beschreibt, muss man das beides sagen. Und deshalb muss das Ziel sein, die hohe Zahl, die wir im Moment erleben, drastisch herunter zu bringen.
Schmidt-Mattern: Und wie?
Laschet: Und das tut die Bundeskanzlerin seit Wochen. Und das hat übrigens auch nichts mit Symbolik zu tun. Wenn da mancher sagt: 'Ja, die muss jetzt mal andere Signale setzen. Die hat das Handyfoto gemacht, das Selfie-Foto gemacht und deshalb sind plötzlich Hunderttausende in der Welt losmarschiert, weil sie dieses Handyfoto gesehen haben.' Also unsere Argumentation hat ja auch manchmal etwas von Begrenztheit in seiner Logik. Sie hat im Sommer dem Mädchen Reem, dem palästinensischen Mädchen im Fernsehen erklärt: Es wird nicht jeder bleiben können. Die ganze deutsche Presse hat gesagt: 'Mein Gott, ist das eine harte Bundeskanzlerin!' Der Stern hat getitelt: "Die Eisprinzessin" – gefühllos und kalt erklärt sie diesem armen Mädchen, dass nicht jeder bleiben kann. Ja, das war eine harte Botschaft – trotzdem sind Hunderttausende in der Zwischenzeit gekommen. Die haben sich nicht von diesem einen Interview abhalten lassen. Und jetzt haben wir eine Lage, dass man sagt: Deutschland ist viel zu human. Und ich halte die Haltung der Bundeskanzlerin, dass der, der in Deutschland ist, es verdient hat, dass man ihm mit Respekt, mit Freundlichkeit begegnet, dass man nicht unfreundlich ist zu denen, die hier im Lande sind, das halte ich für geboten, das halte ich für angemessen und das halte ich für richtig.
Schmidt-Mattern: Herr Laschet, Sie haben jetzt viele Beispiele genannt dafür, dass es im Moment auch ein Kommunikationsproblem in der Großen Koalition gibt. Namentlich wird das auch immer wieder der Kanzlerin selbst vorgeworfen, von der es heißt, sie müsse ihre Politik besser erklären. Trägt das dazu bei, dass vielleicht die Sorge vor Kontrollverlust in einigen Teilen der Bevölkerung umgeht? Der aktuelle Spiegel titelt diese Woche mit dem Begriff "Kontrollverlust". Müsste die Kanzlerin ihre Politik in diesen Zeiten besser erklären?
Laschet: Alle müssen die Politik erklären. Wir sind ja kein Präsidialsystem, wo irgendwo ein König oder eine Königin an der Spitze sitzt und alle anderen überhaupt nichts damit zu tun haben. Wir haben ein Bundeskabinett, wir haben einen Bundesinnenminister, einen Bundesaußenminister, der in diesen Fragen unterwegs ist. Wir haben einen SPD-Parteivorsitzenden. Wir haben einen CSU-Parteivorsitzenden. Wir haben zig Abgeordnete, die sich ständig dazu artikulieren. Ja, ein öffentlicher Streit, jeden Tag ein neuer Vorschlag, hilft nicht weiter. Man muss erklären, was an Konzepten da ist. Das ist das, was der Bundestag innenpolitisch beschlossen hat. Das sind die Schritte auf der europäischen Ebene, um zu europäischen Lösungen zu kommen. Das sind die Verhandlungen mit der Türkei. Das ist die Aufstockung des Welternährungsprogramms. Es war ja eine absurde Situation, dass wir in den letzten Jahren – Deutschland, Frankreich, die Europäische Union – die Mittel für die Ernährung in den Flüchtlingslagern von Jahr zu Jahr gekürzt haben, ein riesiger Fehler, und dann haben die Menschen plötzlich gehungert und sich erst Recht auf den Weg gemacht. Jetzt wird das korrigiert. Jetzt werden die Bedingungen in den Flüchtlingslagern im Libanon, in Jordanien, in der Türkei wieder verbessert, die Außengrenze wird besser geschützt. Es gibt – auch viel zu spät aus meiner Sicht – seit Tagen intensive Bemühungen, den Syrien-Konflikt jetzt zu beenden, mit Russland zusammen. Also es passiert so viel, man muss das nur den Menschen erklären. Und öffentlicher Streit verunsichert eher, als dass es hilft.
Schmidt-Mattern: Dieser letzte Satz, den Sie da gerade sagen: "Öffentlicher Streit verunsichert eher", ich denke, das ist eine Botschaft, die Sie vor allem an Horst Seehofer richten oder wen adressieren Sie da?
Laschet: Richtig. An jeden, der – und das ist eine lange Palette, die nicht auf ein DIN-A4-Blatt passen würde – in den letzten Wochen alles kontroverse Vorschläge gemacht hat und eben nicht sich darum gekümmert hat, wie wir die Probleme lösen.
Schmidt-Mattern: Gefährdet eigentlich Horst Seehofer die Handlungsfähigkeit der Union, wenn er derartig zündelt und den Streit in der Union derartig befeuert, dass man von außen gesehen manchmal das Gefühl hat, es geht mehr um den Streit der Schwesterparteien, als um die Sache?
Laschet: Also Sie haben sich jetzt da auf Horst Seehofer sehr kapriziert in unserem schönen Sonntagsgespräch. Ich teile nicht alles, was er macht. Aber ich muss mal dazu sagen, es ist nicht nur Horst Seehofer, es gibt viele Bürgermeister, parteiübergreifend, es gibt Boris Palmer in Tübingen, von den Grünen. Das ist eine gesellschaftspolitische Diskussion, wo es um ein Ringen um den rechten Weg geht. Und dem wird man nicht gerecht, indem man immer sagt: 'Das ist ein High Noon zwischen Seehofer und Merkel – wer wird sich durchsetzen?' Nein, es ist eine Diskussion, die durch die Familien, durch das ganze Land, an jedem Ort, wo sich Menschen treffen, derzeit stattfindet. Horst Seehofer betont eher die eine Richtung da sehr stark. Und indem, was er übrigens praktisch in Bayern macht, muss ich sagen: Ich würde mir wünschen, wenn wir in Nordrhein-Westfalen bei der rot-grünen Regierung eine so vorbildliche Integrationspolitik hätten, wie Bayern. Da reden die nicht so viel drüber, aber es gibt jetzt schon klar Pläne für die Kitas, für die Schulen, für den Wohnungsbau. Alles das fehlt in anderen Ländern noch. Also insofern, es ist nicht eine parteipolitische Frage, sondern eine Frage, die quer durch Freundeskreise und Familien geht. Und zum "Spiegel" noch ein Satz: Also dass der "Spiegel" titelt, Deutschland sei im Ausnahmezustand: Es gibt auch eine mediale Verantwortung, mit Worten umzugehen. Wenn das, was wir im Moment in Deutschland erleben, der Ausnahmezustand ist, dann würde manches Land der Erde sich einen solchen Ausnahmezustand wünschen. Uns geht es wirtschaftlich so gut wie noch nie. Und wir leben in den glücklichsten Zeiten eigentlich, die Deutschen heute, und dann von "Ausnahmezustand" zu reden, ist schon zynisch gegenüber vielen Ländern in Europa und der Welt, die ganz andere Herausforderungen zu bewältigen haben.
Schmidt-Mattern: Armin Laschet, Christdemokrat aus Nordrhein-Westfalen, Landesvorsitzender, heute bei uns im Interview der Woche, im Deutschlandfunk. Lassen Sie uns auf die Stimmungslage in Ihrer Partei gucken. Die Union ist abgesackt, um gleich mehrere Prozentpunkte in den vergangenen Wochen. Ich denke, dass Sie das beunruhigen muss. Wolfgang Schäuble wurde zitiert im "Spiegel" letzte Woche mit dem Satz, die Stimmung in der Partei sei dramatisch. Wie nehmen Sie die Stimmung in Ihrer CDU zurzeit wahr?
Laschet: Ich nehme sie, wie in der gesamten Gesellschaft wahr: Angespannt. Die Menschen haben Fragen. Wenn man in Versammlungen erklärt, was wir machen, ist die Stimmung schon wieder eine andere. Und dass Sie in einer solch herausfordernden Situation – sowas haben wir seit 25 Jahren in der Weise nicht gehabt, seit der Wiedervereinigung – nicht andauernd knapp an der absoluten Mehrheit liegen, wie das bei der Bundestagswahl unter Angela Merkel 2013 der Fall war, das ist klar. Aber mich interessieren in diesen Tagen wirklich ganz wenig die Umfragen. Man muss jetzt das tun, was richtig ist und das wird auch mittel- und langfristig honoriert werden.
" ... alles versuchen, um zu verhindern, dass die AfD Einfluss in Deutschland gewinnt"
Schmidt-Mattern: Sie sagen, die Umfragen interessieren Sie nicht.
Laschet: Jetzt interessiert sie mich nicht. Wenn Wahlen sind, interessieren die mich, aber jetzt interessiert mich, was richtig ist.
Schmidt-Mattern: Nun gut, aber wir haben in einigen Monaten – das ist gar nicht mehr so lange hin –, im März nächsten Jahres gleich drei Landtagswahlen, unter anderem im wichtigen Stammland auch der Union, in Baden-Württemberg. Muss nicht die Union vorher ein klares Konzept vorlegen auch in der Flüchtlingspolitik, um in diesen anstehenden Landtagswahlkämpfen, ich sage mal, Oberwasser zu gewinnen und auch vor allem zu gucken, dass sie nicht zu viele Stimmen an die AfD verliert?
Laschet: Ich glaube, alle Parteien verlieren im Moment Stimmen an die AfD. Rechtspopulisten profitieren immer von einer solchen unsicheren Lage.
Schmidt-Mattern: Besorgt Sie das?
Laschet: Natürlich besorgt mich das. Also da ist jede Stimme eine gefährliche. Hier in Nordrhein-Westfalen hat der Landesvorsitzende der AfD jetzt in einem Interview gesagt: 'Ja, was machen Sie denn, wenn die Flüchtlinge an dem Zaun nicht stehen bleiben?' Dann hat er gesagt: 'Als ultima ratio muss man dann die Schusswaffe einsetzen.' Also da graut es mir, bei solchen Vorstellungen, die da geäußert werden. Und insofern muss man alles versuchen, um zu verhindern, dass die AfD Einfluss in Deutschland gewinnt.
Schmidt-Mattern: Herr Laschet, wir nähern uns schon wieder dem Ende unserer Sendezeit. Ich würde gerne zum Abschluss noch einmal den Blick ins Ausland richten, Sie haben es selber schon angesprochen: Heute finden Parlamentswahlen in der Türkei statt. In wieweit wird das Ergebnis aus Ihrer Sicht Auswirkungen auf die europäische Flüchtlingspolitik haben?
Laschet: Ich glaube, es wird keine Auswirkungen haben. Denn die Verabredungen, die getroffen worden sind, sind ja mit Präsident Erdogan getroffen worden. Wir haben dort ein sehr starkes Präsidialsystem. Er bleibt auch Präsident nach den Wahlen, weil es ja nur um die Parlamentswahlen geht und nicht die Präsidentenwahlen.
Schmidt-Mattern: Aber es geht ja um die entscheidende Frage, ob die Türkei politisch stabil bleibt.
Laschet: Ja gut, aber die Vorstellung von manchen ist, dass sie nur stabil ist, wenn Herr Erdogan eine absolute Mehrheit hat. Ich finde, ein Land könnte auch stabil sein, wenn es danach eine Koalitionsregierung hinbekommt. Das werden heute die türkischen Wähler entscheiden. Eine Prognose ist schwer abzugeben, aber ich glaube nicht, dass die Stabilität in den außenpolitischen Fragen zum Syrien-Konflikt und zur Flüchtlingsfrage bei uns von dieser Wahl am heutigen Tage abhängt.
Schmidt-Mattern: Aber die Europäische Union – so viel steht fest – wird die Türkei mehr denn je brauchen in den kommenden Monaten, voraussichtlich auch Jahren.
Laschet: Ja, das stimmt.
Schmidt-Mattern: Ist Erdogan als Präsident ein, sage ich mal, vertrauensvoller Partner für die Europäer?
Laschet: Also, Außenpolitik besteht klugerweise daraus, mit dem, der Präsident ist, zusammenzuarbeiten. Das ist kein Wunschkonzert. Das gilt übrigens auch für die Europäische Union – da könnte ich mir auch manche Regierung anders vorstellen. Das gilt übrigens auch für Deutschland. Man muss akzeptieren: Wer ist Präsident? Und das ist jetzt Herr Erdogan. In Russland ist es Herr Putin. Ob man den mag oder nicht, man wird die Türkei, man wird Russland bei der Befriedung in Syrien brauchen. Und dies anzuerkennen und sich nicht immer Wunschpartner zu erwünschen, gehört, glaube ich, auch zur Realpolitik und zur Außenpolitik, die wir in diesen Tagen brauchen. Für Spielchen, wen man sich wünscht oder nicht, ist da wenig Platz. Und Herr Erdogan muss das einhalten, was mit ihm besprochen wurde, und daran wird man ihn messen.
Schmidt-Mattern: Die deutsche und europäische Flüchtlingspolitik bleibt eine Herausforderung für die deutsche Innenpolitik, aber auch für Europa, für die Europäische Union. Das war heute eines unserer Themen im Interview der Woche. Herr Lasche, ich danke Ihnen.
Laschet: Bitteschön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.