Donnerstag, 28. März 2024

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Flüchtlingspolitik
"Es gibt einen gewissen Dissens" zur Position der Kanzlerin

Bayerns Finanzminister Markus Söder ist skeptisch, dass in der Flüchtlingsfrage noch eine europäische Lösung zustandekommt. Er sagte im DLF, andernfalls müsse man selbständig handeln und nationale Maßnahmen ergreifen. Zur Position der Kanzlerin gebe es noch immer einen "gewissen Dissens".

Markus Söder im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 29.02.2016
    Markus Söder von der CSU
    Markus Söder von der CSU (dpa / picture-alliance / Peter Kneffel)
    Markus Söder betonte, Angela Merkel habe gestern Abend im ARD-Fernsehen nichts Überraschendes gesagt. Er teile nicht die Auffassung, dass die Lage sich grundlegend verbessert habe. Dass die Flüchtlingszahlen an der deutschen Grenze zurückgegangen seien, liege daran, dass Österreich und die Westbalkanstaaten genau das getan hätten, was die CSU vorschlage, nämlich nationale Maßnahmen zu ergreifen. Eine europäische Lösung sei zwar das Beste, er sei aber skeptisch, dass sie zustandekomme.
    Söder kritisierte nachdrücklich die neuen Forderungen von SPD-Chef Gabriel, der ein milliardenschweres Sozialpaket für geboten hält. Das sei Unsinn, was Gabriel fordere. Der SPD-Chef verfolge einen Schlingerkurs, der nichts bringe. Die Partei wolle aus schlechtem Gewissen heraus irgendein Zusatzpaket schnüren und dafür Stabilitätsziele aufgeben. Besser sei es, wenn der Bund sich an den Integrationsmaßnahmen der Länder beteilige.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Es ist nun einige Wochen her, dass die CSU-Staatsregierung in München einen Brief an die Kanzlerin geschickt hatte mit der klaren Forderung, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, spürbar zu reduzieren. In dem Brief drohte Ministerpräsident Seehofer auch eine Klage vor dem Verfassungsgericht an. Bevor man die in Karlsruhe einreichen werde, wolle man aber zunächst die Antwort der Kanzlerin abwarten, hieß es zuletzt. Doch auf diese Antwort warten die Christsozialen immer noch. Stattdessen setzte sich Angela Merkel in das TV-Studio von Anne Will, um für ihren Kurs zu werben, und über ihren Fernsehauftritt kann ich jetzt sprechen mit Markus Söder (CSU), Finanzminister in Bayern. Schönen guten Morgen, Herr Söder.
    Markus Söder: Schönen guten Morgen. Grüß Gott.
    Heckmann: Herr Söder, was halten Sie eigentlich davon, dass die Kanzlerin Zeit hat, sich anderthalb Stunden ins Fernsehen zu setzen, aber offenbar nicht, Ihren Brief zu beantworten?
    Söder: Nun, es ist ja das gute Recht einer Kanzlerin, in einer Talkshow ihre Position darzustellen. Da hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Ich glaube insgesamt, dass der Auftritt gestern nichts Überraschendes gebracht hat. Die Kanzlerin hat ihre Haltung noch einmal bekräftigt. Letztlich bleibt da ein gewisser Dissens in der Einschätzung. Die Einschätzung, dass beispielsweise die Lage sich jetzt in diesem Monat etwas verbessert hat, liegt ja nicht zuletzt daran, dass die Österreicher und die Staaten am Westbalkan genau das tun, was wir vorschlagen, nämlich nationale Maßnahmen zu ergreifen. Und wenn man das dann noch etwas gekoppelt hat mit Schwächen, die es sowohl im griechischen Fährsystem gegeben hat als auch vom Wetter, dann kann man nun wirklich nicht von einer endgültigen Entspannung sprechen.
    Heckmann: Was sagen Sie denn dazu, dass Angela Merkel jetzt trotzdem sagt, sie hält Kurs, sie hat keinen Plan B?
    Söder: Klar ist auf jeden Fall, dass sie auf eine europäische Lösung setzt. Wenn die kommt, wäre es auch das Beste. Das ist keine Frage und da unterstützen wir sie auch.
    Heckmann: Und da ist sie auch sehr überzeugt davon, dass sie kommt.
    Söder: Ja, da ist sie sehr überzeugt davon, und es ist auch positiv, mit dieser Leidenschaft in dieser Sache sich so einzubringen.
    Heckmann: Positiv, aber naiv?
    Söder: Positiv, weil es ist sehr wichtig, dass jemand von dem, was er tut, auch überzeugt ist. Ob es am Ende so kommen wird, das wird sich natürlich zeigen. Die letzten Gipfelbemühungen zeigen genau das Gegenteil. Ich bleibe da persönlich sehr, sehr skeptisch. Wir bleiben da skeptisch, ob dieser Erfolg erzielbar ist, denn das, was bislang geschafft wurde, geht ja ausschließlich auf einseitige nationale Maßnahmen zurück. Deswegen finde ich auch, sollte man die Österreicher unterstützen und sie nicht angreifen, denn sie und viele andere Staaten sorgen im Moment eigentlich dafür, dass es eine europäische Lösung gibt.
    "Sicherheit eines Staates ist oberstes Gut"
    Heckmann: Der bayerische Innenminister, Ihr Kabinettskollege Herrmann, der lässt die bayerische Polizei Vorbereitungen für den Fall treffen, dass die Grenzen weitgehend dicht gemacht werden auch in Deutschland. Sind diese Vorbereitungen nicht aber reiner Populismus, denn Grenzsicherung ist schließlich Sache der Bundespolizei?
    Söder: Es ist Vorsicht und Vernunft. Es wäre ja tragisch, wenn dann die Maßnahmen greifen, wenn die Maßnahmen angeordnet würden, und wir wären alle nicht gemeinsam darauf vorbereitet. Es ist ja genau das Problem, das wir im vergangenen Jahr hatten. Wir waren auf viele Entscheidungen nicht vorbereitet. Die Entscheidungen zu treffen, die Grenzen weitgehend zu öffnen, haben ja zu erheblichen Problemen geführt, übrigens bis auf den heutigen Tag, nicht nur in Fragen der Sicherheit, auch in Fragen der Integration. Viele Länder und Kommunen haben erhebliche finanzielle Schwierigkeiten und erwarten deswegen auch, dass der Bund deutlich mehr Lasten im Rahmen einer fairen Partnerschaft trägt. Insofern ist neben dieser Frage auch ganz wichtig, dass man vorbereitet ist, denn die Sicherheit eines Staates ist oberstes Gut und Auftrag für die Bürger.
    Heckmann: Sie sprechen von erheblichen Problemen. Erhebliche Probleme hat aber jetzt durch diese nationalen Maßnahmen, die ergriffen worden sind, vor allem Griechenland, wie man jetzt an den Bildern und in den Nachrichten aus Athen erkennen kann, und darauf hat auch die Kanzlerin noch mal hingewiesen. Die nationalen Lösungen sind nicht die Lösung.
    Söder: Das glaube ich nicht. Zuerst einmal ist zu sagen, dass Griechenland ja eigentlich seinen Kernauftrag, nämlich den Schutz der Außengrenzen, für den es auch Unterstützung erhalten hat, immer aus Europa, bislang nicht erfüllt hat. Das ist ganz definitiv festzuhalten. Zweitens kann man sagen, dass auch Europa bislang nicht Entscheidungen gebracht hat, denn eigentlich sollten ja schon lange 160.000 Flüchtlinge verteilt werden, die schon lange in Europa sind. Auch das hat bislang überhaupt nicht stattgefunden und funktioniert nicht.
    Heckmann: Aber da ist die Kanzlerin auch sehr…
    Söder: Darf ich den Satz zu Ende führen? Lassen Sie mich den Satz einmal zu Ende führen? - Deswegen kann man sagen: Wenn es irgendwo eine Problematik gibt, dann ist das immer in Europa und bei der europäischen Lösung zu sehen und nicht bei nationalen Maßnahmen.
    Heckmann: Die Kanzlerin zeigt sich trotzdem überzeugt, dass der Druck der Verhältnisse und auch die Tatsache, dass jetzt jeder erkennen kann, dass nationale Lösungen das Problem nicht beheben, dazu führen wird, dass auf europäischer Ebene endlich ein Kompromiss, auch was die Verteilung der Flüchtlinge angeht, kommen wird.
    Söder: Das wäre schön und das wäre wünschenswert, und wenn das klappt, sind wir alle froh. Die Frage bleibt, ob das funktioniert. Man hat jetzt von Gipfel zu Gipfel gesehen, dass die Lage nicht einfacher wird. Es ist auch nicht einfacher, sich allein auf die Türkei zu verlassen, in der Hoffnung, die Türkei könne das Problem für Europa lösen. Es wird sich jetzt bei den nächsten Gesprächen zeigen, ob das erfolgreich ist. Wenn es klappt, ist das gut. Ich bleibe skeptisch. Und wenn das dann nicht funktioniert, dann haben wir auch nicht ewig Zeit, sondern dann müssen wir auch selbstständig handeln.
    Heckmann: Was ist denn jetzt eigentlich mit Ihrer Klage? Warten Sie jetzt noch weiter ab? Ihr Brief, der ist ja übers Fernsehen jetzt mehr oder weniger beantwortet worden, oder?
    Söder: Nein, natürlich nicht. In dem Brief geht es ja um viele auch juristische Fragestellungen, die für eine Verfassungsklage von entscheidender Bedeutung sind. Die warten wir jetzt noch ab. Wir haben auch da keinen Zeitdruck. Allerdings kommt der Zeitdruck durch die realen Verhältnisse und wir werden dann auch zeitnah entscheiden, wie wir weiter vorgehen. Für uns ist das natürlich auch eine ganz wichtige Frage, denn wenn erkennbar durch Verfassungsrechtler festgestellt wird, dass Verfassungsrecht nicht eingehalten wird, dann muss man was dagegen tun.
    Heckmann: Sie wollen weiterhin abwarten, bis die Antwort bei Ihnen eintrudelt. Ich glaube, vor vier Wochen oder so haben Sie den Brief losgeschickt von der Staatsregierung. Meinen Sie denn, dass er noch kommt?
    Söder: Ja, da bin ich sicher.
    Heckmann: Und wenn nicht?
    Söder: Ich gehe davon aus, dass er kommt.
    Heckmann: Okay. Und dann werden Sie dementsprechend entscheiden. - SPD-Chef Sigmar Gabriel, der fordert jetzt ein milliardenschweres Sozialpaket, damit sich die einheimische Bevölkerung nicht vernachlässigt fühlt. Notfalls müsse die schwarze Null geopfert werden. Finanzminister Wolfgang Schäuble nennt eine solche Forderung erbarmungswürdig. Schließen Sie sich da an?
    Söder: Ob das Wort jetzt richtig ist, weiß ich nicht. Auf jeden Fall ist es Unsinn, was Gabriel fordert. Man merkt natürlich auch, unter welchem Druck er steht. Die SPD ist innerlich völlig zerrissen. Der eine Teil ihrer Wähler geht zu den Grünen, weil sie sich eine noch offenere Haltung wünschen bei der Grenzfrage, und ein großer Teil ihrer Wähler verweigert ihnen die Zustimmung, weil sie genau unsere Position der CSU unterstützen.
    "SPD müsste eine klare Position in der Begrenzung der Zuwanderung haben"
    Heckmann: Und die Union schaut zu, wie die gesellschaftliche Spaltung in Deutschland weitergeht.
    Söder: Jetzt kommt aus dem schlechten Gewissen und der Unsicherheit vor den Wahlen, in denen die SPD sicher zum Teil in atemberaubender Weise sich sogar Parteien nähert, die wir nun wirklich nicht im Parlament haben wollen, was jeweils die Prozentzahl betrifft, versucht Gabriel jetzt so einen Schlingerkurs. Das bringt doch gar nichts. Die SPD müsste eine klare Position in der Begrenzung der Zuwanderung haben. Die SPD müsste nicht verzögern, wenn es um die Asylpakete I und II geht. Die hingen ja lange am Widerstand der SPD. Das wäre besser, als jetzt sozusagen aus schlechtem Gewissen irgendein Zusatzpaket zu schnüren und dann dafür Stabilitätsziele aufzugeben. Besser wäre es, der Bund würde sich sinnvoll beteiligen an den Integrationsmaßnahmen der Länder. Da kämen wir viel weiter, als jetzt ein solches neues Sozialpaket aufzulegen.
    Heckmann: Aber es geht der SPD - das haben wir gerade auch von Johannes Kahrs hier im Deutschlandfunk gehört - um den sozialen Zusammenhalt. Hat die Union die Zeichen der Zeit nicht erkannt und macht sie sich im Prinzip dadurch auch mitschuldig am Erstarken des Rechtsextremismus?
    Söder: Na ja, völliger Unsinn, oder zumindest die These ist Unsinn. Erstens einmal, wenn ich allein den Freistaat Bayern nehme: Wir haben schon ein 500 Millionen Euro Integrationspaket aufgelegt, das seit 1.1. Greift, mit der Besetzung von Bildung, von Lehrerstellen beispielsweise, Integrationskursen. Wir legen ein eigenes bayerisches Integrationsgesetz vor. Da, glaube ich, brauchen wir keine Nachhilfe. Ganz im Gegenteil: Da haben viele SPD-Länder das Problem, dass sie wegen ihrer schlechten Haushaltspolitik keinen Cent zur Verfügung haben, um selbstständig agieren zu können. Aber die Integration der Menschen, die jetzt bei uns sind und auch bleiben werden, die, die bleiben werden - die anderen müssen wir wieder in die Länder zurückführen, aus denen sie kommen, die keine Bleibeperspektive haben -, diese Integration, die stattfindet, kann nur dann gelingen, wenn wir nicht ständig enorm neue Zuwanderung haben. Insofern ist der erste wichtigste Schritt zu einer möglichen Integration eine Begrenzung der Zuwanderung.
    Heckmann: Aber mittlerweile sind ja viele Menschen im Land, egal ob jetzt noch viele dazukommen oder nicht, und die müssen integriert werden. Und die SPD, die pocht darauf, dass der Großteil der einheimischen Bevölkerung nicht unter den Tisch fällt.
    Söder: Ja, das sollte er auf keinen Fall. Aber deswegen machen wir ja viel. Ich meine, die Bundesregierung hat die letzten zwei Jahre eher was getan für Sozialpolitik anstatt für die Stärkung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, wenn Sie an Rente mit 63 denken, wenn Sie an die Mütterrente beispielsweise denken. Wir haben ja nun wirklich vieles gemacht und das hat die Kanzlerin übrigens gestern Abend zurecht sehr deutlich und sehr nachhaltig dargestellt. Ich glaube, das jetzt aus dem Lamäng heraus zu machen der SPD, ist eher schwierig. Noch ein Argument dazu: SPD-Länder wollen die Gesundheitskarte einführen. Wer die Gesundheitskarte einführt, führt erst recht dazu, dass es zu Leistungsverdrängung und möglicherweise Leistungskürzung bei der einheimischen Bevölkerung kommt. Deswegen ist das völlig unverständlich, wieso Gabriel auf der einen Seite eine Gesundheitskarte für alle will und gleichzeitig von Sozialpaketen spricht.
    "Schnellschuss-Konsens" würde nichts bringen
    Heckmann: Der eine nennt die andere Seite erbarmungswürdig, die andere Seite, die SPD, wirft der Union vor, den Rechtsradikalismus zu fördern. Ist das eigentlich noch eine Grundlage für eine gut funktionierende Koalition in Berlin?
    Söder: In der Tat ist das nicht ganz einfach und wenn man jetzt nicht parteipolitisch gebundener Bürger ist, dann blickt man da schon mit etwas Skepsis auf die Art und Weise des Diskussionsstils. Da stimme ich schon zu. Trotzdem ist eines klar: Es ist eine so ernste Zeit mit ernsten Themen, und in der Tat in jeder Familie wird darüber geredet mit zum Teil auch sehr kontroversen Meinungen, dass es nichts bringen würde, jetzt einfach so einen Schnellschuss-Konsens zu finden, denn die Probleme erfordern tatsächlich engagiertes Lösen. Deswegen muss man auch in der Sache konsequent bleiben und manchmal ist mir die Leidenschaft in der Politik lieber als jemand, der das nur so abtropfen lässt.
    Heckmann: Der bayerische Finanzminister Markus Söder war das von der CSU. Herr Söder, danke Ihnen für dieses Gespräch und Ihnen einen schönen Tag.
    Söder: Danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.