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Flüchtlingspolitik
"Wir werden das gemeinsam managen"

Gegenseitige Schuldzuweisungen zwischen Deutschland und Österreich in der Flüchtlingskrise brächten nichts, meint der österreichische Europaabgeordnete Heinz K. Becker. Die EU-Länder hätten die Flüchtlingsproblematik zu lange nicht ernst genommen, sagte er im DLF. Becker fordert außerdem, die EU-Außengrenzen militärisch zu sichern.

Heinz K. Becker im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Flüchtlinge laufen über ein Feld auf eine Straße, unter einem ramponierten EU-Logo.
    "Zäune sind eine Nulllösung, aber es muss etwas natürlich an baulichen Maßnahmen entstehen", sagte der österreichische Europaabgeordnete Heinz K. Becker im DLF. (dpa / Armin Weigel)
    "Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass wir die Außengrenzen Europas in einer Form sichern müssen, wie es das noch nie gegeben hat", sagte der Europapolitiker Becker. In klassischen Einwanderungsländern wie den USA, Kanada oder Australien sei es selbstverständlich, dass auch das Militär an den Außengrenzen eingesetzt werde. Europa habe das bisher nicht gemacht, sei aber auf dem Weg dorthin.
    Im Zusammenhang mit den hohen Flüchtlingszahlen sprach der ÖVP-Politiker von einer "unerwarteten Überforderung", vor der man stehe. Die einzige Methode damit umzugehen, sei eine Zusammenarbeit der Mitgliedsländer der Europäischen Union.
    Berichte, wonach das österreichische Innenministerium die Polizei angewiesen habe, Flüchtlinge auf den Weg nach Deutschland zu schicken, um so der deutschen Bundesregierung Druck zu machen, wies Becker zurück. Die Verstimmungen zwischen beiden Ländern seien aufgrund der Lage nachvollziehbar, aber würden schnell gelöst: "Wir werden das gemeinsam managen", so Becker.

    Das Interview mit Heinz K. Becker in voller Länge:
    Christiane Kaess: Am Telefon ist jetzt Heinz K. Becker von der Österreichischen Volkspartei. Er ist Mitglied des EU-Parlaments und dort im Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres. Guten Morgen, Herr Becker.
    Heinz K. Becker: Guten Morgen.
    Kaess: Herr Becker, Flüchtlinge, die in Bussen bei Nacht und Nebel ohne Vorankündigung von Österreich aus an der deutschen Grenze abgesetzt werden. Wer ist schuld?
    Becker: Ich glaube, wir haben es hier einen klassischen Fall von "alle sind schuld und nicht schuld" zu tun, denn wir haben ja von beiden Seiten Situationen, auf die wirklich niemand vorbereitet war. Alleine daraus ist ja schon ein Vorwurf zu erheben, und da muss ich auch auf die europäische Dimension sehr früh Bezug nehmen, dass man diese Fragestellungen der Migration nicht früher gemeinsam geklärt hat.
    Seit einem Jahr gibt es Pläne, im Mai hat es einen Juncker-Plan gegeben, im September wurde er wiederholt, das Europaparlament hat permanent dem zugestimmt und hat das voll unterstützt und die Mitgliedsstaaten haben nicht den Weg gesucht, den die Ministerpräsidentin Kraft ja gerade genannt hat, nämlich miteinander reden und zusammenarbeiten, und das ist jetzt die eindeutig einzige Methode, wie man dieser unerwarteten Überforderung der Politik gerecht werden kann.
    Kaess: Ja, Herr Becker, aber das ist es eben. Im Moment haben wir eine Überforderung und da geht es ja um den ganz praktischen Umgang jetzt erst einmal damit. Deswegen noch mal die Frage: Warum sind Absprachen von Österreich aus mit den deutschen Behörden nicht besser möglich?
    Becker: Wirklich im Detail kann ich das natürlich nicht kommentieren, weil ich es nicht weiß. Die Vorwurfstellung geht ja in beide Richtungen. Auf der anderen Seite ist es ja auch bekannt geworden, dass Deutschland ganz bestimmte Reduktionen der Flüchtlingsaufnahme durchführt und daher die unerwarteten Staus entstehen.
    Am Ende sind wir alle in dem gleichen Boot, dass Österreich zum Beispiel einen höheren Anteil an Flüchtlingsaufnahme bereits erledigt hat pro Kopf der Bevölkerung als Deutschland.
    Wiewohl ja die meisten nach Deutschland gelangt sind, haben wir dennoch mehr an Asylbewerbern aufgenommen als Deutschland. Das muss man alles ins Treffen führen. Und wenn dann relativ kurzfristig sich Veränderungen darstellen, dass Engpässe entstehen, weil Deutschland weniger aufnimmt und nur kontingentiert aufnimmt, dann ist das auch auf österreichischer Seite nicht leicht zu handeln.
    Auf der anderen Seite will ich nicht leugnen, dass hier eben genau der Faktor vielleicht von beiden Seiten nicht gewahrt wurde, dass man miteinander redet, und ich werfe das auch unserem Bundeskanzler vor, dass er viel zu spät die erfolgreiche Gesprächsachse mit der Bundeskanzlerin Merkel nicht auch auf den bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer erstreckt hat, denn da muss man auch mit dem Nachbarn ins Gespräch gehen.
    "Zäune sind eine Nulllösung"
    Kaess: Es gibt ja ganz konkrete Kritik aus Österreich selbst. Der sozialdemokratische Bürgermeister in Salzburg, Heinz Schaden, der hat gesagt, das Innenministerium hätte der Polizei Anweisung gegeben, dass sich die Flüchtlinge aus einer der Notunterkünfte aufmachen sollten an die deutsche Grenze. Er hat das Ganze bezeichnet als gezielte Aktion, um Druck auf Deutschland auszuüben, um mehr Menschen schneller aufzunehmen. Ist das vorstellbar, dass tatsächlich da gezielter Druck gemacht wird?
    Becker: Ich schließe das kategorisch aus. Ich glaube, hier wird jetzt schon wieder von allen Seiten politisches Kleingeld gemacht. Das ist ganz sicher keine politische Dimension des Handels unserer Innenministerin. Dass bestimmte Gruppen noch ungeduldig warten auf ihre Weiterreise und dann selber aufbrechen, das hat es eindeutig und nachweislich gegeben und das schafft dann auch Schwierigkeiten.
    Darum müssen die Grenzen auch gesichert werden in jenem Sinne, dass man an den Grenzübergängen ein geordnetes Hin und Her ermöglicht. Darum auch diese Diskussion über Zäune und allerlei, die es natürlich nie als Lösungsmodell geben kann. Zäune sind eine Nulllösung, aber es muss etwas natürlich an baulichen Maßnahmen entstehen, damit man geordnet nicht alle über die grüne Grenze lässt.
    Kaess: Herr Becker, dennoch noch mal kurz zurück zu meiner Frage. Es steht ja trotzdem die Vermutung im Raum, es könnte eine Reaktion darauf sein von Österreich, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel gesagt hat, Deutschland werde Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen.
    Becker: Ich schließe auch dies vollkommen aus. Es gibt hier keine Reaktionen von österreichischer Seite. Ich weiß das, ich habe mich darum ausführlich gekümmert und informiert.
    Was es gibt: Es gibt eine Konsequenz der deutschen politischen Haltung, und die lautet, dass mehr Flüchtlinge natürlich kommen und mehr Asylbewerber kommen, weil sie - ob missverständlich oder nicht - die moralisch-ethisch hochwertige Position der Bundeskanzlerin als eine reine Aufforderung verstanden haben und als Einladung verstanden haben. Das ist ganz klar passiert!
    "Wir werden die Gesprächsfähigkeit auf beiden Seiten erleben"
    Kaess: Und darüber ist man in Wien sauer?
    Becker: Nein. Ich weiß nichts davon, dass man sauer ist, sondern ich weiß nur eines: Wir haben hier die Folgen zu organisieren und das, glaube ich, ist jetzt der Fall und das führt natürlich auch zu diesen Unstimmigkeiten, die aber für mich ein kurzer Zeitpunkt sind.
    Wir werden die Gesprächsfähigkeit auf beiden Seiten erleben, dass es wieder funktioniert, so wie es sich gehört und wie es auch gerade zwischen Deutschland und Österreich Alltag war und sein wird. Wir werden das gemeinsam managen. Davon bin ich zutiefst überzeugt.
    Kaess: Sie haben die Diskussion um den Zaun gerade schon kurz angesprochen. Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner von der ÖVP, die sagt, wir müssen so schnell wie möglich an einer Festung Europa bauen. Auf der anderen Seite sagt Bundeskanzler Werner Faymann, er wolle keinen Zaun. Ist man sich denn überhaupt in der Koalition in Wien noch einig über die Flüchtlingspolitik?
    Becker: Wenn wir diese beiden Äußerungen gegenüberstellen, ist beides richtig. Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass wir die Außengrenzen Europas in einer Form sichern müssen, wie es das noch nie gegeben hat.
    "Die Außengrenze ist selbstverständlich zu schützen"
    Kaess: In der Form einer Festung? Diese Wortwahl wählen Sie auch?
    Becker: Nein, diese Worte die nehme ich jetzt natürlich nicht wichtiger als sie sind. Aber ganz sicher ist es so, dass man am Beispiel der erfolgreichsten Einwanderungsländer der Geschichte, nämlich den USA, Kanada und Australien feststellen muss, dass dort täglich selbstverständlich auch militärische Kräfte die Außengrenze durch Überfliegen der Coast Guard und der Schiffe selbstverständlich schützen, und zwar immer schon, und Europa hat das nicht getan in jener Form.
    Daher ist die Außengrenze selbstverständlich zu schützen, und zwar auch mit militärischen Mitteln und auch mit Sicherheitsmitteln jeder Art. Europa ist übrigens auf diesem Weg. Die Entscheidungen für die Stärkung von Frontex sind einvernehmlich getroffen worden und auch die Budgetmittel.
    "Uneinigkeit Europas bringt eine Erstarkung der populistischen Kräfte mit sich"
    Kaess: Und dass zum Beispiel über diesen Zaun jetzt so konkret in Österreich gesprochen wird, zeigt das, wie sehr die Politik in Österreich unter dem Druck der rechtspopulistischen FPÖ steht?
    Becker: Ich glaube, dass ganz Europa das Problem hat, dass die Uneinigkeit der Mitgliedsstaaten in allen Mitgliedsstaaten ein Erstarken der populistischen Kräfte mit sich bringt. Die Nichtlösung, die vor allem darauf zurückzuführen ist, dass die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nicht einig sind, die fertigen Pläne, die absolut umsetzbar sind - die sind von der EU-Kommission und dem Europaparlament einvernehmlich unterstützt worden -, diese Pläne umzusetzen, würde die heutigen Schwierigkeiten nicht mit sich gebracht haben.
    Darum hätten wir das früher tun müssen und wir haben ein halbes Jahr verloren. Der ganze Sommer, der nämlich genau diese Welle brachte, wäre nicht passiert, hätten wir längst an den Hotspots gearbeitet, hätten wir längst die Außengrenzen besser gesichert etc. Es ist vergebene Liebesmühe, darüber zu diskutieren.
    In der Vergangenheit ist es nicht geschehen. Aber heute müssen wir das rasch jetzt nachholen und die Probleme von heute, die Alltagsprobleme, wie sie sich jetzt zwischen Bayern und Österreich oder Deutschland und Österreich ergeben, das sind augenblickliche Schlaglichter dessen, dass wir eben nicht darauf vorbereitet waren. Das ist aber jetzt schon im Gange. Die Frau Ministerpräsidentin hat es ja auch bestätigt.
    Kaess: Wir müssen einen Punkt machen, Herr Becker, denn wir laufen auf den Trailer und die Nachrichten los. Danke für dieses Gespräch. - Heinz K. Becker von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP).
    Becker: Danke Ihnen! Alles Gute! Auf Wiederschauen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.