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Flüchtlingsunglück
Nach dem Notruf kam die Panik

Im Mittelmeer hat sich ein neues Flüchtlingsdrama ereignet: Nach Angaben des UNO-Flüchtlingshilfswerks ist ein von Libyen Richtung Italien fahrendes Schiff mit bis zu 700 Menschen an Bord gekentert. Das Boot kippte offenbar um, als ein per Notruf alarmiertes Containerschiff in Sicht kam und die Menschen deswegen unruhig wurden.

Von Jan-Christoph Kitzler | 19.04.2015
    Aus dem Mittelmeer gerettete Flüchtlinge im Hafen von Messina auf Sizilien.
    Aus dem Mittelmeer gerettete Flüchtlinge im Hafen von Messina auf Sizilien. (AFP / Giovanni Isolino)
    Die "King Jacob" war als erstes zur Stelle. Nachdem die Migranten einen Notruf abgesetzt hatten, war das portugiesische Containerschiff zum Rettungseinsatz beordert worden. 60 Seemeilen vor der Küste Libyens und 150 Seemeilen vor Lampedusa.
    Doch anstatt viele retten zu können, wurde die Besatzung der "King Jacob" Zeuge einer Katastrophe, berichtet Carlotta Sami, Sprecherin des UNHCR in Italien: "Als die Migranten und Flüchtlinge an Bord gesehen haben, wie sich dieses Schiff nähert, waren sie wahrscheinlich aufgeregt. Und auf einem so vollen Boot reicht schon, wenn sich wenige Menschen bewegen, und das Boot kippt um, und alle fallen ins Wasser. Das passiert leider, denn diese Schleuser stopfen die Boote unwahrscheinlich voll", sagte Sami.
    Nur 28 Migranten konnten bisher gerettet werden. Um die 700 sollen nach Berichten von Überlebenden an Bord des Flüchtlingsbootes gewesen sein. Sie sind mutmaßlich ertrunken. Mehr als 20 Leichen wurden geborgen. Insgesamt 17 Schiffe sind rund um die Unglücksstelle im Einsatz. Die Hoffnung, noch Überlebende zu finden, ist aber sehr gering.
    Seit Jahresbeginn 1.500 Migranten ertrunken
    Sollten sich diese Zahlen bestätigen, wäre das das schlimmste registriere Unglück eines Flüchtlingsbootes auf dem Mittelmeer. UNHCR-Sprecherin Sami geht davon aus, dass seit Jahresbeginn bereits 1.500 Migranten auf dem Mittelmeer ums Leben gekommen sind: "Wir sind verstört. Denn in den vergangenen Tagen haben wir Dinge erlebt von einer Grausamkeit, die es bisher nicht gab. Das ist eine neue Ebene der Grausamkeit vonseiten der Schleuser. Wir brauchen als Lösung für dieses Problem so schnell wie möglich einen europäischen Einsatz, der vor allem die Mittel zu Rettung auf dem Meer zur Verfügung stellt.
    Davon kann zurzeit nicht die Rede sein: Europa finanziert die Mission "Triton", die aber nur den Auftrag hat, einen Bereich von 30 Meilen vor den Europäischen Küsten zu überwachen. Tatsächlich sind es meist die italienische Marine und Küstenwache, die weit draußen auf dem Meer versuchen, neue Katastrophen zu verhindern. Immer wieder aber kommen sie zu spät.
    Italien sieht Europa in der Pflicht
    Darüber, dass Europa gefragt ist, besteht in Italien Einigkeit. Es gibt aber auch hier die Stimmen, die sagen, dass reine Rettungsmissionen nicht mehr ausreichen, sondern dass das Problem der Migration grundsätzlich angegangen werden müsse.
    Zum Beispiel sagt das Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega Nord, der in diesen Tagen mit fremdenfeindlichen Parolen auf Stimmenfang geht. Für seine heutige Erklärung dürfte Salvini viel Zustimmung bekommen: "Was hat sich seit dem Unglück von Lampedusa geändert? Nichts. Brauchen wir weitere 700 Tote, um zu verhindern, dass die Migranten aufbrechen? Wenn die internationalen Organisationen - ich denke an die NATO, die UNO, die desaströse Europäische Union, einen Sinn haben, braucht es so viel, um vor den libyschen Küsten eine Schiffssperre einzurichten, um zu verhindern, dass die Flüchtlingsboote aufbrechen und um dort festzustellen, wer wirklich vor den Kriegen fliegt und wer ein illegaler Einwanderer ist?"
    Legale Wege nach Europa gefordert
    Menschenrechtsorganisationen betonen, dass es sich bei den allermeisten Migranten um Menschen handelt, die vor Terror und Kriegen fliehen, aus den zerfallenden Staaten in Afrika und im Mittleren Osten. Auch beispielsweise das UNHCR ist der Meinung, dass legale Wege nach Europa geschaffen werden müssen, für Menschen, die das Recht auf Asyl in Anspruch nehmen wollen.
    Bleiben die Wege nach Europa den skrupellosen Schleuserbanden überlassen, werden sich solche Tragödien vermutlich wiederholen. Die Verzweiflung der Menschen, die von den Küsten Afrikas aufbrechen, ist groß genug.