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Föderalismusreform
"Wir brauchen eine Investitionsoffensive"

Ab 2020 erhalten die Länder jährlich knapp zehn Milliarden Euro vom Bund. Der Hauptgeschäftsführer des Städtetages, Helmut Dedy, sagte im Dlf, das Geld werde angesichts eines breiten Sanierungsstaus etwa bei Bildung, öffentlichem Personennahverkehr und Wohnungsbau dringend benötigt. Es gehe jetzt um Zukunftsfragen und ein neues Fördersystem.

Helmut Dedy im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 03.06.2017
    Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages
    Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, sagte im Dlf, der Staat müsse jetzt Investitionen dem Schuldenabbau und Steuersenkungen vorziehen. (imago / Metodi Popow)
    Jürgen Zurheide: Es wird viel diskutiert in diesen Tagen über den Föderalismus und die Föderalismusreform, die verabschiedet wurde in dieser Woche. Sie wissen das, jahrelange Verhandlungen hat es gegeben, und am Ende: na ja, manche sagen, jetzt zahlt der Bund, und dafür geht das mit dem Föderalismus ein bisschen zurück. Die Frage ist, wie sehen das eigentlich Städte und Gemeinden? Weil da wird immer geredet über die Bundesebene und die Landesebene, aber bei Kommunen passiert auch eine ganze Menge, und in diesen Tagen sitzt der Städtetag oder die Verantwortlichen des Städtetages, der Städte in der Bundesrepublik Deutschland zusammen, und ich begrüße ich den Geschäftsführer Helmut Dedy jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Dedy!
    Helmut Dedy: Schönen guten Morgen!
    Zurheide: Wie wird das bei Ihnen diskutiert, Föderalismusreform – mehr Geld, weniger Einfluss, sagt mancher. Ist das so?
    Dedy: Bei uns wird das in erster Linie pragmatisch diskutiert. Kommunalpolitik zeichnet sich ja dadurch aus, dass Probleme vor Ort gelöst werden müssen, und da ist dann die größere Frage, gewinnt oder verliert der Föderalismus durch diese Reform, nicht ganz so wichtig. Für uns ist wichtig, dass alle Länder besser gestellt werden, alle, ohne Ausnahme, und das heißt bei uns natürlich auch, dass die Länder in der Verpflichtung sind, jetzt dafür zu sorgen, dass auf der kommunalen Ebene investiert, dass auf der kommunalen Ebene gehandelt werden kann.
    "Brauchen Planbarkeit, Investitionssicherheit, Verlässlichkeit"
    Zurheide: Jetzt ist ja ein Teil des Programms, dass der Bund direkt für die Schulen zum Beispiel Geld geben kann. Jetzt wissen wir bei den Schulen, zumindest die Schulgebäude, das ist genau eine der kommunalen Aufgaben. Da sagt dann manch ein anderer, das ist Scheckbuchföderalismus. Sie haben gerade gesagt, ist mir doch egal, woher das Geld kommt. Habe ich das richtig verstanden?
    Dedy: Ich sage nicht, ist mir egal, woher das Geld kommt, sondern ich sage, entscheidend ist am Ende, was vor Ort damit passieren kann. Und wenn Sie die Schulen ansprechen, wir haben insgesamt einen Investitionsbedarf in deutschen Städten von 126 Milliarden, hat mal die KfW ausgerechnet. Wir investieren in jedem Jahr 24 Milliarden. Wenn Sie die Zahlen nebeneinander stellen, dann sehen Sie, dass das auf lange Linie eigentlich nicht vernünftig funktionieren kann. Und deshalb bin ich dankbar dafür, dass es mehr Mittel gibt, dass es mehr Mittel auch für den Schulbau oder die Investitionen in Schulen gibt. Nur, wir müssen sagen, das Ganze muss dann auch verstetigt werden. Wir brauchen Planbarkeit, Investitionssicherheit, Verlässlichkeit. Das ist eigentlich bei uns im Moment das große Thema.
    Zurheide: Jetzt haben Sie eigentlich die richtige Dimension gerade genannt. Die mehr als hundert Milliarden, die da im Raum stehen, wie auch immer man jetzt en détail die Zahlen bewertet, unterm Strich bleibt stehen, es muss deutlich mehr investiert werden in Deutschland. Und da ist natürlich die Frage: Das, was da jetzt kommt, ein Programm von grosso modo zehn Milliarden, und ein Teil dann für Schulen, ein Teil für Kommunen – das reicht nicht. Wenn ich jetzt mal den Fokus aufziehe und sage, weg von der Diskussion Föderalismusreform ja oder nein, was brauchen Sie im Moment in den Schulen, in den Städten und Gemeinden?
    Dedy: Ich denke, wir brauchen eine Investitionsoffensive. Wir brauchen eine Investitionsoffensive, die nur gemeinsam über alle drei Ebenen gehen kann. Ich möchte mal ein Beispiel nennen: Wohnungsbau. Wir sprechen über den Bedarf, wir sagen, 400.000 neue Wohnungen brauchen wir im Jahr. Es werden im Jahr so 280.000, 270.000 vielleicht erstellt.
    "Mit Zukunftsfragen auseinandersetzen"
    Zurheide: Und dann auch noch zum Teil nicht unbedingt für diejenigen, die das bezahlen können.
    Dedy: Dann haben wir noch ein Problem im Markt, wo sich Finanzstarke, ich sage mal, ihre Auswege suchen können. Das ist richtig. Das geht aber nur, wenn wir da investieren wollen, über alle drei Ebenen. Das wird mit einer Gemeinschaftsaufgabe Bund/Länder/Kommunen zu leisten sein. Dann haben wir das gleiche Thema bei den Schulen, wir sprachen gerade schon drüber. Da geht es ja nicht nur darum, dass die Schultoiletten sauber und in Schuss sind. Da geht es auch darum, dass wir uns mit den Zukunftsfragen auseinandersetzen. Digitalisierung von Bildung ist ein großes Stichwort im Moment. Auch das wird eine Menge an Geld erforderlich machen. Und dann als Letztes vielleicht als Beispiel: die Verkehrspolitik. Wir brauchen deutlich stärkere Anstrengungen im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs. Der muss noch attraktiver werden. Der erreicht ja Rekordzahlen in den letzten Jahren, aber trotzdem sehen wir, dass die Städte verstopft sind. Das sind so Beispiele, bei denen ich sagen würde, das geht nur, wenn Bund, Länder und Kommunen sich zusammentun.
    Schuldenabbau vor Steuersenkung
    Zurheide: Nun wissen Sie aber, dass angesichts der Finanzlage und im Moment der auskömmlichen Finanzierung in Deutschland schon wieder diskutiert wird, na ja, da können wir die Steuern kräftig senken. Wenn das passiert, ist doch diese Investitionsoffensive, die Sie gerade anmahnen, die kann man doch dann, ich sage es auch wieder hart, in die Tonne kloppen, oder?
    Dedy: Das kommt ein bisschen auf die Dimensionen an. Steuersenkung ist ja erst mal ein großes Wort, aber was steckt dahinter. Wenn Sie den einen oder anderen Freibetrag verändern, wenn Sie sagen, ich muss was tun gegen die kalte Progression, dann sind das ja vielleicht noch Beträge, die sich in Grenzen halten. Dann würde ich sagen, erster Schritt Investitionen, zweiter Schritt, wir müssen auch über Verschuldung sprechen, auch über Altschulden, und dritter Schritt wäre dann für mich die Frage der Steuersenkungen. Ich würde schon versuchen, so eine Prioritätenfolge einzubauen.
    "Weg von den Himmelsrichtungen"
    Zurheide: Was ist denn eigentlich mit der Ungleichheit auch der städtischen Finanzlage. Sie haben Städte und Gemeinden, die sind auskömmlich finanziert, oder ich will nicht sagen, auskömmlich, da reicht es, und andere, die nach wie vor aus einer bestimmten Spirale von Verschuldung und hohen Sozialausgaben kaum rauskommen. Was muss da noch passieren? Muss da noch was passieren?
    Dedy: Das ist in Teilen dramatisch. Ich würde auch da noch mal gern auf die Investitionen zurückkommen. Im Saarland investiert eine Kommune pro Kopf im Schnitt pro Jahr 170 Euro. In Bayern investiert eine Kommune pro Kopf im Schnitt pro Jahr 510 Euro. Das ist ein Verhältnis von eins zu drei. Das heißt, Sie sehen da, dass diese Schere zwischen den Städten weiter auseinandergeht. Da muss was passieren. Wir müssen dafür sorgen, dass in der nächsten Legislaturperiode dieser Gedanke von Strukturförderung noch mal aufgegriffen wird. Weg von den Himmelsrichtungen, weg von Ost-West, und hin dazu, dass strukturschwache Regionen in der ganzen Bundesrepublik gefördert werden. Das wird das Ruhrgebiet betreffen, das wird Teile der Nordseeküste betreffen. Das muss zielgenauer gehen, und das muss weg von der bisherigen Denke, da ist der Osten, da ist der Westen, sondern wir müssen auf die gesamte Bundesrepublik gucken.
    "Fördersystem neu aufbauen"
    Zurheide: Jetzt habe ich diesen Satz "Es darf nicht mehr nach Himmelsrichtungen gehen, sondern es muss nach Bedarf gehen", den habe ich, ich weiß nicht, wie oft schon gehört. Passiert das irgendwann, bitte schön?
    Dedy: Ja, da passiert schon eine ganze Menge. Das war ja schon im Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung. Da sind auch eine Menge Vorarbeiten gelaufen. Ist nicht ganz unkompliziert, so etwas zu machen, weil Sie ja gucken müssen, was bedeutet denn eigentlich Strukturschwäche? Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass das in der nächsten Legislaturperiode gelingen wird, dieses Fördersystem neu aufzubauen.
    Zurheide: Müsste nicht insgesamt die Finanzverfassung prinzipiell geändert werden? Ich weiß, das ist eine schwierige Frage, das in wenigen Sekunden beantworten zu können. Aber dass man nicht permanent über die Ebenen hinweg dann wieder zu gemischten Verantwortlichkeiten kommt, wenn jede Ebene, ich sage es, auskömmlich finanziert wäre, wäre das doch eigentlich der Königsweg. Schaffen wir den?
    Dedy: Ich glaube, wenn wir beide uns hinsetzen würden und hätten die Chance, ein neues System zu erfinden und einen neuen Staat zu gründen, dann würden wir den wahrscheinlich einfacher machen, als er heute ist. Aber die Chance haben wir nicht, und wir sind in der Situation, dass Politik immer Kompromiss bedeutet, und das bedeutet dann in diesem Fall eben immer auch ein gewisses Maß an Verflechtung. Das sehe ich nicht so dramatisch.
    Zurheide: Herr Dedy, Helmut Dedy war das, Geschäftsführer des Städte- und Gemeindetages*. Ich bedanke mich für diese Informationen. Danke schön!
    Dedy: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    *Korrektur: Richtig ist: Hauptgeschäftsführer des Städtetages