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SPD-Politikerin Lambrecht
"Es bleibt beim Föderalismus"

Norbert Lammert (CDU) hatte die Bund-Länder-Finanzreform als "monströsen Eingriff in das Grundgesetz" bezeichnet und vor einem Zentralstaat gewarnt. Die Wortwahl des Bundestagspräsidenten sei mehr als irritierend, sagte die SPD-Politikerin Christine Lambrecht im Deutschlandfunk. An den Grundfesten des Föderalismus werde nicht gekratzt.

Christine Lambrecht im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 20.05.2017
    Christine Lambrecht, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion.
    Christine Lambrecht, Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion. (imago/IPON)
    Jürgen Zurheide: Die Bund-Länder-Finanzbeziehungen, das ist eine außerordentlich trockene Materie! Ja, das ist richtig, kann man sagen! – Auf der anderen Seite ist es wichtig: Da geht es a) um viel Geld, um Geld, das verteilt wird, b) geht es natürlich auch um die Grundfrage: Wie eigenständig sind eigentlich die Länder? Inzwischen hat sich die Bundesregierung geeinigt, da soll vieles geändert werden. Die Länder sind dafür – Klammer auf: auch weil der Bund viel bezahlen wird demnächst! Daran gibt es nun Kritik, und zwar heftige Kritik aus berufenem Munde: Bundestagspräsident Norbert Lammert hat gesagt, er wird nicht zustimmen, weil das das Ende des Föderalismus sei. Er hat es sehr, sehr drastisch formuliert. Über dieses Thema wollen wir reden mit der Fraktionsmanagerin der SPD-Bundestagsfraktion Christine Lambrecht. Erst mal guten Morgen, Frau Lambrecht!
    Christine Lambrecht: Schönen guten Morgen, grüße Sie!
    Zurheide: Was halten Sie denn von den Vorwürfen von Lammert? Er hat ja wörtlich gesagt: Einen solch weitreichenden, monströsen Eingriff in das Grundgesetz habe er noch nicht erlebt! Sind Sie da Teil einer monströsen Vereinigung?
    Lambrecht: Ich kann diese Kritik, muss ich sagen, nicht nachvollziehen. Auch die Wortwahl, die in diesem Zusammenhang von Herrn Lammert gewählt wurde, irritiert, mehr als irritierend. Es geht darum, dass wir uns darauf verständigt haben, dass dann, wenn die Länder selbst nicht dazu in der Lage sind, dass wir dann als Bund die Möglichkeit haben, in maroden Schulen zum Beispiel zu investieren und dafür zu sorgen, dass Kinder und Jugendliche auch ein normales, ein akzeptables Lernumfeld haben. Dass es nicht so ist wie in manchen Schulen, dass Kinder gar nicht mehr auf die Toilette gehen, weil sie in so einem katastrophalen Zustand sind. Und wenn ich in diesem Zusammenhang, wenn man so einen Umstand gemeinsam ändern möchte, dann davon rede, dass es um Kompetenzenverlagerungen geht, dann, glaube ich, fehlt der Blick für die Realität.
    "Deswegen glaube ich, es ist wirklich eine Prinzipienreiterei"
    Zurheide: Auf der anderen Seite ist natürlich richtig, man könnte sagen, wie Sie es gerade beschrieben haben, die Länder konnten sich nicht einigen, dann hat der Bund das Scheckbuch aufgemacht, hat gezahlt. Und da ist natürlich irgendwas dahinter, wenn eine Einigung nur noch so zustande kommt.
    Herr Lammert sagt dann, man läuft da in die Richtung eines Zentralstaates und trotzdem wird das föderale Lied noch gesungen. Ist man da wirklich ganz ehrlich?
    Lambrecht: Ja, absolut, denn es bleibt beim Föderalismus. Und das ist auch noch mal durch die Regelung der Finanzen geklärt, weil es auch da darum geht, im Föderalismus stärkere, schwächere ... Wie wird der Finanzausgleich gestaltet. Das ist ja Gegenstand dieser Reform. Das heißt, an den Grundfesten wird überhaupt nicht gekratzt, sondern es geht hier um ein Einzeldetail dieses Kooperationsverbots, dass verboten ist bisher, dass der Bund dann, wenn er gerne möchte und wenn er bereit wäre und Geld hätte, die Länder aber nicht, dass der Bund dann nicht helfen kann, ganz gezielt wie hier bei der Ausstattung der Schulen. Und es geht also nicht um das generelle Aufweichen, sondern es geht hier um einen Teilaspekt.
    Und ich glaube, da muss man doch einen Blick haben, um was es geht, dass es um eine konkrete Situation geht, dass Kinder wie gesagt in Schulen in einem Umfeld sind, das nicht akzeptabel ist. Es geht nicht darum, Schulen einfach schöner anzumalen oder sich da reinlegen zu wollen, sondern es geht darum, wenn es wirklich nicht mehr anders geht und die Länder eben diese Leistung nicht übernehmen können. Deswegen glaube ich, es ist wirklich eine Prinzipienreiterei, die auch bei diesem Thema völlig unangemessen ist.
    Zurheide: Sie können natürlich zurecht sagen, dass die Länder es nicht können. Jetzt könnten wir die Grundfrage stellen: Warum können es die Länder es denn nicht? Dann würde ich sagen, dann machen wir die Bund-Länder- und auch -Gemeinde-Finanzbeziehungen so, dass jede Ebene das bekommt, dass sie die Aufgaben, die sie hat, auch wahrnehmen kann. Im Moment bekommen die Länder das nicht, so scheint ja der allgemeine Eindruck zu sein, also gibt der Bund einen Scheck. Warum verändert man dann nicht die Finanzbeziehungen insgesamt? Wäre das nicht die sinnvollere Variante?
    Lambrecht: Das ist ja der Fall. Es wird ja deutlich vom Bund an die Länder gegeben, weil natürlich klar ist, dass Länder mit ihren Kommunen zusammen wichtige Aufgaben zu erfüllen haben und auch insbesondere durch neu dazugekommene Aufgaben wie die Frage der Flüchtlingspolitik, der Integrationspolitik natürlich auch noch mehr Aufgaben dazugekommen sind. Das ist keine Frage. Und das ist auch Gegenstand der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Aber darüber hinaus hat man sich eben verständigt, ist ja auch eine Frage, wofür Länder auch prioritär ihre Gelder verwenden, da sind sie ja eigenständig, das entscheiden ja sie. Aber wenn wir den Eindruck haben – und da sind ja feste Kriterien auch festgelegt –, was denn sein muss, damit dieses möglich wäre, also marode Schulen auch nur in Städten, die das eben nicht mit Ländern zusammen schultern können.
    Also, es ist nicht so, dass der Bund sich einzelne Schulen raussucht und sagt, ach, da würden wir mal gerne, sondern es ist schon fest an Kriterien gebunden. Und dann kann es doch nicht der falsche Weg sein zu sagen, mit den Ländern zusammen geht man dann rein und hilft, damit unsere Kinder, unsere Jugendlichen sich in den Schulen auch wohlfühlen und dann eben auch entsprechend ein Lernumfeld haben.
    Zurheide: Ich glaube, das muss man nicht bestreiten, dass die jungen Menschen ein Lernumfeld brauchen, was vernünftig ist. Aber es gilt ja so der alte Grundsatz: Wer das Geld gibt, bestimmt auch die Musik, da kommt man nicht drum herum. Also, der Bund gibt Geld für irgendetwas und bestimmt damit. Sie sehen das nicht so?
    Lambrecht: Na ja, wir haben uns auf feste Kriterien geeinigt mit den Ländern, unter welchen Bedingungen der Bund diese Möglichkeit hat. Soll also wie gesagt nicht so sein, dass der Bund nach freier Entscheidung solche Maßnahmen vornehmen kann. Aber ich denke, wenn es dann gemeinsam erkannt wird, dass hier dringend Handlungsbedarf ist und dass das Geld, das zur Verfügung steht, bei den Ländern eben dafür nicht ausreicht, dann kann ich ehrlich gesagt nicht verstehen, wie man daran dann eine Veränderung des Föderalismus sehen kann und vor allen Dingen es nur an diesen Kompetenzen festmachen will.
    Wir haben das vor vielen, vielen Jahren schon mal gemacht, als wir gesagt haben: Wir wollen, dass in Deutschland mehr Ganztagsschulen zur Verfügung stehen. Die Länder konnten diese Aufgabe auch nicht wuppen und deswegen haben wir damals auch als Bund ein Ganztagsschulprogramm aufgelegt. Auch da gab es damals schon Ärger mit einigen Ländern, Hessen hat damals aber mehr aus ideologischen Gründen dagegen geklagt, aber es war doch der richtige Ansatz, dass dann, wenn die Länder eine bestimmte Aufgabe nicht erfüllen können, dass dann der Bund die Möglichkeit dazu gibt. Denn darum geht es ja, zu helfen da, wo aufgrund der eigenen Situation diese wichtige Aufgabe nicht geleistet werden kann.
    "Ich gehe davon aus, dass bei der Frage Kooperationsverbot die Vernunft siegt"
    Zurheide: Nun ist Herr Lammert ja nicht irgendwer. Wenn er als Bundestagspräsident sagt, ich stimme da nicht zu, haben Sie Sorgen, dass im Parlament die Zweidrittelmehrheit zustande kommt? Denn die brauchen Sie, weil hier das Grundgesetz geändert wird.
    Lambrecht: Ich gehe davon aus, dass bei der Frage Kooperationsverbot die Vernunft siegt, dass auch in der Union ein Einsehen dahingehend ist, um was es geht. Dass es nicht darum geht, jetzt hier über Prinzipien zu reden oder Kompetenzen, sondern dass es darum geht, eine konkrete Situation in den Schulen zu verbessern. Deswegen glaube ich nicht, dass diese Positionierung von Herrn Lammert da eine Welle machen wird. Also, ich kann die Kolleginnen und Kollegen aus der Union nur aufrufen, dass da die Realität im Blick ist und es nicht um Verfassungsästhetik – das sind ja die Vorwürfe von Herrn Lammert – und Kompetenzgerangel sich durchsetzen.
    Zurheide: Ganz sicher sind Sie aber nicht?
    Lambrecht: Na ja, man wird sehen, wie die Kolleginnen und Kollegen sich entscheiden. Es ist ja immer leicht, sich dann so aus einer Verantwortung zu stehlen, aber das werden wir schon noch debattieren, ob es denn wirklich so ist, dass Bildung wichtig ist, dass Bildung als unterstützenswert angesehen wird oder ob man sich dann vom Acker macht, wenn man hier in irgendeiner Weise einen Notausgang für Helden findet. Und so empfinde ich diese Argumentation.
    Zurheide: Das war Christine Lambrecht aus der SPD-Bundestagsfraktion zur Frage: Föderalismus, ja/nein, ist er gefährdet oder nicht? Ich bedanke mich für das Gespräch!
    Lambrecht: Ich bedanke mich bei Ihnen! Tschüs!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.