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Folter in Ostukraine
Berlin sieht Russland in der Pflicht

Menschenrechtsorganisationen haben in der umkämpften Ostukraine 4.000 Fälle von Verschleppungen und Folter dokumentiert, vor allem von Seiten prorussischer Separatisten. Die Bundesregierung fordert Aufklärung, die Opposition kritisiert das Minsker Friedensabkommen.

Von Gudula Geuther | 18.05.2016
    Die Bundesregierung nehme diese und ähnliche Berichte sehr ernst, so Regierungssprecher Steffen Seibert. Jedem einzelnen der dokumentierten Schicksale müsse nachgegangen, die Schuldigen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. "Die Konfliktparteien sind aufgerufen, die Verrohung, die sich in genau diesen Berichten ausdrückt, im Konfliktgebiet Einhalt zu gebieten. Und ganz besonders Russland ist aufgerufen, seinen Einfluss auf die separatistischen Gruppierungen in der Ostukraine zur Geltung zu bringen in Richtung Mäßigung." Der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Martin Schäfer, zeigte sich überrascht nicht von der Dimension der Menschenrechtsverletzungen, aber von den Gesamtzahlen, die die Dokumentation nennt.
    Dagegen kritisierte die Berichterstatterin der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zu Menschenrechtsverletzungen in der Ostukraine, Marieluise Beck, Beobachtern seien die Verbrechen der sogenannten Separatisten bereits länger bekannt. In der Politik fehle es aber bislang an der Bereitschaft, den Charakter des brutalen Willkürregimes zur Kenntnis zu nehmen und zu verurteilen. Im Deutschlandradio Kultur sagte die Grünen-Politikerin:
    "Der Westen, das Normandie-Format, drängen die Regierung in Kiew massiv, ein Wahlgesetz zu machen, damit dort Wahlen stattfinden können. Wahlen, faire und gleiche Wahlen, können nicht stattfinden in einer Region, in der es in diesem Ausmaß Folter, Einschüchterung, Bedrohung, Folter-Keller gibt."
    Im Normandie-Format verhandeln Deutschland, Frankreich, Russland und die Ukraine.
    "Die Bedenken von Frau Beck, die teilen wir", antwortete Außenamtssprecher Schäfer. Gerade deshalb arbeite die OSZE an Konzepten zu einem Gesetz für die Lokalwahlen, die in einem Umfeld von Sicherheit und Frieden stattfinden müssten:
    "Dass wir da noch nicht sind, ist richtig. Dass wir darum ringen seit Monaten, dahin zu kommen, ist auch richtig."
    Beck kritisierte außerdem, die Vereinbarungen von Minsk enthielten eine unscharfe Formulierung über eine Amnestie. Die Täter erwarteten, dass sie nicht bestraft würden.
    "Straflosigkeit setzt diese wahnsinnige Brutalität bei manchen Menschen frei, die sie ungehemmt ausleben können, weil sie nicht erwarten, dass sie jemals zur Rechenschaft gezogen werden."
    "Andere Qualität von gerichtlichem Vorgehen möglich"
    Gerade hier sieht Gernot Erler in der Dokumentation der Menschenrechtsorganisationen neue Chancen. Das Problem sei es, Belege und Beweise zu finden, so der Russlandbeauftragte der Bundesregierung im Deutschlandfunk:
    "Wir sind seit langem unterrichtet über extralegale und standrechtliche Tötungen. Über Folterungen und Erniedrigungen von Gefangenen über Scheinerschießungen, schwere körperliche Misshandlungen, Vergewaltigungsdrohungen, Zwangsarbeit und so weiter. Das sind leider Dinge, die immer wieder bekannt werden. Aber jetzt liegt offenbar erstmals eine Dokumentation vor, die möglicherweise dann auch eine andere Qualität von gerichtlichem Vorgehen möglich macht."
    Rebecca Harms, Chefin der Grünen-Fraktion im Europaparlament, will Erler auffordern, den Bericht im Kreml anzusprechen. Sie betonte im Deutschlandfunk:
    "Die russische Seite hat in der Erfüllung des Minsker Abkommens noch nie das geliefert, was sie unterschrieben hatte, wozu sie sich in Minsk bekannt hatte. Und mit dieser russischen Seite muss auf der Grundlage dieses Berichts neu geredet werden."
    Via Twitter kündigte sie an, sich auch an die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini zu wenden. Linken-Fraktionsvize Wolfgang Gehrcke fordert die Staaten des Normandie-Formates auf, sofort eine internationale Expertenkommission einzurichten. Die solle die Vorwürfe - mit Hilfe der OSZE - untersuchen.