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Fordern und Fördern

Es begann mit der Regierungserklärung des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder. In einem Halbsatz tauchte der Begriff zuerst auf: Bis heute ist er unauslöschlich mit dem Reformprogramm der rot-grünen Bundesregierung verbunden: Agenda 2010. Mehr Belastungen für die Bürger - um die Sozialsysteme zukunftsfest zu machen.

Von Wolfram Stahl | 07.01.2010
    "Wir werden, meine sehr verehrten Damen und Herren, Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fordern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen."

    Mit der Rede am 14. März 2003 begann der Umbau des Sozialstaats. Seinem Konzept gab Gerhard Schröder den Titel "Agenda 2010".

    "Mein politisches Schicksal will ich ganz bewusst verbinden mit der Durchsetzung dieser Reformforderungen."

    Den Kern der Agenda 2010 bildete jedoch die Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Die Vorschläge für die Veränderungen hatte eine Kommission unter der Leitung des ehemaligen VW-Personalvorstands Peter Hartz entwickelt und bereits im August 2002 vorgelegt.

    "So sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass es machbar ist, zwei Millionen Arbeitslose weniger in drei Jahren."

    Die sogenannten Hartz-Gesetze I bis III wurden von Rot-Grün schleunigst auf den Weg gebracht. Die Gesetze machten aus Arbeitsämtern Jobcenter, sorgten für die Neuregelung der Zeitarbeit, Mini-Jobs und Ich-AGs wurden eingeführt.
    Zum Inbegriff der sozialpolitischen Wende der rot-grünen Bundesregierung wurde aber Hartz IV. Im Herbst 2004 demonstrierten monatelang Hunderttausende gegen die vorgesehenen sozialen Einschnitte.

    "Liebe Montagsdemonstranten, es geht hier unter der S-Bahn-Brücke durch, am Roten Rathaus vorbei ... "

    "Hartz IV sah vor, dass die Arbeitslosen- und Sozialhilfe unter dem Begriff Arbeitslosengeld II zusammengefasst wird, außerdem sollte die Höhe der staatlichen Leistung unter der ursprünglichen Sozialhilfe liegen. Der Slogan "Fordern und Fördern" wurde zum Synonym des Hartz IV-Gesetzes. Der sozialdemokratische Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement wollte damit auch Arbeitsunwillige ins Berufsleben hinein zwingen."

    "Wenn sie es nicht tun, eines dieser acht Angebote annehmen, können sich nicht auf öffentliche Förderung, können Sie nicht auf öffentliche Unterstützung der Gemeinschaft rechnen, sondern dann werden ihnen mit einer Unterkunftszuweisung geholfen werden müssen. Wir müssen jetzt auch fordern. Wir müssen jetzt auch Druck ausüben."

    Langzeitarbeitslose müssen seitdem die eigenen Ersparnisse, die der Partnerin und der Kinder offenlegen. Hartz IV-Empfänger sollen nichts mehr verschleiern können. Das Vermögen wird mit den Zahlungen verrechnet. Dagegen rührt sich auf den Montagsdemos heftiger Protest.

    "Knusper, knusper Knäuschen, Clement klaut dir dein Häuschen."

    Als das Hartz-IV-Gesetz zum 1. Januar 2005 in Kraft tritt, stehen in der Statistik über fünf Millionen Arbeitslose. Anstatt wirtschaftlich bergauf, geht es zunächst vor allem mit der SPD bergab. Mitglieder verlassen in Massen die Sozialdemokraten, bilden mit anderen Linken die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit. 2007 formieren sich WASG und PDS in der Partei "Die Linke". Die Partei von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi gewinnt als Protestpartei viele neue Wähler.

    Durch strengere Zumutbarkeitskriterien konnten die Arbeitsagenturen und Jobcenter in den letzten Jahren zwar mehr Langzeitarbeitslose vermitteln, häufig aber in weniger qualifizierte und schlechter bezahlte Arbeit. Auch das gehöre zum Fordern und Fördern, konstatierte noch der letzte sozialdemokratische Arbeitsminister, Olaf Scholz.

    "Niemand kann erwarten, dass er genau den Beruf und zu dem Gehalt wiederfindet, den er vorher hatte."

    Unabhängig von der Qualität der angebotenen Arbeit ist die Zahl der Langzeitarbeitslosen in den letzten Jahren deutlich gesunken. Erheblich besser klappt auch die Vermittlung offener Stellen. Die Hartz-Gesetze wirken erfolgreich, zu dieser Feststellung kommt Ulrich Walwei vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

    "Die Arbeitsanreize wurden durch die Reform generell erhöht, viele Menschen wurden näher an den Arbeitsmarkt herangeführt, ihre Potenziale wurden sichtbar gemacht, auch ihre Probleme sichtbar gemacht und die Betreuung wurde intensiviert."

    Die Sichtweise des IAB ist verständlich, zumal es das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit ist. Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband beobachtet trotz geringerer Arbeitslosigkeit hingegen eine Zunahme der Armut, erklärt Ulrich Schneider. Die von der schwarz-gelben Bundesregierung beabsichtigte Erhöhung des Schonvermögens sei zwar richtig, betreffe aber nur verschwindend wenige Menschen.

    "Wir brauchen endlich ein Gesamtkonzept gegen Armut. Das heißt vor allem: Erhöhung der Regelsätze in Hartz IV auf 440 Euro für Erwachsene, die Schaffung eines eigenen Regelsatzes, der bedarfsgerecht ist, für die Kinder, aber auch ein öffentlicher Beschäftigungssektor, der vor allen Dingen dafür sorgt, dass vor allem ältere Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit kommen."

    Deutschland habe von Schröders Agenda-Politik profitiert, lobte gleich zu Beginn ihrer Kanzlerschaft Angela Merkel. Der SPD hat Schröder damit jedoch erhebliche Probleme eingebrockt, erklärt Richard Stöss, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin.

    "Die Agenda 2010 hat eher der SPD geschadet als den Grünen. Das war das Problem der Stammklientel der SPD, also dieses Teils ihrer Anhängerschaft, der gewerkschaftlich orientiert ist, der jedenfalls großen Wert auf soziale Gerechtigkeit legt. Und auf diesen Teil der Stammklientel hat die SPD zu wenig geguckt."