1945 verstanden sich viele Deutsche als Opfer des Kriegs. In Bezug auf das Durchlebte entfaltete sich im Land ein Schweigekonsens. Künstlerische Reflexionen zu Verbrechen und Schuld kamen folglich nur langsam in Gang.
Musikgeschichtlich betrachtet, ragt hier die kurz vor Kriegsende notierte „Klaviersonate 27. April 1945“ von Karl Amadeus Hartmann (1905–1963) heraus. Zurückgezogen in innere Emigration, hatte der Komponist Dachauer Schutzhäftlinge auf ihrem Todesmarsch gesehen und dieses ihn beklemmende Geschehnis in eindringliche Klänge gebannt.
Wie ist das Erfahrene artikulierbar?
In Ästhetik und Fokus ganz anders erweist sich das 1947/48 notierte „Dresdner Requiem“. Komponist Rudolf Mauersberger (1889–1971) rückte darin die Leiden der deutschen Zivilbevölkerung in den Fokus. Demgegenüber vermochte der junge Hans Werner Henze (1926–2012) in seiner Funkoper „Der Landarzt“ nach Kafka von 1951 bereits Opfer- und Täterperspektiven sowie daraus resultierende seelische Folgen albtraumartig miteinander verknüpfen.
Autor Egbert Hiller besichtigt exemplarische Werke, die im Konzertbetrieb der Gegenwart selten, aber durchaus zur Aufführung kommen. Unter diesen findet sich auch die einzigartige Kollektivkomposition „Jüdische Chronik“, zu der Paul Dessau (1894–1979) seine Kollegen Boris Blacher, Karl Amadeus Hartmann, Hans Werner Henze und Rudolf Wagner-Régeny einlud und deren geplante Uraufführung mit dem Berliner Mauerbau 1961 kollidierte.