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Fossilienforschung
Datenbank für Jedermann

Die Überreste ausgestorbener Lebewesen sind selten und deshalb sehr wertvoll. Viele Fossilien liegen darum gut geschützt in den Archiven von Museen. Eine Initiative in den USA will solche Schätze mit der Datenbank "MorphoSource" einem breiteren Publikum zugänglich machen.

Von Joachim Budde | 25.06.2019
Fische hatten über Jahrmillionen Zeit, sich zu entwickeln - deutlich länger als wir Säugetiere. Hier sehen wir das Fossil eines Butter- beziehungsweise Messerfischs aus dem Palaeozän / Eozän
Fische hatten über Jahrmillionen Zeit, sich zu entwickeln - deutlich länger als wir Säugetiere. Hier sehen wir das Fossil eines Butter- beziehungsweise Messerfischs aus dem Palaeozän / Eozän (imago stock&people)
Im Computerraum von Doug Boyers Institut stehen Rechner mit besonders großen Bildschirmen. Sie sind wichtige Werkzeuge für den Paläontologen an der Duke University in Durham, North Carolina – wichtiger als für die meisten seiner Fachkollegen.
"Ich klicke hier auf diesen Scan. Das ist ein Steinblock, der nicht nach viel aussieht, aber er enthält eine ganze Menge Knochen. Und es ist unmöglich, sie sichtbar zu machen, ohne den Stein zu scannen – wir haben es probiert, aber die Übergänge zwischen Steinmaterial und den fossilen Knochen sind zu schwach, um sie mit bloßem Auge zu erkennen."
Darum haben Doug Boyer und seine Kollegen den gerade mal knapp vier Zentimeter großen Stein im Computertomographen eingescannt, also einen ganzen Haufen Schnittbilder angefertigt, und dann zu einem 3-D-Bild zusammengesetzt. Auf dem Bildschirm erscheint ein grauer Stein, der ziemlich beliebig aussieht.
"Aber die Stärke der digitalen Daten ist: Wir können das Steinmaterial verschwinden lassen und zeigen, was es enthält. Und jetzt sehen wir Knochen. Das funktioniert, weil Knochen und Stein zwar dieselbe Farbe, aber eine unterschiedliche Dichte besitzen, und der CT-Scanner diese Unterschiede sichtbar machen kann."
Techniken abgeschaut
Bildgebende Verfahren wie die Computertomographie sind wertvolle Hilfsmittel für Paläontologen. In den letzten gut zehn Jahren haben die sich bei einer ganzen Reihe von anderen Disziplinen wie der Chemie oder den Materialwissenschaften noch andere Techniken abgeschaut, um die Überreste von Lebewesen aus der Urzeit unseres Planeten zu untersuchen. Neue Lasermikroskopie-Verfahren erlauben es zum Beispiel, die Struktur von Farbmolekülen zu untersuchen und zu sagen, welche Farbe zum Beispiel Eierschalen hatten, die 75 Millionen Jahre lang in der Erde lagen.
Doug Boyer lässt die Knochen mit einem Mausklick die Farbe wechseln.
"Die Form und Lage dieses blauen Knochens verrät mir, dass das der fünfte Zeh ist. Viele Knochen sind sich sehr ähnlich. Um sie korrekt im Körper zu platzieren, müssen wir wissen, wie sie mit anderen Knochen verbunden waren. Erst dann können wir Rückschlüsse über die Proportionen des Fußes ziehen. Dieser Zeh zum Beispiel ist sehr kurz. Genau wie bei uns Menschen. Wir können gut rennen und schlechter klettern. Unser Körper hat sich im Lauf der Evolution an das Leben auf dem Boden angepasst. Eine Folge: Wir haben kurze Zehen. Das ist jetzt ein ausgestorbener Insektenfresser. Das Interessante daran: Er gehört zu einer Gruppe von Tieren, von der wir lange angenommen haben, dass sie mit Baumbewohnern verwandt ist, die gleiten konnten – wie heutige Flughunde. Darum war es eine ziemliche Überraschung, als dieser Fuß zum Vorschein kam, der eindeutig ans Laufen oder vielleicht Graben angepasst ist."
Datenbank für Jedermann
Die digitalen Daten dieses Insektenfressers, der vor 57 Millionen Jahren gelebt hat, liegen in einer besonderen Datenbank, die Doug Boyer aufbaut: "MorphoSource". Rund 35.000 Datensätze hat sein Team schon zusammengetragen von mehr als 900 Forschern, vor allem aus Naturkundemuseen. "MorphoSource" soll einerseits ein Archiv und ein Backup für die unbezahlbaren Fossilien sein. Andererseits aber auch ein Zugang für jedermann. Denn bislang gilt:
"Als Privatperson müssen Sie mir bei meiner Interpretation vertrauen. MorphoSource kann die Hintertüren von Museumsarchiven für die Öffentlichkeit zugänglich machen und für mehr Transparenz in der Wissenschaft sorgen."
Und es hat einen weiteren Vorteil, das Fossil im Originalzustand zu belassen
"Mit MorphoSource erhalten wir das Fossil nicht nur für die erste Studie, sondern auch für künftige. Jeder kann die Knochen herunterladen, sie in ihrer Original-Lage sehen und neu interpretieren."
Die Dateien, mit denen die Forscher arbeiten, sind sehr groß. Außerdem braucht man geeignete Software, um sie darstellen zu können. Aber die Wissenschaftler in Durham arbeiten an einer Lösung für jedermann, sagt Julia Winchester. Die Biologin leitet die Entwicklung bei "MorphoSource".
"Wir arbeiten daran, binnen des nächsten Jahres eine Version online zu stellen, bei der man alle Scans in einem Internetbrowser anschauen kann."
Dateien für Schulen zugänglich
Sie zeigt eine Demodatei:
"Wir sehen hier im Browser jetzt den vollständigen Körper eines Schnabeltiers. Wir sehen den Schnabel, hier die Augen, die Pfoten, den ganzen Körper. Und wir können auch nur das Skelett darstellen lassen."
Noch wichtiger: Schulen bekommen Zugang zu den Daten.
"Das hat mich mit am meisten zufriedengestellt. Viele Lehrer laden sich Datensätze herunter. Zum Beispiel hat ein Wissenschaftler aus Florida einen Lehrplan erstellt und dafür Scans von Pferdezähnen aus verschiedenen Epochen hochgeladen. Andere Lehrer haben sie heruntergeladen, mehrere Sätze in 3-D-Druckern ausgedruckt, und ihre Schüler konnten sie ausmessen und untersuchen, wie die Pferdezähne sich unter welchen Umweltbedingungen verändert haben. Dadurch konnten die Schüler begreifen, wie die Überlebensfähigkeit von Arten mit deren Umwelt zusammenhängt."
Eine weitere Möglichkeit will mir Doug Boyer mit dem Stein zeigen, in dem der vorzeitliche Insektenfresser steckt.
"Wenn man sie wirklich interpretieren will, muss man die Knochen extrahieren. Das möchte ich Ihnen im 3-D-Druck-Lab zeigen. Wo wir von digitaler und physischer Zugänglichkeit sprechen: Ich habe das Original-Fossil nicht hier. Es ist in Nebraska. Ganz ehrlich, ich glaube es ist hier nie gewesen."
Forschung trotzdem langwierig
Das Labor ist die zentrale Einrichtung der Duke University. Es liegt ein paar Gebäude weiter.
"Das haben wir auf dem Bildschirm gesehen, aber in knapp dreifacher Größe. Man kriegt eine Ahnung davon, was drin ist."
Der Paläontologe hat das Steinmaterial transparent ausdrucken lassen, sodass man in das Fossil hineinschauen kann. Julia Winchester beschreibt das so:
"Sie sehen hier die länglichen Knochen vom Knöchel, die Mittelfußknochen und die Zehen am Ende. Die Oberfläche des Steins ist durchsichtig, wie klares Weingummi, während die Knochen darin aus weißem Plastik sind. Einige treten an die Oberfläche, aber die meisten sind immer noch im Innern."
Doch trotz aller Computertechnik, die Forschung bleibe langwierig, sagt Doug Boyer.
"Wir haben unsere Forschungsergebnisse zu diesem Insektenfresser noch nicht veröffentlicht. Selbst wenn etwas so toll aussieht und offensichtlich wissenschaftlichen Wert hat, kann es immer noch lange dauern, bis alle Vergleichsdaten zusammengetragen sind, um zu bestimmen, zu welcher Familie es gehört."