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Fotografie
Den Glauben im Blick

Hans Georg Berger erforscht Religionen mit der Kamera, Josef Beuys regte ihn dazu an. Eine Ausstellung in Berlin zeigt seine Innenansichten des schiitischen Islams im Iran. "Ich bin in meine Projekte nie als ein Wissender hineingegangen", sagt der Künstler, "sondern immer als Lernender".

Von Irmgard Berner | 02.07.2018
    Ein Turban für einen Freund entsteht, Madrese Chahar Baq, Isfahan 2003
    Hans Georg Bergers Fotos entstehen im Dialog mit den abgebildeten Menschen (Hans Georg Berger)
    Hans Georg Berger war schon als Kind von der Religion fasziniert. 1951 in Trier geboren, wuchs er im rheinischen Katholizismus der 50er- und 60er-Jahre auf. Die kirchlichen Feste, Messen und Prozessionen, die Blumenpracht verbunden mit der Volkskunst, beeindruckten ihn. Im Alter von 16 Jahren verstand er:
    "Dass es einen Unterschied gibt zwischen Kirche und Religion. Und zwischen Priestern und einer religiösen Idee, und religiösem Empfinden. Das war eine kritische Zeit natürlich, wo ich mich dem Katholizismus sehr entfernt habe."
    "Beuys war ja ein Schamane"
    Hans Georg Berger studierte Religionswissenschaft in Deutschland und den USA. In München begann er auch künstlerisch zu arbeiten.
    "Als ich auf dem Weg war, Kunst zu machen, gab es eine Begegnung mit meinem Lehrer Joseph Beuys. Und Beuys war ja ein Schamane. Das heißt, das religiöse Empfinden für ihn war eine ganz ganz wichtige Sache. Und Beuys hat mich darauf gebracht, dass mein Interesse für Fotografie und mein Interesse für Religion zusammengebracht werden kann. Und als er das mal so mir entgegengeworfen hat, mal ganz kurz - da hat es bei mir Klick gemacht."
    1988 machte sich Hans Georg Berger auf, die entfernten Weltreligionen und ihre Lehrsysteme in fotografischen Langzeitprojekten zu erforschen. Er reiste zu den buddhistischen Mönchen in die Stadt Luang Prabang im Norden von Laos, ein Zentrum des Theravada-Buddhismus. Luang Prabang ist eine alte Pilgerstadt mit vielen Klöstern, und über die Jahrhunderte hatten sich dort besondere buddhistische Rituale und Feste entwickelt. Doch durch die Revolution des kommunistischen Pathet Lao 1975 war der Ort von der Welt lange komplett isoliert. Als sich Laos nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion plötzlich öffnete, war Berger einer der ersten, der dorthin ging: mit der Absicht, die Feste und das Klosterleben Luang Prabangs zu dokumentieren - zusammen mit den Mönchen.
    "Ich kam zufällig an bei einem Fest, einem Ruderfest. Das ist kein Sport, das ist der Naga-Kult, ein nicht-buddhistischer Kult, an dem aber die Mönche teilnehmen. Ich sagte, ich will die Zeremonien des Jahreskreislaufs dokumentieren mit einer Kamera, und zwar so, dass Ihr mir sagt, was Euch wichtig ist und was richtig ist. Und ich will das über mehrere Jahre tun. Und da sagte dieser Mönch zu mir: 'Ach, das ist ja sehr schön, wenn Sie das mit uns machen, denn wahrscheinlich wird sich hier bei uns jetzt sehr viel ändern.' Da habe ich begriffen, man kann es machen."
    "Im Vordergrund stand der Dialog"
    Bald darauf wandte Berger dieses Prinzip, sich den Religionen mit den Mitteln der Fotografie anzunähern, auch für den schiitischen Islam an: im Iran. Entscheidend war eine Reise nach Isfahan 1996, auf der er zum ersten Mal theologische Studienzentren besuchte, die Hauzas.
    "Und ich war im Garten und wartete, und guckte", erinnert er sich. "Ich sitze gerne still. Und saß da still und dann kamen zehn, fünfzehn von diesen Seminaristen zu mir. Ich war der erste, der sich länger da aufhalten konnte und durfte, der erste Westler. Und die hatten wesentliche Fragen. Das war die Initialzündung."
    Der Kontakt zu dem schiitischen Wissenschaftler und Geistlichen Saeid Edalatnejad in Teheran, der zu jener Zeit ein Institut für den Dialog der Religionen leitete, führte den Fotografen weiter zu Lehrern und Ayatollahs in den Studienzentren. Abgesichert war das Projekt durch eine Verabredung mit der iranischen Regierung und mit der deutschen Regierung.
    "Deswegen hatte das natürlich auch einen politischen Aspekt. Der stand aber nicht im Vordergrund. Im Vordergrund stand der Dialog: Zu sagen, man kann miteinander friedlich und intelligent umgehen. In dieser Hauza versammeln sich seit hunderten, vielleicht über tausend Jahren die Lehrer und die Schüler. In Isfahan gibt es eine Hauza der vier Gärten. Das ist vielleicht einer der schönsten Orte des Studierens, den ich in meinem Leben gesehen habe."
    "Die meisten Ayatollahs im Iran sind Quietisten"
    Mit Kamera und Stativ verschaffte sich Hans Georg Berger Zutritt, wo kein Außenstehender Einlass bekommt. Von 2000 bis 2005 verbrachte er Tage und Wochen in den religiösen Wissenschaftszentren des Schiismus in Maschhad, in Ghom und in Isfahan. Auf den Schwarzweißfotos sieht man junge schiitische Seminaristen beim Gebet, auf anderen, wie sie über die Fotos, die Berger von ihnen gemacht hat, diskutieren.
    Er sagt: "Ich glaube, es hängt sehr an meinem dialogischen Prinzip, und an meiner Art zu fragen, dass man mich annimmt. Ich bin in meine Projekte nie als ein Wissender hineingegangen, ich bin immer als ein Lernender zu diesen verschiedenen religiösen Situationen gegangen, die ich mir ausgesucht hatte."
    Die Fotografien bezeugen das, sie sind von einer großen spirituellen Kraft.
    "Bei den Schiiten habe ich eine ganz merkwürdige Sache erlebt", erzählt der Fotograf. "Wir nehmen nur diese konservative, an der politischen Macht interessierte Linie wahr. In Wahrheit sind die meisten Ayatollahs in Iran Quietisten. Die sagen, wir sollten uns von der Politik fernhalten. Aber es gibt eben diese zehn Prozent, die das anders sehen, und die auch an der Macht sind."
    "Es gibt eine große Enttäuschung dem Regime gegenüber"
    Im vergangenen Jahr wurde die Fotoausstellung bereits in Iran gezeigt, in Maschhad, Ghom, Isfahan und in Teheran. Denn im Zuge des Kulturdialogs zwischen Iran und Deutschland nach der Unterzeichnung des Atomabkommens 2015, kam aus dem Kreis der schiitischen Geistlichen eine Anfrage. Über die Botschaft und das Auswärtige Amt äußerten sie den Wunsch, die Fotografien auszustellen. Für Berger war es nach zehn Jahren eine Begegnung mit der brisanten aktuellen Situation. In jeder der vier Städte wurden von seinen Fotos gewisse Bilder nicht gezeigt.
    Er sagt: "Es war völlig unmöglich, das zu durchschauen! Ich weiß, dass Kunst und Politik sehr viel miteinander zu tun haben. Was ich weiß, kommt aus der Begegnung mit den Menschen, die mir Dinge erzählen. Was mich beeindruckt hat, war zu sehen, dass es bei ganz vielen Leuten dort in Iran eine große Enttäuschung dem Regime gegenüber gibt. Und es gibt gleichzeitig sehr viel Hoffnung, dass dieser Präsident Rohani eine Öffnung bewirken kann des Regimes und dass sich das Regime dadurch verbessern kann und entwickeln kann. Gleichzeitig gibt es sehr oft Angst vor Krieg. Das ist erschütternd."
    Angesichts der angespannten Lage nach der Kündigung des Atomabkommens könnte es sein, dass dieser differenzierte Blick nun weniger gefragt ist.
    Die Ausstellung "Einsicht. Drei Reisen in die innerste Welt des schiitischen Islam" läuft noch bis zum 14. Juli in der Bumiller Collection in Berlin-Kreuzberg, Naunynstraße 68.