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Theokratie
Regieren mit Gott im Iran

Der Oberste Geistliche Führer Ajatollah Ali Khamenei bezeichnete das iranische System als "einmaliges Phänomen, das attraktiv für islamische Nationen ist". Viele Iraner haben offenbar Zweifel. Immer mehr kritisieren die Machtkonzentration auf den religiösen Führer.

Von Christian Buttkereit | 10.01.2018
    Der iranische Präsident Hassan Ruhani
    Demokratie oder Theokratie? Der iranische Präsident Hassan Rohani im Schatten der religiösen Führer ... (AFP / Iranian Presidency)
    Der Iran ist anders, und zwar auch, was die Organisation des Staates betrifft. Doch wer mitreden oder sich gar einmischen will, sollte die Strukturen kennen, warnt der Politologe Professor Sadegh Zibakalam von der Universität Teheran.
    "Der größte Fehler, den ein ausländischer Beobachter begehen kann, ist zu glauben, dass er den Iran einfach begreifen kann."
    Dabei scheint auf den ersten Blick alles ganz einfach, meint Zibakalam:
    "Im Iran ist die Politik äußerst kompliziert. Denn an der Oberfläche ist es klar: Alle vier Jahre Wahlen finden Wahlen statt, es gibt ein Parlament, einen Präsidenten, eine Verfassung, es gibt den Führer als oberste politische Instanz. Aber gleichzeitig ist es undurchsichtig, wie diese Ämter arbeiten und miteinander interagieren. Die politische Macht ist aber nicht nur in diesen Instanzen vereint, andere machen indirekt ebenfalls Politik."
    "Er ist nur Gott Rechenschaft schuldig"
    Zum Beispiel die paramilitärischen Revolutionsgarden. Sie sind gleichzeitig die größte Wirtschaftsmacht des Landes und unterstehen allein dem Obersten Geistlichen Führer. Der ist qua Verfassung das Staatsoberhaupt und gibt die Richtlinien der Politik vor. Er wird alle acht Jahre vom Expertenrat gewählt und ist als Anführer der Revolution eigentlich nur Gott Rechenschaft schuldig. Er bestimmt die Oberbefehlshaber der Streitkräfte, den Polizeipräsidenten, den Vorsitzenden des staatlichen Rundfunks, den obersten Richter, den Generalstaatsanwalt, den Kommandeur der Revolutionsgarden und die Freitagsprediger.
    Der geistliche Führer des Iran, Ajatollah Ali Khamenei
    Im Iran geschieht ohne seine Zustimmung nichts: Der Oberste Geistliche Führer Ajatollah Ali Khamenei (imago / UPI photo)
    Seit 1989 bekleidet dieses Amt der heute 78-Jährige Hardliner Ajatollah Ali Khamenei. So allgegenwärtig sein Bild im Iran ist, so deutlich sind seine Botschaften an das Volk und die Welt. Etwa wie diese:
    "Der Feind strebt danach, die islamische Republik der 'religiösen Demokratie' zu berauben. Jenes einmaligen Phänomens, das so attraktiv für islamische Nationen ist."
    Trotz seiner Machtfülle als höchste geistliche und politische Instanz mischt sich Khamenei auch in andere Bereiche ein, beklagt Politikwissenschaftler Zibakalam:
    "In der Verfassung steht nicht, dass der Führer den Präsidenten der Teheraner Universität, den Bürgermeister von Teheran oder Provinzgouverneure bestimmen muss. Aber es ist unvorstellbar, dass jemand eines dieser Ämter bekleidet, wenn der Führer etwas dagegen hätte."
    Reformen hängen von Khameneis Zustimmung ab
    Eigentlich ist die Regierung für die Tagespolitik zuständig. Weitreichende Entscheidungen kann sie aber nur in Abstimmung mit Khamenei treffen. Nach der reinen Lehre der "Islamischen Revolution" ist die Regierung ohnehin nur übergangsweise im Amt. Solange, bis der entrückte 12. Iman Mahdi zurückkehren und als einzig legitimer Herrscher die muslimische Welt regieren wird.
    Dessen aktueller Vertreter, Regierungschef Hassan Rohani, war als Reformer angetreten. Tatsächlich war es seiner Regierung gelungen, in den Atomverhandlungen eine Aufhebung der Wirtschafts-Sanktionen zu erreichen. Im Mai 2017 wurde er wiedergewählt, unter anderem wegen Reformversprechen wie diesen:
    "Die Wirtschaft muss in die Hände des Volkes. Ich bin sogar der Meinung, dass der Kulturbereich und die Sozialdienste ebenso privatisiert werden müssen. Der Staat darf nur seine eigenen Pflichten erfüllen, soweit es das Gesetz vorschreibt. Die Privatwirtschaft arbeitet in jeder Hinsicht besser als der Staat und besser als halbstaatliche Institutionen. Diese Institutionen müssen einer freien Konkurrenz unterstehen, sie müssen privatisiert werden."
    Ob der 69-jährige Rohani seine Versprechen umsetzen kann, hängt zum einen von den staatlichen Finanzen ab und zum anderen von der Kooperation des "Geistlichen Führers" und der Revolutionsgarden. Spielen diese Akteure nicht mit, bleibt jede Reform im Ansatz stecken. Als Beispiel nennt Politologe Zibakalam die Infrastrukturausgaben:
    "Knapp 9 Milliarden Euro beträgt das aktuelle Infrastruktur-Budget. Das heißt, in 12 Monaten sollte dieses Geld ausgegeben werden. In den ersten 8 Monaten wurden aber nicht einmal 2 Milliarden Euro ausgegeben. Sehr optimistisch gesehen, werden sie bis zum Ende des Haushaltsjahres vielleicht 3 Milliarden Euro ausgeben."
    "70 Prozent würden gegen die Islamische Republik stimmen"
    Die Iraner wissen das. Denn obwohl Präsident Rohani beim Volk nicht besonders beliebt ist, richten sich die Proteste in diesen Tagen nicht gegen ihn:
    "Die jungen Leute sind zwar arbeitslos, es geht ihnen finanziell schlecht, aber sie wissen: Rohani ist höchstens zu 20 Prozent Schuld an der Situation. 70 bis 80 Prozent der Verantwortung liegt bei den übergeordneten Leitlinien der Politik. Zum Beispiel, dass Geld, dass viel Geld in Syrien oder dem Jemen ausgegeben wird."
    Foto wurde von der regimekritschen, exil-iranischen Gruppe Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) zur Verfügung gestellt. Proteste in Toyserkan, südlich von Hamadan (Iran) eskalieren am 03.01.2018
    Die Proteste im Iran richten sich auch gegen das System der Islamischen Republik (dpa / Mek Network Inside Iran / Nationalen Widerstandsrat Iran)
    So einmalig das System der Islamischen Republik auch ist - anders als bei der islamischen Revolution 1979, steht das Volk mehrheitlich nicht mehr dahinter, meint Professor Zibakalam.
    "Ich bin der Überzeugung, dass bei einem Referendum mindestens 70 Prozent der Bevölkerung gegen die Islamische Republik stimmen würde. Höchstens 30 Prozent würden 'ja' sagen."
    Die Frage ist nur: Was käme danach? Dass sich durch reguläre Wahlen etwas am System der Islamischen Republik ändert, scheint so gut wie ausgeschlossen. Schließlich sieht das Wahlgesetz vor, dass alle Kandidaten vom Wächterrat zugelassen werden. Der setzt sich zur Hälfte aus hohen Mullahs zusammen und zur Hälfte aus Juristen - die wiederum vom Revolutionsführer ernannt wurden. Trotzdem warnt Politologe Zibakalam vor zu viel Eifer von innen und Einmischung von außen:
    "Diese 70 Prozent sind gegen die Islamische Republik. Aber ich, als Universitätsprofessor, sage: Ihr macht einen gewaltigen Fehler. Man kann dieses System nicht kaputt machen. Der einzige Weg ist, dieses System Stück für Stück zu verändern. Wenn wir es zerstören, machen wir nur Rückschritte."