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Frankreich
"Deutschland hat Macron seit einem Jahr alleine gelassen"

Frankreichs Präsident Macron habe aktuell eine der größten Krisen zu bestehen, sagte Franziska Brantner, die europapolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, im Dlf. Verantwortung dafür liege auch bei der Bundesregierung: Sie habe ihn in europapolitischen Fragen - wie etwa der Digitalsteuer - zu wenig unterstützt.

Franziska Brantner im Gespräch mit Dirk Müller |
    Juli 2018 Der französische Präsident Emmanuel und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel
    Emmanuel Macron und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Franziska Brantner kritisierte im Dlf, dass die Bundesregierung Macron im letzten Jahr zu wenig unterstützt habe (dpa / picture alliance / Francois Mori)
    Dirk Müller: Das ist ein großer Schlag für die französische Politik, vermutlich auch für die europäische. Emmanuel Macron wankt. Er geht vor der Grande Nation auf die Knie, rhetorisch zumindest, und bereut Teile seiner Reformeinschnitte öffentlich im Fernsehen. Der französische Präsident geht auf die Gelbwesten zu, verspricht mehr Sozialleistungen für die Armen.
    Die Dämmerung des Emmanuel Macron - das ist unser Thema mit der Grünen-Politikerin Franziska Brantner, Obfrau ihrer Partei im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der französischen und europäischen Politik. Guten Tag, Frau Brantner.
    Franziska Brantner: Guten Tag, Herr Müller.
    Müller: War es das mit dem großen Hoffnungsträger?
    Brantner: Emmanuel Macron hat offensichtlich eine sehr schwierige Zeit, einen ganz schwierigen Stand in Frankreich. Ich würde noch nicht den Stab über ihn brechen, aber es ist offensichtlich die größte Krise, die er jetzt zu bestehen hat. Er hat ja gestern auch richtigerweise eigene Fehler eingestanden. Das war auch, glaube ich, notwendig, dass er selbstkritisch auf das letzte Jahr guckt und auch ankündigt, was er anders machen möchte.
    Müller: Da haben viele jetzt das Gefühl, er ist mit vollem Tempo ungebremst in diese Krise hineingefahren und hat vorher gar nichts realisiert. Kann das sein?
    Brantner: Was ihm fehlgelaufen ist - das hat er auch gestern gesagt - ist, dass er häufig es nicht geschafft hat, wirklich alle Franzosen und Französinnen auch anzusprechen, sie mitzunehmen, arrogant rüberzukommen, nicht zu hören, wo die Probleme sind, und das war auch seine größte Schwäche, dass er bei der sozialen Gerechtigkeit nicht genug getan hat.
    Das war bei allem, was er auch richtig gemacht hat, an Reformen angegangen ist, die große Schwäche in seinem Regierungshandeln, auch vorher schon in seinem Programm, und wir sehen einfach, dass weder eine ökologische Modernisierung, noch der Erhalt unserer Demokratie funktioniert, wenn es nicht fairer zugeht, wenn nicht alle das Gefühl haben, sie können dazugehören und auch teilhaben an dieser Gesellschaft. Diesen Fehler hat er jetzt ja angekündigt, angehen zu wollen. Das ist, glaube ich, dringend nötig.
    Die Grünen-Politikerin Franziska Brantner ist Bundestagsmitglied und Sprecherin ihrer Fraktion für Kinder und Familienpolitik
    Die Grünen-Politikerin Franziska Brantner (picture alliance/ dpa/ Soeren Stache)
    Müller: Weil er nicht verstanden hat, dass letztendlich Arbeitsplätze und die Ökonomie doch das Wichtigste ist?
    Brantner: Die Arbeitsplätze und die Ökonomie stehen bei ihm immer im Vordergrund. Die Frage ist, die Menschen, die prekär beschäftigt sind, ob die bei ihm im Vordergrund standen, und da gab es Zweifel und berechtigte Zweifel. Deswegen ist es richtig, wenn er jetzt den prekär Beschäftigten, den armen Rentnern unter die Arme greifen will, dass auch diese Menschen das Gefühl haben, dass sie wirklich teilhaben können an dieser Gesellschaft.
    Das ist die berechtigte Kritik, die es an ihm gab, und jetzt müssen wir natürlich hoffen, dass er das nicht nur als Lippenbekenntnisse vorangebracht hat, sondern auch wirklich umsetzt.
    "Mich erschreckt das alle anderen Parteien fast untergehen"
    Müller: Ich muss Sie das noch mal fragen, Frau Brantner. Sie haben in Frankreich studiert, sind nach wie vor ja mit vielen Franzosen auch in engem Kontakt - nicht nur mit der politischen Elite. Sie kennen das Land, Sie spüren das Land, Sie fühlen das Land. Das haben Sie in vielen Gesprächen ja auch immer wieder dargestellt. Meine Frage jetzt: Ist Frankreich in unserem Sinne überhaupt reformierbar?
    Brantner: Ja, natürlich! Frankreich reformiert aber anders als Deutschland. Ich finde immer, es ist unglaublich, wieviel in Frankreich über lange Zeiten ausgehalten wird und man es nicht ändert, und dann kommt so etwas relativ Radikales. In Deutschland sind es immer so kleine Trippelschritte und am Ende ist man vielleicht sogar im gleichen Ergebnis, aber auf einem ganz anderen Weg.
    Die Frage ist natürlich, inwieweit man jetzt in Frankreich überhaupt noch ein funktionierendes Parteiensystem hat. Mich erschreckt es zum Beispiel wirklich sehr, dass es Macron gibt in dieser Debatte und dann die extrem Linken und die extrem Rechten und alle anderen Parteien fast untergehen oder nicht mehr existieren. Das ist eine gefährliche Situation und das ist etwas, was auch alle spüren.
    Jean-Luc Mélenchon (Sozialisten) und Marine Le Pen (Front National) bei einer TV-Debatte im französischen Fernsehen vor der Präsidentschaftswahl 2017.
    Jean-Luc Mélenchon (Sozialisten) und Marine Le Pen (Rassemblement National) bei einer TV-Debatte vor der Präsidentschaftswahl 2017. (picture alliance/dpa - MAXPPP)
    Müller: Wenn ich Sie hier unterbrechen darf? Empfinden das die Franzosen auch so, dass die Linken und die Rechten - wir reden ja von Jean-Luc Melenchon auf der einen Seite und dann vom Rassemblement National, die Nachfolgeorganisation wie auch immer des Front National unter Marine Le Pen. Sind das in Frankreich extreme Parteien, oder sind die längst eingepreist ins politische Spektrum?
    Brantner: Nein, das sind immer noch Parteien an den extremen Rändern. Marine Le Pen ist eindeutig auf der ganz rechten Seite mit rassistischen Tönen, antieuropäisch, antiliberal. Sie stand zusammen mit Steve Bannon und freute sich darüber, dass Paris brennt. Für eine demokratische Partei, finde ich, ist das absolut inakzeptabel, dass man sich darüber freut, dass eine Stadt brennt, zusammen mit Steve Bannon. Das zeigt, wo sie steht.
    Und wenn Jean-Luc Melenchon auch anfeuert, in der Richtung weiterzugehen, dann ist das ja keine demokratische Debatte, sondern eine, die über die Gewalteskalation geht. Diese Angst davor, wohin führt das in Frankreich, wenn diese Kräfte das weiter anfeuern, und wenn man dann noch sieht, wie viele russische Bots in der Debatte waren, das gefakte Videos zirkuliert haben über Verletzte, die es gar nicht gab, und natürlich dadurch die Stimmung angeheizt haben, dann fragen sich auch in Frankreich viele, wer hat denn da gerade noch die Fäden in der Hand. Das ist etwas, was durchaus auch viele Sorgen bereitet.
    "Die demokratische Mitte ist ziemlich geschwächt"
    Müller: Wenn wir Ihnen jetzt folgen, Frau Brantner, heißt das, wenn ich Sie richtig verstanden habe, die demokratische Mitte in Frankreich hat längst keine Mehrheit mehr?
    Brantner: Die demokratische Mitte ist ziemlich geschwächt und das ist die Herausforderung von Macron, jetzt hier die richtigen Zeichen zu setzen und sie zu stärken, die Prekären einerseits zu unterstützen, aber auch die Mitte. Natürlich braucht es da auch Signale, dass alle ihren fairen Teil schultern müssen.
    In Ihrem Vorspann war ja gerade der Bericht über die Digitalsteuer. Da hat Europa, auch Deutschland Macron seit einem Jahr allein gelassen. Er fordert ja ganz klar ein, dass es Fairness braucht, dass alle, auch die großen Internet-Giganten ihren Beitrag leisten zum Sozialwesen. Seit Monaten sagt Deutschland Nein, so nicht, wird aufgeschoben, rausgeschoben, und das ist die Frage: Schaffen wir es, die Mitte davon zu überzeugen, die Demokraten davon zu überzeugen, dass wir Europa fairer gestalten können. Wenn Macron da immer nur Nein bekommt, dann fangen wir auch an, irgendwann daran zu zweifeln.
    Die sogenannten Gelbwesten protestieren in Frankreich
    Proteste der sogenannten Gelbwesten in Frankreich (imago / Omer Messinger)
    Müller: Das ist ja auch bei der Finanztransaktionssteuer so. Darüber haben wir letzte Woche auch hier im Deutschlandfunk noch einmal berichtet, wie die anderen Medien auch. Die Franzosen haben dort im nationalen Alleingang im Grunde dieses Paket verabschiedet und die Europäer waren sehr skeptisch, die Deutschen auch. Jetzt gibt es offenbar eine neue Initiative, was auch immer dabei herauskommen mag.
    Brantner: Das ist lächerlich!
    "Wenn Macron jetzt zehn Milliarden an seine Armen in Frankreich gibt, dann muss er das Geld irgendwo herbekommen"
    Müller: Unterstützung Macrons von Seiten Berlins, von Seiten der Bundesregierung, von Seiten der deutschen Politik, das wird diskutiert, seitdem Macron die großen Europavorschläge gemacht hat, und hat wenig Antworten bekommen. So lautet jedenfalls die Kritik und die Vorwürfe. Trägt Deutschland, trägt die Bundesregierung und Frau Merkel eine Mitverantwortung dafür, dass Emmanuel Macron in Schwierigkeiten ist?
    Brantner: Deutschland hat Emmanuel Macron seit einem Jahr jetzt alleine gelassen und deswegen ist diese Verantwortung auch durchaus bei uns selbstkritisch mit zu suchen. Bei der Digitalsteuer ist das so offensichtlich. Das ist so eine Frage, die jeden berührt. Ich zahle meine Steuern, der Bäcker auf der Ecke zahlt seine Steuern und Facebook, Amazon zahlen keine Steuern oder kaum Steuern. Das ist einfach ungerecht und das können wir als Europäer gemeinsam angehen.
    Wissen Sie, dieser popelige Vorschlag jetzt, dass die Steuern zahlen sollen auf die Werbeeinnahmen, das ist ja so mickrig. Olaf Scholz hat selber gesagt, das sei vernachlässigbar. Das kann doch nicht die europäische Antwort sein. Wenn Emmanuel Macron jetzt zehn Milliarden an Prekäre und seine Armen in Frankreich gibt, dann muss er das Geld dafür irgendwo herbekommen. Es war richtig zu sagen, wir müssen das schultern und wir müssen auch die Industrie da mehr mit reinnehmen. Und wenn dann aus Deutschland das immer geblockt wird, dann muss er irgendwann alleine national handeln. Das ist die Frage, die wir uns stellen müssen.
    Müller: Macht er es sich nicht ein bisschen einfach, große Reformprogramme, Modernisierungsprogramme zu versprechen und dann die eigenen Hausaufgaben im eigenen Land nicht umsetzen zu können?
    Brantner: Das stimmt ja nicht so, dass er gar keine Hausaufgaben gemacht hat. Er hat ja Reformen angegangen.
    face a face CRS vs gilets Jaunes - Avenue Marceau - barricades NEWS : Manifestation des gilets jaunes - Paris - 01/12/2018 StephenCaillet/Panoramic PUBLICATIONxNOTxINxFRAxITAxBEL
    Ein Protestierender mit einer gelben Weste vor französischen Sicherheitskräften in Paris. (imago stock&people)
    Müller: Wir sehen ja das Ergebnis jetzt.
    Brantner: Aber es gibt ja auch Reformen, zum Beispiel in der Bahnstruktur und am Arbeitsmarkt. Da wurde ja einiges reformiert. Und es ist absolut richtig, dass er jetzt die Kurskorrekturen macht, dass die ärmere Bevölkerung auch teilhaben und nicht abgehängt werden. Das war der Fehler seiner ersten Reformen, dass er vielleicht zu weit gegangen ist oder zumindest oben nicht genug belastet hat und dass er unten zu viel belastet hat. Wenn er das jetzt korrigiert, das ist richtig.
    Aber es erübrigt sich die Frage, wie wir es gemeinsam besser schaffen, dass alle einen fairen Beitrag am Gemeinwohl leisten, und das ist national heute wirklich schwieriger zu erreichen als früher. Da gibt es Vorschläge, die Finanztransaktionssteuer, die Digitalsteuer, und wenn aus Deutschland immer nur ein Nein kommt, dann unterminiert das natürlich auch seine Anstrengungen, für Fairness in Europa zu sorgen.
    Müller: Ist das nicht Symbolpolitik? Das würde ein paar Milliarden bringen für ganz Europa und ein paar Millionen wie auch immer, 20, 30 Millionen, 50 Millionen für Frankreich. Damit ist Frankreich nicht geholfen und Deutschland auch nicht.
    Brantner: Es geht um ein paar Milliarden. Ich würde bei Milliarden immer noch nicht von Nichts reden. Und natürlich kommt es auf die Ausgestaltung an. Wenn man das so klein definiert, wie jetzt gerade Herr Scholz das macht, dann sind es ein paar Millionen. Wenn man es richtig machen würde, bringt es ein paar Milliarden. Und die Idee ist ja auch gar nicht unbedingt, dass es nur an Frankreich geht, sondern dass man das gemeinsam investiert in Bildung, in Innovation, damit unsere Wirtschaft auch wieder in die Zukunft gehen kann.
    Von daher ist die Frage, wenn wir das wirklich gemeinsam angehen wollen, hat er noch weitreichendere Vorschläge mit Steuergerechtigkeit gegen Steuervermeidung, Steuerdumping, Steuerraub in Europa, eine gemeinsame Körperschaftssteuer in Europa einzuführen. Die Digitalsteuer ist ja nur so ein Minimumprojekt. Er hat ja wesentlich weitreichendere faire Besteuerungen vorgeschlagen, um europaweit endlich auszumerzen, dass manche sich überhaupt nicht beteiligen und durch "kreative Steuergestaltung" de facto keine Steuern zahlen.
    Es ist doch auch endlich an der Zeit, dass wir das als Europäer gemeinsam angehen, und da kommt halt nichts aus Berlin. Da kommt immer nur ein Nein, später, oder wenn etwas kommt, dann ein ganz, ganz kleiner Trippelschritt. Damit kann man leider immer weniger Menschen auch überzeugen.
    Müller: Die Grünen-Politikerin Franziska Brantner, Frankreich-Kennerin, bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben. Frau Brantner, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Brantner: Ich danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.