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Frankreich und der Islam

Mit zwischen drei und sechs Millionen Muslimen ist der Islam in Frankreich nach dem katholischen Glauben zur zweitwichtigsten Religion im Land avanciert. Oft hat es jedoch den Anschein, dass der Umgang mit dem Islam polittaktisch instrumentalisiert wird.

Von Burkhard Birke | 05.10.2010
    Das Foto machte die Runde: Zwei junge Mädchen stolzierten am Wochenende total beinfrei auf Stöckelschuhen, aber oben total verhüllt durch Pariser Straßen. Es war ihre Art gegen das kürzlich beschlossene Burkaverbot zu demonstrieren.

    Halal Burger einerseits - Straßenfeste mit Schweinswürstchen und Wein in muslimisch dominierten Stadtteilen andererseits: An tatsächlichen oder vermeintlichen Provokationen zwischen Muslimen und Bürgern anderer Religionen herrscht in Frankreich kein Mangel. Der Politik bieten sie eine willkommene Spielwiese. Viel zu häufig, so hat es den Anschein, wird der Umgang mit dem Islam in Frankreich für polittaktische Zwecke instrumentalisiert. Denn mit je nach Schätzung und Erhebung zwischen drei und sechs Millionen Muslimen ist der Islam in Frankreich nach dem katholischen Glauben zur zweitwichtigsten Religion im Land avanciert. Die meisten dieser Muslime stammen direkt oder indirekt aus der Immigration, sind jedoch französische Staatsbürger. Während eine Hamburgerkette diese Personengruppe als kaufkräftige Kundschaft entdeckt hat und immer neue rein - Halal Ableger eröffnet, bemüht sich die Politik um klare Regeln.

    Es war kein geringerer als Nicolas Sarkozy, der sich im Wahlkampf darüber empört hatte, dass Muslime in ihren Wohnungen schächten - also Tiere nach dem islamischen Schlachtritus ausbluten lassen. Man sollte also froh sein, dass Halal jetzt in Restaurants verstärkt angeboten wird - das erspart womöglich die fragwürdige Schlachtpraxis zu Hause. Viele Nicht-Muslime indes befürchten eine Dominanz muslimischer Gepflogenheiten im öffentlichen Leben: Nach dem 11. September und im Zuge der jüngsten Terrorwarnungen wächst die Islamphobie. Es hat sich gar schon eine Résistance Républicaine, eine republikanische Widerstandsgruppe gebildet.
    Dieser sollte man zwar nicht allzu hohe Bedeutung beimessen, Fakt indes ist, dass der Präsident offensichtlich versucht, aus dem Unwissen und der vermeintlichen Angst vor dem Islam Kapital zu schlagen. Weshalb musste angesichts eines existierenden Vermummungsverbots medienwirksam ein Gesetz verabschiedet werden, das die Ganzkörperschleier aus der Öffentlichkeit verbannt? Es betrifft nicht einmal 2000 Frauen von 64 Millionen Franzosen - und künftig natürlich Touristinnen!

    Viele moderate Muslime fühlten sich dadurch stigmatisiert! Und nahezu ein Drittel aller rassistischen Übergriffe im Land richten sich gegen Muslime.

    Auch die Opposition hat deshalb teilweise den Vorwurf der Stigmatisierung erhoben. Grundsätzlich halten aber auch die Linken im Land ein Burkaverbot in öffentlichen Einrichtungen für geboten. Im laizistischen Frankreich herrscht nun einmal strikte Trennung von Religion und Staat: Das Kopftuch ist ebenso wie das Kreuz oder die Kippa schon lange an Schulen untersagt, in Schwimmbädern darf kein Burkini getragen werden und außer beim Genehmigungsverfahren hält sich der Staat aus dem Moscheebau heraus. 2000 Moscheen stehen bereits in Frankreich - zu wenig für die wachsende Gemeinde.

    Neubaupläne stoßen jedoch auf wachsende Widerstände. Diese und die Tatsache, dass viele Muslime sich - berechtigterweise - zu wenig akzeptiert und integriert fühlen, fördern radikale Strömungen auf beiden Seiten - wie der moderate Imam Hassen Chalghoumi in seinem Buch Pour L’Islam de France hervorhebt. Im Grund hat Nicolas Sarkozy recht, wenn er einen französischen Islam fordert.

    Der muss die Werte der Republik respektieren, die Werte, die überall in Europa gelten: Die Gleichheit von Mann und Frau, Polygamie- und Steinigungsverbot, keine Beschneidung und Zwangsverheiratung von Frauen u. weitere. Es war auch der Innenminister Nicolas Sarkozy, der mit dem Rat der Muslime 2003 einen zentralen Ansprechpartner für den Staat in Fragen des Umgangs mit dieser Religion endgültig ins Leben gerufen hat. Und er hat sich auch für eine stärkere staatliche Begleitung der Imamausbildung stark gemacht. In Frankreich findet die mittlerweile sogar an der katholischen Universität statt.