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Frankreich
Werben für Macron und die EU

Der Draht der Bürgermeister und Regionalfürsten nach Paris ist nicht mehr so gut, wie er mal war. Nichtsdestotrotz standen viele von ihnen Präsident Macron zur Seite und organisierten Debatten mit der Bevölkerung. Sylvain Wasermann hat genug von dem Hass in Frankreich.

Von Tonia Koch | 21.05.2019
Sylvain Wasermann hält bei einer Wahlveranstaltung zur Europawahl ein Mikrofon in der Hand
Sylvain Wasermann, Vizepräsident der französischen Nationalversammlung (Deutschlandradio / Tonia Koch)
Die Route de l‘Hôpital im Straßburger Stadtteil Neudorf ist viel befahren. Autos und die Tram schlängeln sich hierdurch auf dem Weg über die Grenze nach Kehl. Das Viertel wirkt ein wenig düster, aber die Infrastruktur ist intakt. Wer will, kann Kebab essen, sich in einer Brasserie niederlassen, Sushi bestellen oder 24 Stunden beim Italiener Pizza ordern. Hier hat Sylvain Wasermann sein Büro. Tief herab gezogene Fensterscheiben geben den Blick frei auf das geschäftige Treiben im Inneren.
Es ist 19 Uhr, Wasermann, Mitglied der Präsidentenpartei La République en marche, hat zur Grand Débat, zur großen Debatte geladen.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Europa, Straßburg, Paris - Phänomen Entfremdung.
Klappstühle werden aufgestellt, damit die etwa 40 Interessenten Platz finden. Im ganzen Land haben diese Veranstaltungen über die Dauer von sechs Wochen stattgefunden. Die Politik wollte - angestoßen durch die Gelbwesten-Proteste - herausfinden, was die Menschen umtreibt, was sie bewegt. Marc ist hier her gekommen, die Straße hat er gemieden.
"Diese Demonstrationen der 'Gilets Jaunes', die kapier‘ ich überhaupt nicht. Ich verstehe, dass die Leute unzufrieden sind, aber wenn man sich umschaut, von Deutschland einmal abgesehen, ist die Situation in den anderen Ländern doch viel schlimmer als bei uns."
Antisemitische Ausschreitungen sind kein Einzelfall
Der Gastgeber der Veranstaltung, Sylvain Wasermann, ist Vizepräsident der französischen Nationalversammlung, zehn Jahre war er Bürgermeister des kleinen Örtchensim Unterelsass. Gerade eben erst sind die Gräber des jüdischen Friedhofs des 800-Einwohner-Ortes mit antisemitischen Parolen beschmiert worden. Im Elsass ist es wiederholt zu antisemitischen Ausschreitungen gekommen.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beim Besuch eines jüdischen Friedhofs in Quatzenheim im Elsass, auf dem Grabsteine mit Hakenkreuzen beschmiert worden waren 
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron beim Besuch eines jüdischen Friedhofs in Quatzenheim im Elsass, auf dem Grabsteine mit Hakenkreuzen beschmiert worden waren (AFP/ Frederick Florin)
"Ich weiß nicht, ob es ein spezielles Problem des Elsass ist, was ich aber weiß ist, dass diese Form des Antisemitismus gegen all das gerichtet ist, wofür ich stehe und wofür ich Politik mache. Darin spiegelt sich eine tiefe Abneigung gegen unseren Staat und unser Rechtssystem wider."
Seit dem Beginn der Gelbwestenproteste habe man sich an Gewaltexzesse fast schon gewöhnt.
"Als gewählter Abgeordneter bekommen sie Morddrohungen. Wenn eine Frau aus den Reihen der Gelbwesten öffentlich sagt, dass sie bei den Europawahlen antreten möchte, wird sie ebenfalls bedroht. All das folgt der gleichen Logik, einem aus niedrigen Beweggründen entstehenden Hass, den man überall in Europa beobachten kann."
An diesem Abend im Abgeordneten – Büro der Rue de l‘Hôpital spielt das keine große Rolle.
Reihum ergreifen die Gäste das Mikrofon und fassen zusammen, was in den Wochen davor zusammengetragen worden ist. Die soziale Lage der Menschen müsse sich überall in Europa ändern. Manch eine Familie habe in Frankreich Mühe, ihre Kinder vernünftig zu ernähren.
Frankreichs Steuerzahler am Limit
Den Stein des Anstoßes für die Proteste, die Einführung einer Klimakomponente in der Besteuerung, verteidigt der Straßburger Abgeordnete.
"Ich glaube, dass Steuern und Abgaben die Dringlichkeit der Klimaveränderung abbilden müssen, aber das bedeutet nicht, dass den Bürgern, die steuerlich ohnehin am Limit sind, noch eine neue Steuer aufgebürdet werden sollte. Die Zumutbarkeitsschwelle ist bereits überschritten."
Bereits im Dezember hatte die Regierung in Paris Steuererhöhungen auf Benzin und Diesel ausgesetzt. Aber die Debatte um den teuren Diesel war nur der Auslöser. Forderungen nach mehr Gerechtigkeit betreffen inzwischen alle Politikbereiche, vom Gesundheitswesen über die Umwelt bis hin zur Landwirtschaft. Die Supermärkte machten Druck, sie würden ihre bäuerlichen Lieferanten nicht ordentlich bezahlen.
Sylvain Wasermann ist Ingenieur und hat lange im Beruf gearbeitet. Nach wie vor engagiert er sich ehrenamtlich in seiner Gemeinde. Er sei geerdet, sagt er von sich selbst.
"Ich bekomme die Probleme der Menschen schon mit, ziemlich ungefiltert in einem kleinen Dorf wie Quatzenheim, auch wenn ich dort nicht mehr Bürgermeister bin. Auch ein Ehrenamt verschafft einem tagtäglich Kontakt und du bleibst auf dem Boden."
Wasermann reagiert damit auf eine neu entbrannte Diskussion über die Rolle der Bürgermeister in Frankreich. Die Regierung in Paris und die Fläche hätten - so die These - deshalb so große Verständnisprobleme, weil die gewählten Gemeindevertreter nicht länger im Parlament sitzen dürfen. Sylvain Wasermann, der kein Freund von Ämterkumulation ist, hält das für Unsinn.
Nach einem langen Abend fasst er die Diskussion zusammen und beschönigt nichts.
"Wir haben noch einen langen Weg vor uns in Frankreich …"
Und er redet den Straßburgern ins Gewissen, nicht auf die einfachen Antworten der Populisten zu vertrauen.
"Wollt ihr wirklich, dass Europa jenen in die Hände fällt, die es zerstören wollen, in die Hände der Populisten? Ich vertraue auf die Klugheit der Leute, die ja sagt zu den Problemen, die es zu lösen gilt und nein sagt zu populistischen Parolen."