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Franz Müntefering: Meckern muss erlaubt sein

SPD-Chef Franz Müntefering hat die Kritik an den Bemerkungen von Finanzminister Peer Steinbrück über Steueroasen zurückgewiesen. Auch meckern müsse erlaubt sein, sagte Müntefering. Die Menschen könnten nicht verstehen, dass Reiche ihr Geld im Ausland versteckten. Steinbrück hatte der Schweiz und Liechtenstein vorgeworfen, sie würden zu Steuerbetrug und Steuerhinterziehung einladen.

Franz Müntefering im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Die Sozialdemokraten werben also ab heute um Stimmen für die Europawahl, Auftakt heute Abend in Köln. Dabei ist natürlich der Parteivorsitzende Franz Müntefering. Guten Morgen!

    Franz Müntefering: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Müntefering, wird dies ein europäischer, oder ein vorweggenommener Bundestagswahlkampf? Oder anders gefragt: Spielt die SPD ab heute Beethoven oder Haydn?

    Müntefering: Beides. Es ist natürlich so, dass wir uns konzentrieren auf den 7.6., auf die Europawahl, und das ist eine Wahl, die ist in sich bedeutungsvoll genug, aber dass sich europäische Themen mit deutschen verbinden, das ist selbstverständlich. Wer das voneinander trennen wollte, wer so täte, als ob das nichts miteinander zu tun hätte, der würde sich sehr irren, denn was in Europa passiert, ist in Deutschland wichtig und umgekehrt auch.

    Heinemann: Leitmotivisch wird also der Bundestagswahlkampf schon herauszuhören sein?

    Müntefering: Es wird alles mitschwingen dabei, Konzentration natürlich auf den 7.6., gebt die Stimme den Sozialdemokraten, damit Europa auch eine entsprechende soziale Zukunft hat. Das wird unsere Hauptbotschaft sein.

    Heinemann: Mit welchen Vorschlägen werben Sie sonst um Stimmen?

    Müntefering: Dafür zu sorgen, dass es eine soziale Fortschrittsklausel gibt in Europa, ganz konkret, so dass Europa nicht nur Wettbewerbsregion ist, sondern dass es immer auch die sozialen Wirkungen mit bedenken muss und dass das individuelle, das soziale Recht nicht dem Recht des Wettbewerbs nachgeordnet wird. Das ist immer noch ein Problem, was wir miteinander haben.

    Heinemann: Das sagen doch alle!

    Müntefering: Ja, aber es muss besser werden. Darauf kommt es ja an. Europa - das muss man verstehen - ist im Wesentlichen gegründet worden als eine Wettbewerbsregion. Aber es ist ein Irrtum zu glauben, man könnte in Europa gewissermaßen die Wirtschaftspolitik machen und dann auf nationaler Ebene die sozialen Dinge garantieren. Das muss besser miteinander verknüpft werden. Das ist gar kein Vorwurf, sondern das ist ein faktisches Problem, denn es gibt keine europäische Regierung. Das was in Europa stattfindet, ist ja doch im Wesentlichen eine freiwillige Verknüpfung von 27 demokratisch legitimierten, souveränen Staaten, und an dieser Form der Zusammenarbeit, einer modernen Form der sozialen Marktwirtschaft auch in Europa, daran muss gearbeitet werden.

    Heinemann: Herr Müntefering, vor fünf Jahren erzielte die SPD 21,5 Prozent der Stimmen. Kann die Volkspartei gegenwärtig mehr erreichen?

    Müntefering: Ja, deutlich.

    Heinemann: Wie denn?

    Müntefering: Menschen sehen ja, sie wissen ja, und gerade die gegenwärtige Debatte über die internationale Finanzkrise zeigt ja den Menschen, dass man die Probleme nicht mehr nationalstaatlich alleine lösen kann, sondern dass wir in Europa und in der Welt insgesamt uns sozial und demokratisch bewegen müssen. Deshalb ist das Interesse schon größer, als es gewesen ist.

    Sie haben eben Einspielungen gemacht, die kann man immer leicht finden auf der Straße. Aber das Interesse an Europa und das Bewusstsein, dass es diesen Zusammenhang gibt, ist in den vergangenen Jahren gewachsen. Ich gehe davon aus, dass die Wahlbeteiligung besser ist, und ich gehe davon aus, dass die Sozialdemokraten besser abschneiden dabei als beim letzten Mal.

    Heinemann: Heute Abend wird auch Frank-Walter Steinmeier am Rhein sprechen. In welcher Funktion, als Außenminister oder Kanzlerkandidat?

    Müntefering: Beides, auch noch als stellvertretender Parteivorsitzender. Er ist ja in besonderer Weise verbunden als Außenminister mit dem, was in Europa sich tut. Aber er ist als deutscher Vizekanzler auch mitverantwortlich und an vorderster Front, wenn es darum geht, gerade in dieser Finanzkrise und Wirtschaftskrise, in der wir uns bewegen, für Deutschland Dinge zu klären und deutsche Interessen zu vertreten, aber dabei auch die europäischen zu koordinieren.

    Heinemann: Wann macht er das? Er ist ja im Moment mit allem möglichen beschäftigt, muss zum Beispiel Listen mit Bedingungen für den Einstieg bei Opel aufstellen? Wer leitet zurzeit die deutsche Außenpolitik?

    Müntefering: Der Außenminister, überhaupt keine Frage.

    Heinemann: Wann macht er das?

    Müntefering: Er hat ein großes Haus hinter sich, tüchtige Leute, und er hat die nötige Übersicht. Das, was Sie gerade beschrieben haben, mit den Listen für Opel und so, das hat ja ganz eng was miteinander zu tun. Dahinter steckt ja ein bisschen das Missverständnis, als ob man die Dinge voneinander trennen könnte. Wir reden ja über Opel Europa.

    Heinemann: Aber das ist doch die Aufgabe des Wirtschaftsministers vor allem?

    Müntefering: Da gibt es im Kabinett eine Vereinbarung dazu, dass die Koalitionspartner im Kabinett miteinander darüber sprechen. Da ist natürlich der Finanzminister dabei und der Arbeits- und Sozialminister, der Wirtschaftsminister auch. Aber es ist doch klar, dass das alles miteinander bedacht werden muss. Das ist doch nicht so, als ob in einzelnen Ressorts da eine separate Politik gemacht wird. Man muss sich keine Sorgen machen: Der Außenminister ist gut drauf und aktiv, und an den Punkten, an denen er sein muss, ist er da.

    Heinemann: Und wie er das alles unter einen Hut bekommt, das können wir ihn übrigens selbst fragen, denn der Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat ist Gesprächspartner in unserem "Interview der Woche" am kommenden Sonntag ab 11:05 Uhr hier im Deutschlandfunk.

    Ob Peer Steinbrück der europäischen Sache gegenwärtig genauso dient, diese Frage wird man in manchem Nachbarland kaum bejahen - zum Beispiel in Luxemburg. Jean-Claude Juncker jedenfalls ist, salopp formuliert, stinksauer auf den deutschen Finanzminister. Der Regierungschef des Großherzogtums äußerte sich gestern in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner":

    "Ich finde überhaupt, dass in Europa a) über Europa viel zu schlecht geredet wird und b) dass in Europa über die Nachbarn schlecht geredet wird, sehr schlecht. Was ich mir anhören habe müssen die letzten Tage von deutschen Politikern, die einen möchten Soldaten schicken, die anderen vergleichen uns Luxemburger, Schweizer, Österreicher mit Afrikanern, und ich lasse mir das von Herrn Steinbrück nicht bieten."

    Heinemann: Jean-Claude Juncker gestern im ZDF. - Herr Müntefering, waren Sie schon mal in Ouagadougou?

    Müntefering: Nein.

    Heinemann: Frank-Walter Steinmeier war aber schon mal da, wieder eine seiner vielen Aufgaben, und er hat gesagt, er hätte diesen Vergleich nicht gewählt. Wer sagt's dem Finanz-Stone?

    Müntefering: Er hat aber auch gesagt, dass der Sinn der Sache natürlich richtig ist, die Steueroasen einzudämmen und trockenzulegen. Das ist auch so. Ich meine, jetzt wird über Dinge gesprochen, über die man reden kann, was die diplomatische Sprache angeht, aber die Wahrheit ist doch: Da sind Leute, die betrügen uns um Steuern, und zwar in erheblichem Maße. Otto Normalverbraucher kriegt seine Steuern abgezogen, ehe er sein Geld überhaupt nur sieht, und da sind andere Leute, die verstecken ihr Geld und weigern sich, die Steuern zu zahlen, die sie zahlen müssten, und sie bekommen diese Möglichkeit, weil andere Länder ihnen diese Möglichkeit geben. Wenn man nun eine europäische Politik machen will - das ist ein interessantes Thema, was Sie da ansprechen -, dann müssen die europäischen Länder sich einig sein, dass nicht ein Land das andere unterläuft, indem es dessen Bürgern die Chance gibt, Steuern zu hinterziehen. Darum geht es, und Peer Steinbrück will nicht mehr als das, was wir alle wollen, dass ehrlich Steuern gezahlt werden. Da müssen alle mithelfen, dass das auch gelingt. Das ist keine Kleinigkeit, das ist kein Kavaliersdelikt, um was es da geht.

    Heinemann: Stichwort "alle". Steinbrück schlägt auf die kleinen Staaten ein, an die USA, an China, an Großbritannien, die durchaus oasenverdächtige Grünflächen im Steuersystem aufweisen, traut er sich nicht heran. Ist Peer Steinbrück ein Hasenfuß?

    Müntefering: Das behaupten Sie, aber das stimmt doch überhaupt nicht, was Sie da erzählen. Auf G-20 und bei anderen Gelegenheiten sind alle aufgelistet worden, um die es da geht. Dann müssen Sie mal genau zuhören. Man kann ja nicht nur ein einziges Zitat herausnehmen.

    Heinemann: Den Vergleich Washington-Ouagadougou habe ich noch nicht gehört!

    Müntefering: Steinbrück ist seit Jahren unterwegs und macht deutlich, dass alle gemeint sind an der Stelle. Da soll nur keiner übertrieben empfindlich sein. Man kann ja sich auf diplomatische Sprache verständigen, da bin ich gerne mit dabei. Aber die entscheidende Frage ist, wer sorgt dafür, dass es in der Sache geklärt wird. Das gilt für die europäischen, aber auch für die internationalen Steueroasen, doch keine Frage.

    Heinemann: Aber man kann mit dem Ton viel Porzellan zerschlagen. Sollte sich Peer Steinbrück entschuldigen?

    Müntefering: Das weiß ich gar nicht im Einzelnen, was er ganz genau gesagt hat, aber zunächst mal geht es darum, dass die Länder, die davon betroffen sind, sagen, ob sie mithelfen, dass die Steueroasen ausgetrocknet werden und dass dann die Steuern auch ehrlich gezahlt werden.

    Heinemann: Die "Süddeutsche Zeitung" - wir sind immer noch beim Ton, Herr Müntefering - schreibt heute sinngemäß, mit seiner großen Klappe hätte es Steinbrück im Auswärtigen Amt nicht mal bis zum Referatsleiter gebracht. Stimmen Sie dem zu?

    Müntefering: Das hat er auch nicht versucht, Außenminister zu sein und zu werden. Aber dass ein Finanzminister klare Sprache sprechen muss, wenn es um viel Geld geht, also ich weiß nicht. Diese Empfindlichkeit, die auch jetzt da eben durchschimmerte, versucht, den Ton dort überzubetonen. Was sollen eigentlich Leute dazu sagen, die Hunderttausenden, die Angst haben um ihre Arbeitsplätze, die sehen, wie ihnen das Geld schrumpft, wie sie um Geld betrogen werden, und die dann zugucken, wie andere Leute, die viel Geld haben, einfach keine Steuern zahlen? Da sollten wir mal lieber drüber sprechen. Da wird kein Ton gemacht, aber man kann auch, ohne dass man irgendetwas sagt, sich da ganz schlimm verhalten, und das tun manche.

    Heinemann: Und der Außenminister hat aber inzwischen doch mit den Regierungen telefoniert. Also offenbar gibt es da Gesprächsbedarf auch über den Ton?

    Müntefering: Das ist in Ordnung. Ich bin mit dabei, wenn man freundlicher miteinander umgeht. Wenn alles freundlich geht, geht es, aber wenn man mal meckern muss, damit sich was bewegt, dann ist Meckern auch erlaubt.

    Heinemann: Herr Müntefering, vor der Europawahl findet noch eine andere statt: diejenige des Staatsoberhaupts. Mehrere Genossen, so war in den vergangenen Tagen zu lesen, verweigerten der SPD-Kandidatin die Unterstützung. Rechnen Sie mit einer kurzen Dauer der Bundesversammlung?

    Müntefering: Das was Sie in den letzten Tagen gelesen haben, das habe ich ja auch schon klargestellt, sind alles Geschichten von vor einem halben Jahr. Die da genannten Namen in den Artikeln, in den einschlägigen, haben inzwischen alle erklärt, dass sie Gesine Schwan wählen. Wenn man als Journalist ordentlich recherchiert, könnte man das auch schon wissen, dass sie das getan haben. Das sind alles alte Geschichten, die da aufgewärmt werden, nur um die Sache interessant zu machen. Alle Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden Gesine Schwan wählen, manche aus anderen Parteien auch, und das wird eine knappe Geschichte, ein demokratischer Vorgang. Mehr ist es nicht, aber auch nicht weniger.

    Heinemann: Es ist aber nicht gewährleistet, ob alle von den Sozialdemokraten nominierten Wahlberechtigten Frau Schwan wählen werden. Noch mal die Frage: Rechnen Sie mit einer kurzen Dauer der Bundesversammlung?

    Müntefering: Wahlen sind geheim, und deshalb weiß man nicht ganz genau, was die Einzelnen machen. Das gilt aber für alle beteiligten Seiten. Ich gehe davon aus, dass es einen dritten Wahlgang gibt, und der wird interessant werden.

    Heinemann: Wird sich die SPD beim nächsten Mal mit den Grünen auf Joschka Fischer als gemeinsamen Kandidaten einigen?

    Müntefering: Ha, wo haben Sie denn das wieder gelesen? - Das weiß ich nicht. Jetzt lassen Sie uns mal ernsthaft bleiben. Es geht jetzt wirklich um den 23. Mai dieses Jahres. Dann sind wir fünf Jahre weiter, im Jahre 2014, und dann werden wir sehen. Ich bin kein Prophet, ich weiß nicht, was in fünf Jahren sein wird.

    Heinemann: Gut! - In den "Informationen am Morgen" sprachen wir mit dem SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Müntefering: Ja. Bitte schön, Herr Heinemann.