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Frauenrechte in Afghanistan
"Wenn man jemanden bestrafen wollte, hat man die Frauen bestraft"

Seit dem Sturz der Taliban 2001 hätten sich Frauen in Afghanistan viel erkämpft, sagte die Journalistin Shikiba Babori im Dlf. Das Abkommen zwischen den USA und den dadurch gestärkten Taliban könnte das wieder ändern, befürchten viele Afghaninnen. Schon habe man an ihnen Exempel statuiert.

Shikiba Babori im Gespräch mit Änne Seidel | 08.03.2020
Frauen demonstrieren in Kabul gegen das Abkommen der USA mit der Taliban.
Frauen demonstrieren in Kabul gegen das Abkommen der USA mit der Taliban. "In den Verhandlungen ist es überhaupt nicht vorgesehen, dass Frauen beteiligt sind", sagte die Journalistin Shikiba Babori im Dlf. (dpa-Bildfunk / AP / Rahmat Gul)
Seit dem Sturz des Taliban-Regimes 2001 hat sich für afghanischen Frauen einiges verbessert: Es gibt mittlerweile viele Journalistinnen und sogar einen Fernsehsender, der von Frauen für Frauen produziert wird. Doch die Freiheiten, die sich Afghaninnen in den letzten 18 Jahren erkämpft haben, sind fragil. Vergangene Woche unterschieben die USA ein Abkommen mit den extremistischen Taliban - es soll ein erster Schritt sein, hin zu innerafghanischen Friedensverhandlungen. Doch viele Frauen in Afghanistan fürchten seitdem, dass die Taliban wieder an der Macht beteiligt werden könnten. Die Journalistin Shikiba Babori ist selbst in Afghanistan geboren, reist regelmäßig dorthin und ist in Kontakt mit afghanischen Frauenrechtlerinnen.
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Änne Seidel Ein möglicher Frieden in Afghanistan, das klingt ja erst mal vielversprechend. Warum macht den afghanischen Frauen diese Aussicht auf Friedensverhandlungen trotzdem Angst?
Shikiba Babori: Weil viele, die in Afghanistan jetzt aktuell aktiv sind, ob Politikerinnen, Aktivistinnen oder eigentlich jede junge Frau, die unter 30 Jahre alt ist, die Zeit der Taliban mindestens als Kind miterlebt hat, und befürchtet einfach, dass jetzt dadurch, dass die Taliban jetzt wieder mit in Verhandlungen und dadurch auch ihnen versprochen wird, eigentlich, dass die in der Regierung mit dabei sein können, dass wieder das Land in solchen Zeiten zurückverfällt und die Taliban sich deutlicher zeigen und auch ihre Regeln, die sie einst in Afghanistan ja ausgeübt haben, auch wieder erneut ausüben.
Seidel: Das Abkommen zwischen den USA und den Taliban soll den Abzug der US-Truppen einleiten, und im Gegenzug sollen die Taliban dann Friedensgespräche mit der afghanischen Regierung beginnen. Welche Rolle spielen die Frauenrechte in diesem Abkommen? Kommen sie da überhaupt zur Sprache?
Babori: Das ist auch ein Punkt, was den afghanischen Frauen im Moment aktuell wirklich Angst macht beziehungsweise in höchste Alarmbereitschaft versetzt ist, dass das genau überhaupt nicht der Fall ist. Also in den Verhandlungen ist es überhaupt nicht vorgesehen, dass Frauen beteiligt sind. Die Verhandlungen, die auch bis jetzt immer stattgefunden haben, ob in Moskau oder in Doha, was schon mal in den letzten Jahren stattgefunden hat, gab es keine Möglichkeit für die aktiven Frauen Afghanistans, dabei sein zu können. Das macht sie natürlich besorgt darüber, wie die Situation, wie die Entwicklung weitergeht.
Afghanische Frauen werden sich nie wieder abdrängen lassen
Seidel: Das heißt, sie haben Angst, dass der Frieden sozusagen auf ihrem Rücken ausgehandelt werden könnte und sie in diesem ganzen Prozess schlicht vergessen werden.
Babori: Ganz genau, und das wäre nicht zum ersten Mal, dass die afghanischen Frauen symbolisch einstehen für etwas, weil das ist mit ein Schicksal der afghanischen Frauen, über die alle Jahrzehnte eigentlich in der afghanischen Geschichte, wenn man da zurückblickt, war das immer ihr Schicksal, dass immer, wenn es ein Zeichensetzen war, man die Frauen benutzt hat, aber eigentlich, wenn es darauf angekommen ist, dass es wirklich um sie gegangen ist, wurden sie vernachlässigt, egal, in welche Richtung das gegangen ist. Ob man jetzt was Positives machen wollte, sind Frauenrechte und Frauen als Beispiel genommen worden, wenn man jemanden bestrafen wollte, hat man die Frauen bestraft, um das Land zu brechen oder ein ethnische Gruppe oder eine Gruppe überhaupt innerhalb Afghanistans.
Seidel: Vielleicht bleiben wir noch mal einen Moment bei der Geschichte der Frauenrechte in Afghanistan. Die Taliban waren von 1996 bis 2001 an der Macht, und das war – Sie sagten es schon – für die Frauen eine ziemlich dunkle Zeit. Wie hat sich ihr Alltag seither ganz konkret verändert?
Babori: Sehr extrem eigentlich, aber das ist auch kein Kunststück gewesen, weil in der Zeit, in denen die Taliban aktiv in Afghanistan regiert haben, in der Zeit, was Sie jetzt genannt haben, war das so, dass afghanische Frauen eigentlich das Haus nicht verlassen konnte. Die durften nicht arbeiten, die durften nicht zur Schule gehen, also auch den Mädchen war das verboten, zur Schule zu gehen oder das Haus zu verlassen. Viele Familien, die Mädchen haben sie sogar in einer Notwendigkeit, überhaupt jemanden rausschicken zu können, falls es um Einkaufen oder Arbeiten geht, haben ihre Mädchen verkleidet als Jungen, damit sie rauskonnten. Das heißt, aus so einer Situation heraus, wenn man jetzt heute sieht, dass es heute Zahlen gibt, wie es nie in Afghanistan zuvor gegeben hat, wie viele Mädchen die Schule besuchen können oder wie viele Frauen überhaupt aktiv sind, arbeiten und in der Öffentlichkeit teilnehmen, das ist ein Riesenunterschied, keine Frage, aber, wie gesagt, im Vergleich zu der Talibanzeit.
Seidel: Und wie ist Ihre Einschätzung? Vermuten Sie, dass die Taliban die Frauen jetzt wirklich wieder komplett aus dem öffentlichen Leben verdrängen wollen, also so wie damals vor 20 Jahren, oder könnte es sein, dass sie vielleicht doch zu Zugeständnissen bereit sind heute?
Babori: Also afghanische Aktivistinnen innerhalb Afghanistans sagen heute, es wird niemals so sein wieder wie es damals gewesen ist unter den Taliban, weil einfach die Gesellschaft an einem anderen Punkt ist. Die Frauen haben einfach andere Standpunkte und andere Bereiche sich erkämpft und sich nie wieder davon werden abdrängen lassen.
Frauen wollen bei Friedensgesprächen mitreden
Seidel: Und wie stehen afghanische Frauenrechtlerinnen jetzt ganz konkret zu diesen angekündigten Verhandlungen? Ich nehme mal an, dass solche Verhandlungen prinzipiell ja in ihrem Sinne sind, denn auch sie wünschen sich ja vermutlich Frieden und dass die vielen Anschläge aufhören, dass der Alltag sicherer wird. All das wäre ja gerade im Interesse der Frauen, nehme ich an.
Babori: Ja, ganz klar, die sind absolut dafür. Die sagen auch grundsätzlich, dass es gut ist, dass es zu Verhandlungen, zu Friedensgesprächen kommt. Dagegen haben die nichts, aber sie wollen daran beteiligt sein. Sie wollen mitreden da drin. Über 64 Prozent der afghanischen Bevölkerung besteht aus Frauen. Über die Hälfte des Landes ist unter 25. Das heißt, es wäre sehr wichtig, und diese junge Gesellschaft, die hat einen Blick nach außen. Also die verfolgen Nachrichten außerhalb des Landes, die sehen, wie weit andere Länder sind, und die würden gerne mitmachen und mit dabei sein und auch auf nichts verzichten müssen.
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Seidel: Wenn die Frauen nun tatsächlich an diesen innerafghanischen Friedensgesprächen teilnehmen dürften, was meinen Sie, würden ihre Stimmen denn dann auch gehört werden?
Babori: Also sie sagen, im Moment treten die gar nicht als Forderer auf. Sie sagen, es ist unser Recht. Die sagen nicht, gebt uns bitte dieses Recht. Die weisen quasi darauf hin, dass man darauf Rücksicht nehmen soll. Wenn das Friedensabkommen erfolgreich sein soll, muss man darauf achten, weil sonst würde man über die Hälfte der Gesellschaft einfach nicht berücksichtigen. Dazu gehört auch, die Rechte der Frauen zu akzeptieren. Darin sind die sich auch wirklich alle sehr einig, dass sie sagen, Frauenrechte sind Menschenrechte, und die sind nicht verhandelbar.
Seidel: Was also ist Ihre persönliche Einschätzung der Lage? Was wäre die beste politische Lösung für Afghanistan und auch vor allem für die afghanischen Frauen?
Babori: Selbstverständlich wären die Friedensgespräche, die anstehen, ein Schritt zumindest in die richtige Richtung, aber dabei ist es sehr wichtig auch, dass die Afghanen selber untereinander das ausmachen und nicht Kräfte von außen, ob es jetzt die USA sind oder andere Kräfte aus der Region, die da bestimmte Interessen haben, die mitmischen. Da muss man aber auch alle Teile der Gesellschaft mit reinnehmen, ob das jetzt die Zivilgesellschaft ist, Frauenrechtlerinnen sind und alle, die sonst mit eine Rolle spielen, muss man da mit ins Boot nehmen, damit das erfolgsversprechend sein kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.