Freitag, 19. April 2024

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Freie Lizenzen bei ARD und ZDF
Warum die Nutzung von öffentlich-rechtlichen Videos schwierig bleibt

Wenn Lehrkräfte die "Sendung mit der Maus" im Unterricht zeigen wollen, müssen sie erst aufwendig die Rechte klären. Ein Bündnis fordert deswegen mehr freie Lizenzen für Wissens- und Bildungsvideos der Öffentlich-Rechtlichen. Das könnte auch die Reichweite der Sender steigern.

Von Annika Schneider | 15.12.2020
29.02.2020, Duesseldorf, Nordrhein-Westfalen, Deutschland - Fahrradhupe in Form der Maus aus der Fernsehsendung "Die Sendung mit der Maus" an einem Fahrradlenker vor einem Teich in Duesseldorf
Die "Maus" ist allgegenwärtig - wer die Videos aus der gleichnamigen WDR-Kindersendung nutzen will, muss allerdings erst Urheberrechtsfragen klären (imago images / Michael Kneffel)
"Im Verlauf der Erdgeschichte glich das Klima einer Achterbahnfahrt. Die Fieberkurve unseres Planeten zeigt die globalen Temperaturschwankungen bis heute – rekonstruiert anhand von historischen Klimadaten…."
Dieses Video aus der ZDF-Reihe "Terra X" steht auf der Wikipedia-Seite zum Klimawandel ganz oben. Möglich macht diese prominente Platzierung eine "Creative Commons"-Lizenz. Sie erlaubt, dass jeder das Video kostenlos nutzen, verbreiten und bearbeiten darf, solange die Quelle genannt wird.
Freie Lizenzen erlauben umfangreiche Nutzung
Eine solche Lizenz ist Grundvoraussetzung für alle Inhalte, die in der Wikipedia stehen. Und genau deswegen finden sich in der Online-Enzyklopädie bislang kaum Videos und Grafiken der öffentlich-rechtlichen Sender. Denn die Terra-X-Videos sind Teil eines ZDF-Pilotprojekts. Der weit größere Teil der Sendungen in den Mediatheken unterliegt weiterhin dem Urheberrecht.
Dorothee Bär (CSU), Staatsministerin für Digitales, bei der Präsentation der offiziellen Corona-Warn-App.
Forderung nach "Bundeszentrale" für Digitales"
Digitalstaatsministerin Dorothee Bär will eine "Bundeszentrale für digitale Aufklärung" gründen. Aktuell sei das Angebot von Ministerien und anderen "fragmentiert", sagte sie im Deutschlandfunk. Das sehen die Landesmedienanstalten anders.
Das verhindert nicht nur die Verbreitung im Netz, sondern auch die rechtssichere Nutzung in Schulen und Bildungseinrichtungen. Einer, der das ändern möchte, ist Bernd Fiedler, Projektmanager Politik und Recht bei Wikimedia, dem Unterstützungsverein der deutschsprachigen Wikipedia.
"Gerade in Corona-Zeiten ist es riesig wichtig, dass digitale Lernmaterialien allen zur Verfügung stehen und dass ich mir eben nicht erst dreimal Gedanken machen muss: Darf ich das jetzt verwenden? Also ich kann so ein Video nehmen, davon einen Screenshot machen, den auf ein Arbeitsblatt drucken oder in eine digitale Lernumgebung einarbeiten und damit weitermachen. Das erlaubt mir die Lizenz. Ich darf den Inhalt bearbeiten. Ich darf ihn auch in einem kommerziellen Kontext nutzen. Und egal, ob ich jetzt an einer Privatschule, einer staatlichen Schule, als Nachhilfelehrer oder sonstwo unterwegs bin, gibt mir diese Lizenz die Nutzungserlaubnis."
Millionen Klicks für ZDF-Video auf Wikipedia
Die ZDF-Videos seien auf Wikipedia ein großer Erfolg, sagt Bernd Fiedler – allein im Oktober seien sie mehr als eine Million Mal geklickt worden, die Community habe sie ins Englische und Niederländische übersetzt. Die Lizenzierung sei allerdings aufwendig, heißt es beim Sender. Zuerst müsse geprüft werden, ob das ZDF die hundertprozentigen Rechte habe. Fast alle Beiträge mit Archivbildern und Musiken fallen dabei raus. Die nutzbaren Sequenzen müssten passgenau geschnitten und getextet werden.
Ein Laptop, ein Notizblock und Kopfhörer eines Schulkinds liegen auf einem Schreibtisch
Bildungsprogramme während Coronakrise: ARD macht Schule
Die Öffentlich-Rechtlichen reagieren auf die Schließung der Schulen durch das Coronavirus: Sie sammeln Lerninhalte und stellen neue Formate für Schülerinnen und Schüler auf die Beine.
Trotzdem plant das ZDF, jede Woche zwei weitere Videos aus Geschichts- und Wissenschaftssendungen online zu stellen. Man bleibe an dem Thema dran, sagt Sophie Burkhardt, die in der ZDF-Hauptredaktion Neue Medien für die digitale Planung zuständig ist. Aber:
"Wir müssen natürlich immer einen Ausgleich auch ein bisschen finden zwischen den Menschen, die Interessen an freien Lizenzen haben und den Urhebern von Inhalten. Es ist nicht nur eine finanzielle Frage, sondern es ist auch eine Frage des Mitspracherechts des Machers bei der Frage, was mit dem Inhalt dann passiert."
Urheber wollen angemessene Vergütung
Hier kommen die Journalistengewerkschaften und Produzentenverbände ins Spiel. Die AG DOK, die die Dokumentarfilmbranche vertritt, befürwortet grundsätzlich, dass Inhalte der Öffentlichkeit leichter zugänglich gemacht werden. Entscheidend sei aber, so heißt es auf Anfrage, dass Produzenten und Urheber für alle Nutzungsformen vergütet würden – freie Lizenzen im großen Stil zu vergeben, könnte für die Sender also teuer werden.
Auch die ARD veröffentlicht seit dem Sommer Inhalte unter freien Lizenzen, darunter Erklärvideos der "Tagesschau" und den Corona-Podcast des NDR. Die von der ARD gewählte Lizenz erlaubt allerdings nur die nicht-kommerzielle Nutzung und schließt eine Bearbeitung der Inhalte aus – um auf Wikipedia veröffentlicht zu werden, reicht das nicht aus.
Dobusch: Für Sender überlebenswichtig, auf Wikipedia vertreten zu sein
Leonhard Dobusch, Mitglied im ZDF-Fernsehrat und seit Jahren Verfechter des Themas, findet das zu wenig. Er ist überzeugt: Für die öffentlich-rechtlichen Angebote sei es in Zukunft überlebenswichtig, auf Wikipedia vertreten zu sein.
"Die Reichweite des linearen Fernsehens ist im Sinkflug, vor allem in der jüngeren Zielgruppe. Auf Social Media ist es nicht so, dass ARD und ZDF auf Platz eins und zwei der Fernbedienung quasi abonniert sind. Da ist es viel schwieriger, sein Publikum zu erreichen, gerade auch, wenn es um Informations- und Bildungsinhalte geht. Die Wikipedia kann – und ich bin überzeugt davon wird – hier ein zentraler und kostengünstiger Hebel dafür sein, um mit öffentlich-rechtlichen Inhalten auch in Zukunft ein großes Publikum zu erreichen."
Bis tatsächlich ein Großteil der öffentlich-rechtlichen Inhalte frei lizenziert ist, gibt es allerdings noch einiges auszuhandeln – nicht nur zwischen den Sendern und denen, die sich für freie Lizenzen einsetzen, sondern auch mit denen, die diese Inhalte produzieren.