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Freiwillige Lösung statt Flüchtlings-Quote
"Es ist noch weitaus mehr erforderlich"

Um Italien und Griechenland zu entlasten, hat sich der EU-Gipfel darauf geeinigt, 40.000 Flüchtlinge auf andere Mitgliedsländer zu verteilen - allerdings auf freiwilliger Basis. Über eine verpflichtende Quote hätte er sich mehr gefreut, sagte Stephan Mayer, innenpolitischer Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag, im DLF.

Stephan Mayer im Gespräch mit Dirk Müller | 26.06.2015
    Stephan Mayer, CSU
    Der Beschluss der freiwilligen Regelung sei "mit Sicherheit nicht ausreichend" und werde langfristig nicht helfen, sagte Stephan Mayer. (imago/Heinrich)
    Dirk Müller: Stillstand in der Griechenland-Frage, zumindest für ein paar Stunden, und das ist nichts Neues. Nur Stillstand bedeutet, ein Scheitern rückt immer näher, ein Grexit wird immer wahrscheinlicher. Nicht nur, weil die Regierung in Athen offenbar zu wenig Entgegenkommen zeigt, aus Sicht der gläubiger jedenfalls, sondern auch, weil innerhalb der Troika die Meinungen weit auseinandergehen. Ein bisschen Stillstand, aber morgen geht es dann umso rasanter weiter. - Griechenland ist das eine Thema, das die Staats- und Regierungschefs in Brüssel jetzt auch in diesen Stunden hinter den Kulissen permanent beschäftigt. Das andere Thema sind die Flüchtlinge, der heftige Streit darum, wie 40.000 Menschen in Europa besser verteilt werden sollen. Das ist eine Marge, um die es geht. Das Ganze hat den EU-Gipfel bis tief in die Nacht wach gehalten und die Losung lautet jetzt, kurz zusammengefasst, Freiwillige vor. Auf feste Quoten, wie sie die EU-Kommission vorgeschlagen hat, aber auch die Italiener und auch die Deutschen angestrebt haben, das konnten und wollten die Länder nicht bringen. Darauf wollten sie sich zumindest nicht einigen. Dennoch: Viele Details bleiben ungeklärt.
    Aber ist das wirklich eine Lösung? Die meisten Mitgliedsländer denken offenbar gar nicht daran, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Am Telefon ist nun Stephan Mayer (CSU), innenpolitischer Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag. Guten Tag!
    Stephan Mayer: Guten Tag, Herr Müller.
    Müller: Herr Mayer, warum können wir uns auf Europa nicht mehr verlassen?
    Mayer: Zum einen muss man sagen, der Beschluss von gestern Nacht ist ein erster Schritt. Er ist mit Sicherheit nicht ausreichend und wird uns auch nicht langfristig helfen, aber es ist ein erster Schritt, dass zumindest auf freiwilliger Basis jetzt vereinbart wurde, dass eine Verteilung von 40.000 Asylbewerbern aus Griechenland und Italien in die anderen Länder möglich ist, und offenbar haben ja bis auf Bulgarien und Ungarn auch alle Länder zugestimmt, dass sie zumindest auf freiwilliger Basis bereit sind, von diesen 40.000 auch ein gewisses Kontingent zu nehmen. Das ist wie gesagt ein erster Schritt. Das wird auch nicht lange tragen. Es müssen weitere Schritte folgen. Ich wäre natürlich selber sehr froh gewesen, wenn sich die Staats- und Regierungschefs gestern Nacht darauf verständigt hätten, dass es eine verpflichtende Quote gibt für alle 28 Länder. Der Druck wird mit Sicherheit in Zukunft zunehmen. Das Glas ist halb voll. Man kann, glaube ich, ein Stück weit zufrieden sein mit den Ergebnissen von gestern Nacht, aber wie gesagt, es ist noch weitaus mehr erforderlich.
    Müller: Warum geht nicht ein Regierungschef jetzt wie Angela Merkel beispielsweise hin als Regierungschefin und sagt, das reicht mir jetzt, das ist "zum Kotzen", dass es nicht mehr Solidarität gibt in Europa?
    Mayer: Ja, die Solidarität Europas zeigt sich wirklich jetzt bei diesem Thema, und ich glaube, dass Angela Merkel vollkommen Recht hat, wenn sie sagt, das ist die größte europapolitische Herausforderung der letzten Jahrzehnte. Wenn ein vereinigtes Europa und wenn eine Europäische Union wirklich Sinn haben soll, dann doch jetzt dabei, sich wirklich auch solidarisch und fair zu zeigen bei der Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern.
    Müller: Aber das machen die Länder ja nicht.
    Mayer: Ja, und da gilt es natürlich, weiterhin Druck aufzubauen und auch klar zu machen, dass es immer zwei Seiten einer Medaille gibt. Auch die osteuropäischen Länder und auch die baltischen Länder sind wieder mal auf europäische Solidarität angewiesen. Es kann nicht sein, einerseits immer nur zu empfangen und Europa in Anspruch zu nehmen, und dann, wenn mal Solidarität eingefordert wird, sich vornehm zurückzuhalten.
    "Ein Brechen der europäischen Solidarität"
    Müller: Herr Mayer, wir reden darüber auch im Deutschlandfunk, auch mit Ihnen, auch wir beide seit anderthalb, zwei Jahren über diese Thematik. Es hat sich noch nicht viel geändert, ist jetzt meine These, und auch dieser Beschluss, der vielleicht gar kein richtiger Beschluss ist, in Brüssel von heute Nacht, von heute Morgen, bringt ja zumindest noch keine Wende. Warum ist Deutschland, vielleicht dann auch zusammen mit der Regierung in Schweden, die ja auch immer bereit ist, relativ viele Flüchtlinge aufzunehmen, auf der anderen Seite nicht so konsequent, jetzt wirklich die Frage zu sagen, Bulgarien, Ungarn, auch Polen, die ja keine nennenswerte Zahl an Flüchtlingen bereit ist aufzunehmen, mit Konsequenzen, mit Gegenmaßnahmen zu drohen?
    Mayer: Ich halte das auch dauerhaft nicht für ausgeschlossen. Ich glaube, man muss hier auch härter vorgehen gegenüber den Ländern, die sich hier wirklich vornehm zurückhalten, und es ist kein vornehmes Zurückhalten, sondern es ist eigentlich ein Brechen der europäischen Solidarität. Es ist unfair, es ist eigentlich auch sehr selbstbezogen. Ich habe natürlich durchaus Verständnis für die Ungarn. Die sind momentan in einer großen Herausforderung, haben allein in diesem Jahr schon 60.000 Flüchtlinge aufzunehmen gehabt. Aber man muss hier mit Sicherheit auch mit den Regierungschefs aus Osteuropa und den baltischen Ländern auch noch stärker ins Gericht gehen. Und ich glaube, es ist auch wichtig, darauf hinzuweisen, wenn sich die anderen Länder nicht an die Dublin-Verordnung halten, entsprechend auch dann wieder Asylbewerber zurückzunehmen, die erstmals in Europa in ihr Land eingereist sind, dann wird irgendwann auch das Schengen-System zusammenbrechen. Das Ganze hängt auch miteinander zusammen und vor dem Hintergrund kann dies wirklich nur ein erster Schritt sein, was heute Nacht vereinbart wurde.
    Müller: Halten Sie das, Herr Mayer, um auf den Punkt noch mal einzugehen - Sie haben ihn gerade auch noch mal thematisiert -, das Dublin-Abkommen, was ja besagt, dass der Erststaat, der aufgesucht wird, sich auch um die Flüchtlinge kümmern muss. Aber wenn wir uns die Zahlen da anschauen, die Entwicklung in Italien, Griechenland, die beiden werden ja immer wieder genannt. Sie haben jetzt Irland genannt, das ist auch noch eine Sondersituation, aber vor allem ja Italien und Griechenland. Da sagt dann die UNO, das sind Zehntausende, Hunderttausende, vielleicht sogar über eine Million Flüchtlinge, die aus dem Nahen Osten, aus Afrika dann entsprechend noch kommen, insgesamt in diesem Jahr 2015. Ist das dann noch angemessen und zeitgemäß zu sagen, wenn die euch zuerst besuchen, dann müsst ihr sie auch bewirten?
    Mayer: Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass es richtig ist und dass es insbesondere auch im deutschen Interesse ist, dass wir an der Dublin-Verordnung festhalten, an diesem Mechanismus, dass das Ersteinreiseland zuständig ist für die Durchführung des Asylverfahrens, und bin aber durchaus auch bereit, noch mehr Solidarität zu zeigen, auch gerade gegenüber Italien oder gegenüber Griechenland. Die sind in einer großen Belastungssituation. Aber sie müssen sich dann entsprechend auch an die Dublin-Verordnung halten. Es kann nicht sein, einerseits auch seitens Italiens und Griechenlands nur europäische Solidarität einzufordern, aber einen Großteil der Flüchtlinge, die das Land betreten, gar nicht zu registrieren, keine Fingerabdrücke zu nehmen, in der Hoffnung, na ja, die werden das Land schon wieder schnell verlassen und über den Brenner nach Österreich und nach Deutschland weiterreisen. Das Ganze muss immer konditioniert sein, Hilfe und Unterstützung ja, aber nur, wenn sich die Länder wie Italien und Griechenland auch entsprechend an die Dublin-Verordnung halten.
    "Der italienische Ministerpräsident, hat Recht, wenn er noch mehr europäische Solidarität einfordert"
    Müller: Die Regierungen in Rom und Athen beklagen das ja gerade und sagen, es gibt nicht genügend Hilfe.
    Mayer: Ja, es gibt auch noch nicht genügend Hilfe. Ich bin auch der Meinung, dass man gegenüber Italien und Griechenland noch mehr machen kann. Ich bin auch der Überzeugung, dass es richtig ist, was der deutsche und der französische Innenminister vorgeschlagen haben, dass man insbesondere in der Peripherie, also im Süden Italiens und Griechenlands, Einrichtungen schafft, um vor allem auch die Asylbewerber schneller zu bearbeiten, die entweder mit Sicherheit in Europa bleiben werden dürfen, weil sie schutzbedürftig sind, weil sie aus Syrien, aus Eritrea, aus Afghanistan kommen, und auch die schneller zu behandeln, die offenkundig kein Recht auf Asyl haben, um die dann von dort aus auch schnell wieder zurückzuführen. Und ich bin auch der Meinung, solche Einrichtungen können durchaus auch von Europa betrieben und auch bezahlt werden. Renzi, der italienische Ministerpräsident, hat Recht, wenn er noch mehr europäische Solidarität einfordert, aber ich fordere dann wiederum auch von der italienischen und auch der griechischen Regierung, haltet euch bitte an europäische Gesetze und insbesondere an die Dublin-Verordnung, sprich registriert sämtliche Flüchtlinge, die euer Land betreten, und führt dort erst mal das Asylverfahren durch.
    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk Stephan Mayer (CSU), innenpolitischer Sprecher der Unions-Fraktion. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Mayer: Ihnen auch. Bitte schön! Alles Gute.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.