Freitag, 19. April 2024

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Fremdenfeindlichkeit in Sachsen
"Das Problem erkennen: Für mich Bürgerpflicht"

Was in Chemnitz passiert sei, gefährde die Wirtschaft in Deutschland, sagte die Nomos-Geschäftsführerin Judith Borowski im Dlf. Die Demokratie müsse mit Zähnen und Klauen verteidigt werden, auch von Unternehmen. Sie schult deshalb ihre Mitarbeiter im Umgang mit Rechten.

Judith Borowski im Gespräch mit Ursula Mense | 03.09.2018
    Die Geschäftsführerin der Uhrenfirma Nomos aus Glashütte in Sachsen, Judith Borowski, lehnt an einem Bücherregal und guckt aus einem Fenster
    Geschäftsführerin der Uhrenfirma Nomos (Copyright: NOMOS Glashütte)
    Ursula Mense: In Glashütte gibt es inzwischen zehn Uhrenhersteller. Einer davon ist Nomos, der größte sogar, was die Stückzahlen angeht, beim Umsatz der dritte. Dabei ist das Unternehmen vergleichsweise jung. Kurz nach der Wende von Roland Schwertner gegründet, einem Westimport, hat es sich inzwischen zu einem erfolgreichen mittelständischen Unternehmen gemausert. Mit mechanischen Uhren, die auch ein bisschen hipp sind. Mitgesellschafterin und Miteigentümerin ist Judith Borowski, die auch für Kommunikation zuständig ist. Mit ihr habe ich über den Wirtschaftsstandort Sachsen geredet, der angesichts rechtsradikaler Ausschreitungen und der immer deutlicher werdenden braunen Gesinnung in Verruf geraten könnte. Ich habe sie gefragt, wie sie die Hetzjagd empfunden und ob die jüngsten Ereignisse auch in ihren Augen einen Wendepunkt markieren, eine neue Qualität in der rechtsradikalen Eskalation, die Auswirkungen hat auf den Wirtschaftsstandort Deutschland im Allgemeinen und Sachsen im Besonderen?
    Judith Borowski: Diese Dimension, die uns hier begegnet, die ist natürlich schrecklich und die macht auch traurig. In dieser Form habe ich das nicht erwartet und natürlich ist das etwas, was die Wirtschaft in Deutschland auch massiv gefährdet, insbesondere die in Sachsen. Wir bekommen jetzt seit einigen Tagen täglich E-Mails von Kunden, die wissen wollen, ob denn irgendein Nazi ihre Uhr zusammengeschraubt hätte. Das schadet uns insbesondere natürlich im Ausland.
    "Wir sind jeden Tag dankbar, dass die Mauer gefallen ist"
    Mense: Das heißt, Sie befürchten massive Nachteile für die Wirtschaft in Sachsen und auch speziell für Ihr Unternehmen?
    Borowski: Ja. Zunächst mal steht der wirtschaftliche Aspekt gar nicht im Vordergrund. Aber es ist natürlich auch etwas, was uns große Sorgen macht. Im Vordergrund stehen sollte, denke ich, in erster Linie, dass wir alle nach '45 gelernt haben sollten, dass wir das nie wieder wollen. Und dass jetzt Menschen in Chemnitz auf die Straße gehen und den rechten Arm heben und "Heil Hitler" rufen, das ist etwas, was mich menschlich zutiefst erschreckt. Nomos würde es nicht geben ohne die Wende. Das heißt, wir sind jeden Tag dankbar dafür, dass die Mauer gefallen ist und dass wir dort irgendwie dieses Unternehmen aufbauen konnten, und sind einfach der Ansicht, dass wir jetzt die Demokratie, die 1989 vor allem von den Sachsen auch damals gefordert wurde - auf der Straße mit dem Spruch damals: "Wir sind das Volk" -, dass diese Demokratie heute mit Zähnen und Klauen verteidigt werden muss, und zwar von uns allen, ob wir jetzt Unternehmen haben, oder ob wir in Kirchen und Verbänden aktiv sind, oder ob wir einfach ganz normale Bürger sind.
    Mit den Mitarbeitern reden - und sie schulen
    Mense: Jetzt sind die rechtsextremen Positionen aber in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Was kann oder was muss denn die Wirtschaft tun, um auch den Demokratisierungsprozess da vielleicht wieder mehr ins Rollen zu bringen?
    Borowski: Wenn ich da ein einfaches Rezept hätte, wäre ich froh - haben wir natürlich auch nicht.
    Mense: Die Unternehmen könnten ja zum Beispiel mehr Flagge zeigen, auch gegen die AfD.
    Borowski: Ja, würde ich mir wünschen, dass das jetzt alle tun. Wir versuchen, darüber hinaus einfach mit unseren Mitarbeitern zu sprechen, in Diskussionen zu kommen. Wir versuchen, sie zu schulen im Umgang mit Rechten: Wie erkenne ich Rechte? Wie dechiffriere ich auch, was sie sagen? Wie lasse ich aus den Polemiken der Rechten die Luft raus und mache da auch einen Faktencheck? Was mache ich dann aber auch, wenn vielleicht in meinem Team bei der Arbeit jemand rechtsextreme Tendenzen oder auch nur leises Verständnis dafür äußert? All diese Dinge müssen in den Unternehmen besprochen werden. Wir müssen unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dafür den Rücken stärken.
    AfD "keine Partei innerhalb des demokratischen Spektrums"
    Mense: Und wie machen Sie das?
    Borowski: Im Moment haben wir Schulungen, die wir zusammen mit dem Verein "Open Saxony" durchführen bei unseren Mitarbeitern. Wir versuchen aber auch, in Einzelgesprächen mit den Kolleginnen und Kollegen dieses Thema aufzuarbeiten.
    Mense: Und Sie setzen sich als Nomos-Unternehmen klar von der AfD ab?
    Borowski: Das tun wir schon von Anfang an. Wir haben gesagt: Für uns ist die AfD keine Partei innerhalb des demokratischen Spektrums. Darüber lässt sich natürlich trefflich streiten und wahrscheinlich werde ich dafür auch wieder böse Kommentare ernten. Aber solange sich jetzt die AfD nicht in Chemnitz auch ganz klar distanziert von dem, was dort passiert, kann ich diese Partei nicht als demokratisch empfinden.
    "Menschen in Ostdeutschland teilweise sehr veränderungsmüde"
    Mense: Nun wurde ja in Glashütte schon ziemlich früh AfD gewählt. Jeder Dritte wählt diese Partei. Welche Gründe sehen Sie dafür?
    Borowski: Das ist etwas, was uns auch sehr ratlos macht, denn in Glashütte gibt es nahezu Vollbeschäftigung. Den Menschen geht es wesentlich besser als in anderen Teilen des Landes, insbesondere als in anderen Teilen Ostdeutschlands. Es gibt nahezu Vollbeschäftigung dort vor Ort. Ich glaube, dass mit Flüchtlingen das Ganze eigentlich überhaupt gar nichts zu tun hat. Ich glaube vielmehr, dass wir den Parolen der Rechten auf den Leim gehen, indem wir auf dieses Flüchtlingsthema überhaupt zu sprechen kommen. Denn unzweifelhaft gibt es da Herausforderungen, die wir lösen müssen, aber an ganz anderer Stelle. Ich glaube vielmehr, dass die Menschen in Ostdeutschland teilweise sehr veränderungsmüde sind. Sie haben mit der Wende erlebt, dass ihr Leben einmal auf den Kopf gestellt wurde und nicht immer wieder auf die Füße. Da wurden natürlich Versprechungen gemacht und Hoffnungen geweckt; die wurden nicht bei jedem individuell auch erfüllt. Dann kam natürlich die Globalisierung, es kam die Digitalisierung, die auch noch mal das Leben stark verändert hat. Das ist etwas, was wir alle vernachlässigt haben und was vielleicht vor allem auch aus Westdeutschland, aus Berlin falsch gesehen wurde, falsch eingeschätzt wurde, und da wurde nicht genug getan.
    "Dialog an allen Ecken und Enden"
    Mense: Was erhoffen Sie sich denn dann aus Berlin kommend, als Unterstützung von der Politik?
    Borowski: Na ja, ich denke, es sind viele kleine Dinge, die jetzt getan werden müssen, Dialog mit den Bürgern an allen Ecken und Enden, von der Politik vor Ort, aber auch natürlich von den Kirchen muss was getan werden und ganz wichtig auch: von den Schulen. Wenn ich lese, dass ein großer Teil der sächsischen Lehrerschaft vermutlich auch rechts angehaucht ist, dann finde ich das natürlich besonders schlimm. Das heißt, der Mangel an demokratischem Bewusstsein muss behoben werden. Es muss von allen Seiten her an diesem Problem gearbeitet werden.
    Mense: …was in den Schulen schon anfangen müsste?
    Borowski: Man muss in den Schulen anfangen.
    Mense: …aber auch in der Gesellschaft natürlich noch nicht angekommen ist offenbar?
    Borowski: Richtig. Wir sind alle aufgefordert, jetzt dieses Problem zu erkennen. Für mich ist das eine Art Bürgerpflicht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.