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Chemnitz am Wochenende
Eine Stadt im Ausnahmezustand

Rangeleien, Strafanzeigen, Übergriffe auf Journalisten: An diesem Wochenende haben Demos für und gegen Rechts das Stadtbild von Chemnitz geprägt. Für heute ist bereits die nächste Großveranstaltung angekündigt. Unterdessen versucht die sächsische Politik, die Ereignisse der vergangenen Woche aufzuarbeiten.

Von Bastian Brandau | 03.09.2018
    Teilnehmer der Demonstration von AfD und dem ausländerfeindlichen Bündnis Pegida, der sich auch die Teilnehmer der Kundgebung der rechtspopulistischen Bürgerbewegung Pro Chemnitz angeschlossen haben, ziehen am 01.09.18 durch die Stadt.
    Chemnitz im Ausnahmezustand (dpa)
    Gemeinsam laufen Anhänger des rechtsextremen Bündnisses PRO Chemnitz, der AfD und der islamfeindlichen Pegida-Gruppierung am Samstagabend durch Chemnitz. Rund 4500 Menschen gehen dabei nach Polizeiangeben auf die Straße gegangen, Beobachter gehen von höheren Zahlen aus. Angemeldet hatten AfD und Pegida einen Trauermarsch in Reaktion auf den gewaltsamen Tod eines Mannes auf dem Chemnitzer Stadtfest vor einer Woche.
    "Ich finde wichtig, wenn in Chemnitz die Stadtgesellschaft aufsteht"
    Dem rechten Bündnis hatten sich nach Polizeiangeben rund 4000 Menschen entgegengestellt, angemeldet war eine Kundgebung von den Linken und den Grünen. Auch die Chemnitzer Oberbürgermeistern Barbara Ludwig, SPD war vor Ort. Dem Aufruf gefolgt waren auch Landes- und Bundespolitiker u.a. von CDU, SPD und Grünen. Für die Linke war unter anderem der Fraktionsvorsitzende im Bundestag Dietmar Bartsch gekommen:
    "Ich finde wichtig, wenn in Chemnitz die Stadtgesellschaft aufsteht, und da ist es gut, dass auch viele Bundespolitiker ein klares Zeichen setzen und das unterstützen. Wir dürfen nicht zulassen, dass Hetze, Gewalt, Rassismus in irgendeiner Weise anerkannt sind. Wir wollen das nicht in unserem Land, das schadet unserem Land. Und deshalb ist es gut, dass viele Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Politik hier in Chemnitz ein Zeichen setzen."
    Die Polizei hatte die Demonstration von AfD, Pegida und Pro Chemnitz beendet, nachdem die für die Kundgebung angegebene Zeit überschritten worden war. Gegendemonstranten hatten den geplanten Umzugsweg zwischenzeitlich blockiert. Mehrfach war es zu Rangeleien zwischen der Polizei und Demonstranten gekommen. Insgesamt sind nach Polizeiangaben gestern 18 Menschen verletzt worden. Die Polizei nahm 37 Straftaten auf, darunter Körperverletzung, Sachbeschädigung und das Verwenden von Zeichen verfassungswidriger Organisationen. Auch Übergriffe auf Journalisten wurden gemeldet, unter anderem sei ein MDR-Reporter eine Treppe heruntergeschubst worden. Die Polizei ermittelt auch wegen des Angriffs auf eine Gruppe des SPD-Politikers Sören Bartol. Diese sei auf dem Weg zum Bus überfallen worden, dabei seine Fahren zerstört und Menschen körperlich angegriffen worden. Abseits der Demonstrationen griffen vier vermummte einen Afghanen an und schlugen auf ihn ein.
    Aufruf der evangelischen Landeskirche
    Wir in Chemnitz – aufeinander hören, miteinander – diesem Aufruf der evangelischen Landeskirche Sachsen waren gestern Nachmittag mehrere hundert Menschen gefolgt. Dem Aufruf angeschlossen hatten sich andere Kirchen, Wirtschaftsverbände und der Chemnitzer Fußballclub, außerdem weitere Organisationen aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Der Chemnitzer Pfarrer Stephan Brenner gedachte des verstorbenen Mannes, der nach einer Auseinandersetzung auf dem Chemnitzer Stadtfest seinen Verletzungen erlegen war. Ihn bewege aber auch, was im Anschluss daran passiert sei:
    "Die Konfrontation, das Instrumentalisieren, ja die Selbstjustiz, das darf nicht sein, das darf nicht sein."
    Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer sagte, er erwarte von den Chemnitzer Bürgern deutlichen Widerspruch gegen fremdenfeindliche und rechtsradikale Positionen. Es gelte, sich vor die zu stellen, "die anders aussehen, einen anderen Glauben haben, anderswo geboren sind, anderes lieben, eine besondere Gabe haben, die manche Behinderung nennen". Viele Chemnitzerinnen und Chemnitzer sind betroffen über die Ereignisse in ihrer Stadt in der vergangenen Woche.
    "Ich wünsch mir, dass die Menschen, die für Gewaltfreiheit sind, die für Verständnis sind, für Miteinander. noch viel deutlicher auftreten. Aber wie das passieren könnte, habe ich keine Idee."
    Diskussion um Einsatz der Polizei
    Weiter für Diskussionen sorgt der Einsatz der Polizei bei der rechten Demonstration am vergangenen Montag. Die Polizei war dabei mit deutlich zu wenig Kräften im Einsatz gewesen. Das sächsische Innenministerium hat Medienberichte bestätigt, wonach die sächsische Polizei bei der Bundespolizei um Verstärkung gebeten hatte – was bisher bestritten worden war. Die Opposition verlangt nun Aufklärung. Heute findet eine Sondersitzung des Innenausschusses statt. Am Dienstag wird sich der Verfassungs-und Rechtsausschuss mit dem veröffentlichten Haftbefehl im Fall des Chemnitzer Tötungsdeliktes beschäftigen.
    In Chemnitz werden am Abend mehrere tausende Menschen zu einem Konzert gegen Rechts erwartet. Auf Einladung der Chemnitzer Band Kraftklub werden dabei unter anderem die Toten Hosen auftreten.