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Friedensverhandlungen zu Syrien
"Nicht zu viel Optimismus an den Tag legen"

Der oppositionelle Syrische Nationalrat warnt vor zu viel Hoffnung auf Fortschritte im Friedensprozess. Sein Sprecher in Deutschland, Sadiqu Al-Mousllie, zeigte sich im Dlf wenig optimistisch, dass die Waffenruhe bei den heute beginnenden Friedensgesprächen in Genf einen Fortschritt bringen könnte. Die Interessen der beteiligten Parteien seien zu unterschiedlich.

Sadiqu Al-Mousllie im Gespräch mit Jasper Barenberg | 10.07.2017
    Sadiqu Al-Mousllie im schwarzen Sakko und weißem Hemd vor einem Türeingang mit arabischen Schriftzügen. Er blickt in die Kamera.
    Der aus Syrien stammende Zahnarzt Sadiqu Al-Mousllie, aufgenommen am 12.04.2014 in der Iqra-Moschee in Braunschweig. Er ist Mitglied des oppositionellen Syrischen Nationalrats. (dpa / Stefan Jaitner)
    Jasper Barenberg: Satelliten, Drohnen und auch russische Beobachter am Boden sollen im Südwesten von Syrien kontrollieren, was in den vergangenen Wochen in Jordanien ausgehandelt wurde und bei der ersten persönlichen Begegnung zwischen US-Präsident Donald Trump und Kreml-Chef Putin in Hamburg bekanntgegeben: eine neue Waffenruhe zwischen den Kräften des Regimes auf der einen Seite und den Oppositionsgruppen auf der anderen. Ist das nun ein gutes Vorzeichen für die bisher ergebnislosen Friedensverhandlungen unter dem Dach der Vereinten Nationen? In Genf jedenfalls gehen die Gespräche zwischen Regime und Opposition heute weiter.
    Eine Feuerpause in einem Teil von Syrien, die vage Hoffnung auf einen landesweiten Waffenstillstand möglicherweise oder humanitäre Hilfe zumindest für die Menschen, all das ist ja weit entfernt von einem Durchbruch. Immerhin aber sitzen die USA seit langem erstmals wieder mit am Verhandlungstisch. Zumindest ein kleiner Hoffnungsschimmer. Darüber kann ich in den nächsten Minuten mit Sadiqu Al-Mousllie sprechen, der seit mehr als 20 Jahren in Deutschland lebt und seit 2012 Mitglied im Syrischen Nationalrat ist, einer der Organisationen der syrischen Opposition. Schönen guten Morgen, Herr Al-Mousllie.
    Sadiqu Al-Mousllie: Guten Morgen!
    Barenberg: Die Nachrichtenagenturen melden ja, dass diese neue Waffenruhe, vereinbart für den südlichen Teil des Landes, bisher einigermaßen leidlich hält. Haben Sie dazu Informationen?
    Al-Mousllie: Regime nutzt Waffenruhe als Deckmantel
    Al-Mousllie: In manchen Orten kann man sagen ja, in manchen Orten müssen wir leider feststellen – auch laut Informationen, die wir aus Syrien bekommen –, dass es nicht der Fall ist. Bis jetzt war es leider Gottes immer so, dass das Regime diese Waffenruhe beziehungsweise diese Vereinbarungen auch genutzt hat, um in manchen Orten dann die Versuche zu starten, dort voranzukommen, und das hat man immer als Deckmantel genommen.
    Barenberg: Nun sagen ja viele mit Blick auf die Gespräche zwischen Donald Trump und Wladimir Putin am Rande des G20-Gipfels, dass es ein wichtiges Signal ist, ein wichtiges Zeichen, dass die USA und Russland jetzt wieder stärker zusammenarbeiten wollen. Gibt auch Ihnen das ein Stück neue Hoffnung?
    "Vielleicht ist die Administration von Trump und Tillerson jetzt etwas agiler"
    Al-Mousllie: Wir geben die Hoffnung natürlich nie auf. Wir wissen aber, wie kompliziert die Lage in Syrien ist, und wir wissen auch, wie zurückhaltend bis jetzt die USA gewesen sind. Vielleicht ist die Administration von Trump und Tillerson jetzt etwas agiler. Die Zeichen bis jetzt zeigen aber, ehrlich gesagt, dass man nicht so viel Optimismus an den Tag legen soll, denn die Komplexität der Lage dort und die Interessen, die sind so gegenseitig und so gegeneinander, dass man nicht so viel erhoffen kann, zumindest jetzt.
    Barenberg: Wenn der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura sagt, eine Verständigung zwischen den USA und Russland ist im Grunde die essentielle Basis – so hat er das formuliert – für einen Frieden in Syrien, zumindest für einen Weg in diese Richtung, sieht er das dann richtig?
    Al-Mousllie: Da hat er Recht natürlich, weil in dieser Lage das einzige Land, die einzige Großmacht, die vielleicht etwas den Russen auch entgegenstellen kann, die Amerikaner sind. Die Russen wissen aber auch schon, dass sie viel auf dem Boden gewonnen haben. Sie haben sich sehr etabliert. Sie haben ihre Soldaten und ihre Truppen auch in Syrien gut verteilt. Insofern spielen die Amerikaner natürlich hier in einem gewissen Raum, wo sie vielleicht auch noch nicht so stark sind. Man muss sich auch vorstellen, dass hier auch andere regionale Player dabei sind wie die Türkei und andere arabische Länder, die auch versuchen, ihre Interessen durchzusetzen. Wenn beide aber zusammenkämen auf eine Lösung, könnte man vielleicht das durchsetzen. Dennoch, meine ich, hapert es an der Umsetzung, an der nachhaltigen Umsetzung auf dem Boden in Syrien selbst.
    Al-Mousllie: Europas Zurückhaltung nützt Russland
    Barenberg: Lassen Sie mich noch einen Augenblick bei dem Verhältnis zwischen Moskau und Washington bleiben. Kann man sagen, dass dieses Mal die Verhältnisse umgekehrt sind, nicht Washington hat Moskau in die Verantwortung genommen, sondern umgekehrt – Moskau Washington verpflichtet?
    Al-Mousllie: Gewissermaßen kann man das so sagen, weil Russland bis jetzt immer der aktivere Spieler in Syrien war, und damit natürlich – durch die Zurückhaltung, die auch schon seit der Administration von Obama gewesen ist – hat die USA immer eine schwächere Rolle gespielt. Hinzu kommt natürlich auch Europa, das ohnehin eine gewisse Zurückhaltung auch an den Tag gelegt hat, und damit haben wir vieles den Russen überlassen.
    Barenberg: Wenn das so ist, Herr Al-Mousllie, muss man dann nicht sagen, für die Gespräche in der kasachischen Hauptstadt Astana, vor allem aber auch für die Gespräche in Genf, dass auch die Opposition langsam mal anerkennen muss, dass es einen schnellen Abtritt von Baschar al-Assad durch die schützende Hand Moskaus auf keinen Fall geben wird?
    "Die gemeinsame Haltung der Oppositionsgruppen ist, dass Assad abgesetzt wird"
    Al-Mousllie: Das ist leicht zu sagen und leicht zu verhandeln an den Tischen, vielleicht in Astana und in Genf. Aber wie gesagt: Die nachhaltige Lösung in Syrien ist, dass die Bevölkerung, die in Syrien ist, und auch die verschiedenen Oppositionsgruppierungen, die ja auch nicht immer in eine Richtung gehen beziehungsweise auch diesen Ergebnissen zustimmen würden, das Ganze auch annehmen. Und wenn wir jetzt nach sechs Jahren mittlerweile so viele Tote, 600.000 – 700.000 Tote und auch viele Verletzte, Gehandicapte haben, die Verluste sind so groß, dass die Bevölkerung nicht einfach nachgeben wird, dass sie weiterhin unter einem Mörder und einem Diktator regiert wird. Daran hapert es, und die Mächte können zusammensitzen, aber wir werden niemals... Vielleicht können auch die Flugzeuge ein wenig aufhören zu bombardieren. Dann könnte man vielleicht eine gewisse Ruhe kriegen. Aber die Bevölkerung wird das nicht so einfach akzeptieren.
    Barenberg: Sprechen Sie da für alle Oppositionsgruppen? Denn der UN-Sonderbeauftragte beklagt ja auch, dass es da keine gemeinsame Haltung gibt.
    Al-Mousllie: Die gemeinsame Haltung der Oppositionsgruppen ist, dass Assad abgesetzt wird. Die Opposition, die im Nachhinein auch gewissermaßen präferiert worden ist, teilweise von Russland, teilweise von anderen, ich sage mal, Hauptstädten der Welt, in Kairo gab es beispielsweise Oppositionsgruppen, die immer wieder dazu kamen. Es ist leicht, bei so einer Lage und bei so einem Kuddelmuddel an Oppositionellen, denn natürlich, auch jeder will eine Rolle spielen, das muss man leider Gottes auch so sagen. Innerhalb der syrischen Opposition hat man dann versucht, immer wieder Personen reinzubringen, Gruppen reinzubringen, dass man den Syrischen Nationalrat, der 2011 gegründet worden ist, oder die Syrische Nationale Koalition damit geschwächt hat. Dennoch genießen diese beiden Gruppen nach wie vor die Anerkennung der Weltgemeinschaft und man sollte die nicht einfach marginalisieren.
    "Zurzeit sehen wir keine Fortschritte"
    Barenberg: Wenn das alles so kompliziert ist, wie Sie es uns schildern, und wenn es so schwerfällt, was ja nachvollziehbar ist, eine andere Rolle für Assad auch für eine Übergangszeit, sagen wir, zu akzeptieren, würden Sie dann auch sagen, was die Gespräche heute in Genf angeht, da wird es nicht nur keinen Durchbruch geben, wie unser Korrespondent mutmaßt, sondern da wird es keinerlei Fortschritte geben können?
    Al-Mousllie: Leider muss ich Sie enttäuschen und die erste Enttäuschung ist für uns natürlich, weil wir als Opposition auch immer wieder gehofft haben, dass man genug Druck aufbauen kann auf Assad, zumindest die Reformation und Reformierung und die Veränderung der Militärdienste beziehungsweise Geheimdienste und auch auf eine gewisse Zeit die Assad-Diktatur dann ein Ende, sich am Ende sieht. Aber zurzeit sehen wir keine Fortschritte, die möglich sind, weder durch Russland, noch durch USA, weil der Wille, da auf dem Boden etwas zu verändern, leider noch nicht da ist.
    Barenberg: … sagt Sadiqu Al-Mousllie vom Syrischen Nationalrat. Danke für Ihre Zeit heute Morgen.
    Al-Mousllie: Bitte schön, Herr Barenberg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.