Freitag, 29. März 2024

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Friedliche Revolution in der DDR
Distanz statt Protest bei der katholischen Kirche

Die katholische Kirche in der DDR war während der friedlichen Revolution politisch sehr zurückhaltend, die Bischofskonferenz der DDR schwieg gar bis zum Schluss zu den politischen Ereignissen. Damit wurde das Bild einer unpolitischen katholischen Kirche untermauert. Kirchenhistoriker halten dieses Bild allerdings mindestens für teilweise verzerrt.

Von Matthias Bertsch | 03.10.2014
    Holzkreuz in einer Kirche
    Die katholische Kirche verhielt sich während der wende zurückhaltend. (AFP/Olivier Morrin)
    Theresia Joncyk: "Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass die katholische Kirche in der Wende auch offen ist. Aber die katholische Kirche, so habe ich sie wahrgenommen, wollte nie politisch sein."
    Wolfgang Wieder: "Wir hatten als Grundsatz: Wir machen keine Revolution. Wir wollen Seelsorge hier treiben, wir wollen als Kirche leben. Und wir werden immer hinweisen auf bestimmte Grundrechte, auf Freiheit der Religionsausübung. Dazu haben sich dann die Bischöfe in gemeinsamen Hirtenworten geäußert. Aber es ging niemals darum, den Staat zu stürzen."
    1989 gab es 800.000 Katholiken in der DDR
    Theresia Joncyk und Wolfgang Weider sind zwei von rund 800.000 Katholiken, die 1989 in der DDR lebten: sie als Medizinpädagogin am katholischen St. Hedwigs-Krankenhaus in Ostberlin, er als Weihbischof im Bistum Berlin. Bei der Gründung der DDR war die Zahl der Katholiken noch gut doppelt so hoch gewesen und dennoch waren sie schon damals eine Minderheit: Das Staatsgebiet der DDR war durch die Reformation geprägt, 1949 bekannten sich noch rund 80 Prozent der Bevölkerung zum evangelischen Glauben. Die katholische Kirche dagegen war eine Diasporakirche. Das drückte sich auch im unterschiedlichen Selbstverständnis der beiden Kirchen mit Blick auf den sozialistischen Staat aus.
    Wolfgang Wieder: "Die katholische Kirche hatte die Bindung an Rom. Das war für uns ein Riesengeschenk. Das hatte die evangelische Kirche nicht, das war eine Landeskirche, die bestand nur im Sozialismus. Kirche im Sozialismus hat sie sich erklärt, wir sind Kirche im Sozialismus. Wir sagten: Wir sind Weltkirche und als Weltkirche hören wir zuerst, was der Papst sagt."
    Der Papst und die Mutterdiözesen im Westen. Drei der sechs DDR-Bistümer hatten ihren Bischofssitz in der Bundesrepublik: Magdeburg gehörte zu Paderborn, Erfurt zu Fulda, Schwerin zu Osnabrück. Der SED war diese enge Verbindung suspekt: Sie versuchte, den westlichen Einfluss möglichst zu verhindern. Das galt auch für das Bistum Berlin, das Ost- und Westberlin umfasste. Die Westberliner Kirchenzeitung "Petrusblatt" musste sich gut überlegen, wie weit sie in ihrer Kritik an der DDR gehen konnte.
    Wolfgang Wieder: "Der sozialistische Staat sagte: Wenn ihr das so scharf macht, dann werden wir den Bischof nicht mehr nach Westberlin reisen lassen. Das war immer ein Hebel, um zu erpressen Wohlverhalten. Und wir mussten eine Gratwanderung gehen, um manche Informationen, die den sozialistischen Staat in Misskredit gebracht hätten, zurückzuhalten, um die Einheit zu bewahren. Für uns war die Einheit der höhere Wert als Protest erheben oder den Staat angreifen."
    Protest nur bei zentralen Glaubensfragen
    Protest erhoben die Katholiken nur, wenn der Staat in Bereiche eingriff, die die Kirche für sich als zentral ansah, zum Beispiel als die DDR 1954 – in bewusster Gegnerschaft zu Konfirmation und Firmung - die Jugendweihe einführte.
    - "Seid ihr bereit, als junge Bürger unserer Deutschen Demokratischen Republik mit uns gemeinsam getreu der Verfassung für die große und edle Sache des Sozialismus zu arbeiten, zu kämpfen, und das revolutionäre Erbe des Volkes in Ehren zu halten, so antwortet: Ja, das geloben wir!"
    - Jugendliche: "Ja, das geloben wir!"
    "Der Aufstand gegen die Jugendweihe war sehr groß in beiden Kirchen: Auf katholischer Seite hat man sogar versucht, die Kinder und die Eltern so zu disziplinieren, dass es bis zum Sakramentenausschluss ging. Man hat lange darüber gestritten, ob das überhaupt sinnvoll ist. Die Praxis hat das alles überholt, etwa seit den 60er-Jahren hat man, auch die katholischen Eltern, den Kindern durchaus erlaubt, zur Jugendweihe zu gehen. Aber man hat immer darauf hingewiesen, dass dieses Bekenntnis zum Sozialismus ein Bekenntnis zum Atheismus ist."
    Ein Atheismus, so der katholische Kirchenhistoriker Josef Pilvousek, den Christen auf vielfältige Art zu spüren bekamen. Schon in der Schule sei den Kindern klar gemacht worden, dass sie anders seien, erinnert sich Bernd Streich, der heute an der katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin tätig ist.
    "Dieses anders bedeutete zum Beispiel für mich, dass ich natürlich zu vielen Veranstaltungen nicht eingeladen wurde. Und das erlebt man als Kind als Ausgrenzung. Und dass zweitens dieses Andersseins, dass man immer wieder auch in der Schule vor der Klasse als etwas anderes dargestellt wird, als jemand, der an Gott glaubt, obwohl es ja gar keinen Gott gibt und so weiter. Also diese ideologische Auseinandersetzung hat leider immer schon sehr früh angefangen."
    Katholiken waren Minderheit in der DDR
    Auch Theresia Jonczyk merkte in der Schule schnell, dass sie als Katholikin zu einer Minderheit gehört, die mal belächelt, mal ausgegrenzt wurde. Doch wer seinen Glauben offensiv lebte, so ihre Erinnerung, konnte auch andere Erfahrungen machen.
    "Ich hatte eine sehr gute Deutsch-Lehrerin in den letzten Schuljahren, in der 9., 10. Klasse. Die war sogar Parteisekretärin der Schule und die hat mich auch zu Diskussionen herausgefordert und hat immer gesagt, ich benote nie die Meinung, ich benote nur die Art und Weise der Argumentation."
    Allerdings: Solche Offenheit war die Ausnahme. Das Recht auf Glaubensfreiheit war zwar in der DDR-Verfassung festgeschrieben, aber die staatlichen Stellen ließen keinen Zweifel daran, dass Religion etwas war, das es zu überwinden galt. Die katholischen Bischöfe in der DDR reagierten darauf mit einem Appell an die Einheit der Katholiken. Weihbischof Weider:
    "Die Bischöfe haben immer gesagt: Wir sprechen für euch! Die Pfarrer sollen sich nicht offiziell äußern, sondern der Bischof spricht mit einer Stimme, damit sie uns nicht auseinanderdividieren. Das war unsere Anpassung. Jetzt nicht anpassen an den Kommunismus, sondern an die Situation, wie wir am besten überdauern eine solche Zeit."
    Unter sich bleiben und so den Kommunismus überwintern. Dass diese Haltung sich nach und nach veränderte, hing eng mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil zusammen, mit dem sich die katholische Kirche neu für die Welt und deren Anliegen öffnete.
    Josef Pilvousek: "Ich meine, dass damit auch aufgebrochen ist, dass Christsein nicht nur angepasst sein muss und mit Ängstlichkeit verbunden sein muss, sondern dass Christentum auch immer etwas hat mit Offenheit, mit auf die Leute zu gehen. Ich habe Briefe gelesen von Bischöfen, die auf dem Konzil waren. Und ich habe darin eine Euphorie wieder gefunden über das, was Kirche ist: Offenheit, Dialogbereitschaft, Zerstörung von Enge und Angst."
    Ab 70er-Jahre Öffnung der Amtskirche
    Das Konzil war für viele Katholiken in der DDR von großer Bedeutung: In Studentengemeinden und Briefkreisen wurde über eine Reform der Kirche und die Einmischung in die Gesellschaft debattiert. Das bisherige Konzept der politischen Abstinenz geriet immer mehr in die Kritik. Manche ältere Bischöfe verfolgten diese Entwicklung mit großer Skepsis, doch in den 70er-Jahren kam eine neue Generation in Führungsämter.
    Josef Pilvousek: "Diese neue Generation hat gesagt, warum versuchen wir nicht einfach, das zu leben, was das Evangelium sagt und was etwa die Konzilstexte fordern. Wir gehen auf die Menschen zu, wir öffnen uns, ohne diese Angst, vereinnahmt zu werden. Das ist das Neue und am Ende kommt dabei heraus, etwa in einem Schlagwort gesagt: Dieses Land ist meine Heimat. Das wäre bei der Vorgängergeneration der Bischöfe nicht denkbar gewesen. Die haben davon gesprochen, dass es mein Los ist, aber ein sozialistisches Land als Heimat zu bezeichnen, das ist für damalige Verhältnisse revolutionär gewesen."
    Als die DDR 1978 in den Oberschulen den obligatorischen Wehrunterricht einführte, stieß das auch in der katholischen Kirche auf Protest. Der Wehrkundeunterricht war Ausdruck einer zunehmenden Militarisierung der DDR, die viele junge Christen – wie auch andere - nicht akzeptieren wollten. Aus den Friedensgebeten Anfang der 80er-Jahre entwickelte sich jene Protestbewegung, die schließlich zur friedlichen Revolution führen sollte. Doch während die evangelische Kirche ihre Türen für den Protest öffnete, ging die katholische Kirche mehrheitlich einen anderen Weg.
    Wolfgang Wieder: "Da kamen ja Leute, die mit Kirche nichts am Hut hatten, und hatten so einen Ort gefunden, wo sie frei reden konnten, was ja sicherlich sehr gut war. Aber die katholische Kirche verstand sich grundsätzlich zunächst mal nicht als politisches Gremium. Und wir haben dann auch Friedensgottesdienste gehalten, aber wir haben keine Happenings veranstaltet in dem Sinne, wie das in der Gethsemane-Kirche gewesen ist."
    Die Gethsemane-Kirche im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg hatte sich im Herbst 1989 zu einem Zentrum des Protestes entwickelt. In Fürbitt-Gottesdiensten wurde an jene DDR-Bürger gedacht, die nach Demonstrationen verhaftet worden waren. Anfang Oktober kam es zu dauerhaften Mahnwachen, sodass die evangelische Kirche nun Tag und Nacht offen stand. Zu den Tausenden, die kamen, um zu beten, sich zu informieren und ihre Solidarität auszudrücken, gehörte auch die damals 25-jährige Katholikin Katharina Jany. Sie war fast jeden Tag dort.
    "Es war für mich auch immer diese Spannung aushalten: Auf der einen Seite wirklich dieses in der Gethsemane-Kirche beheimatet sein, sich damit zu identifizieren. Und andererseits so die eigene Kirche zu sehen, da ist keine Resonanz, da gibt es keine Solidarität, das tat mir weh. Aber ich war nicht die einzige Katholikin, es waren eben sehr viele Katholiken dort in der Gethsemane-Kirche, denen es ganz genauso ging. Man traf sich da, fühlte sich als Christ, man fühlte sich auch ökumenisch verbunden da natürlich. Ein bisschen Scham war halt immer dabei, dass unsere Kirche schwieg und nicht bereit war, sich da einzusetzen."
    Starke Zurückhaltung während der Wende
    Auch andere Katholiken forderten von ihrer Kirche, die politische Zurückhaltung endlich aufzugeben.
    "Ich weiß von einem anderen Priester im Bistum Magdeburg, dem Gerhard Nachtweih, der war auch politisch sehr wach und hat gesagt, es muss etwas passieren, gerade im August 1989, als so viele Menschen über Ungarn ausreisen wollten und enormer Druck passierte. Und von kirchlicher Seite passierte gar nichts. Da hat er den Bischof Braun auch mit dazu gebracht, diesen berühmten Hirtenbrief herauszugeben, der dann am 20. September dann auch rauskam, wo erstmals ein katholischer Bischof gesagt hat: Wir müssen uns einbringen auch als katholische Christen."
    "Warum gibt es bei uns mehrere Parteien, wenn doch nur die eine Recht hat", lautete eine Frage des Hirtenbriefs, der in allen katholischen Kirchen des Bistums verlesen wurde. Aus Berlin dagegen, wo sich die katholischen Bischöfe in der DDR regelmäßig trafen, waren solche Überlegungen nicht zu hören. Die Bischofskonferenz schwieg bis zum Schluss zu den politischen Ereignissen in der DDR. Das hat das Bild einer unpolitischen katholischen Kirche untermauert, wenn es um die friedliche Revolution geht. Dennoch sei dieses Bild verzerrt, sagt der Kirchenhistoriker Josef Pilvousek.
    "Als nach den Konferenzen die Bischöfe in ihre Bischofsstädte zurückfuhren, sah das ganz anders aus. Dann auf einmal kamen heimlich diese Organisatoren der Wallfahrten zu den Bischöfen. Und haben etwa darum gebeten, eine Mikrofonanlage zur Verfügung zu stellen. Diese Mikrofonanlagen kamen selbstverständlich von der katholischen Kirche. Oder Kirchen aufzumachen. Da kann man nicht einfach sagen, dass die Bischöfe das verboten haben."
    25 Jahre sind seitdem vergangen. Die Enttäuschung mancher Katholiken über das Verhalten ihrer Amtsträger ist nicht verflogen.
    Katharina Jany: "Ich versuche jetzt, die katholische Kirche ein bisschen mehr zu verstehen, warum sie sich damals so rausgehalten hat. Ich muss sagen, es fällt mir immer noch sehr schwer. Ich muss es akzeptieren, dass es so eine Grundsatzentscheidung war, wir mischen uns nicht ein. Damals konnte ich das noch überhaupt nicht so sehen, da war ich jung, fühlte mich irgendwo im Stich gelassen von der Kirche. Und dachte: Die evangelische Kirche muss kämpfen, die muss die Kohlen aus dem Ofen holen oder was, die katholische Kirche lehnt sich zurück, macht nichts. Das war für mich sehr schwer, da habe ich wirklich an meiner Kirche sehr gelitten."
    Josef Pilvousek: "Die Enttäuschung ist nur zu verständlich, dass man, der man ja geknebelt war über so und so viele Jahre, und vor allem jüngere Menschen, dass man dann auf einmal nicht von der Kirche Zuspruch erfuhr, das ist belastend. Nicht zuletzt haben manche Bischöfe dann auch nach dem Fall der Mauer bekannt, dass sie zu wenig mutig gewesen seien. Das ist natürlich ein Bekenntnis im Nachhinein, aber immerhin weist es darauf hin, dass da durchaus Versäumnisse wahrzunehmen sind."