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Friedrich der Große hat "als Machtmensch viel erreicht"

Der Friedrichbiograf Tillmann Bendikowski vergleicht die Popularität Friedrich des II. mit dem "Obama-Gefühl" vor Amtsantritt des US-Präsidenten: "Da kommt ein neuer König." Das junge Königreich Preußen habe viele Hoffnungen in den jungen König gesetzt.

Tillmann Bendikowski im Gespräch mit Dirk Müller | 24.01.2012
    Dirk Müller: Vom "guten alten Fritz" ist oft nahezu kumpelhaft, freundschaftlich die Rede, Teil unseres Sprachgebrauchs, wenn es um den König von Preußen geht. Friedrich II. aus dem Geschlecht der Hohenzollern ist heute vor 300 Jahren im Berliner Schloss geboren worden, am 24. Januar 1721. Ein intellektueller Staatslenker, ein Reformer, ein Feldherr, ein Kriegsherr, ein Philosoph, ein Aufklärer, ein Künstler, ein Musiker – das alles soll er gewesen sein, der Mythos steht. Ein wahrer Hype hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten um Friedrich den Großen entwickelt; Biografien, wissenschaftliche Aufsätze, Fernsehfilme und eine Omnipräsenz in nahezu allen Medien sind dafür Zeuge. – Über das alles sprechen wollen wir nun mit dem Friedrichbiografen und Historiker Tillmann Bendikowski. Guten Morgen!

    Tillmann Bendikowski: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Bendikowski, heute ist Friedrich der Große äußerst populär. War er damals auch so populär?

    Bendikowski: Na ja, in der langen Regentschaft war er natürlich zu einigen Momenten äußerst populär, und es gab Zeiten, da war er weniger beliebt. Äußerst populär war er sicherlich, als er den Thron bestieg, um das herauszunehmen. Da war er beim Volk beliebt und es gab Jubel auf den Straßen, als der junge König endlich da war.

    Müller: Gab es da große Hoffnungen in diesen jungen König?

    Bendikowski: Na ja. Ich habe es mal verglichen so ein bisschen mit dem Obama-Gefühl. 1740: Da kommt ein neuer König. Das lag daran, dass der verstorbene Papa auch so unbeliebt war. Also man verband viele Hoffnungen mit diesem König und dieses noch vergleichsweise junge Königreich Preußen hatte viel vor und da schien er, genau der richtige zu sein.

    Müller: Woher wusste das Volk, was Friedrich der Große will? Es gab schließlich damals kein CNN.

    Bendikowski: Also auch in einem solchen Königreich des 18. Jahrhunderts kamen Informationen beim Volk an, vielleicht manchmal sogar besser als heute. Man wusste, da war ein ehrgeiziger, ein talentierter Kronprinz, der ja in Reinsberg ein wenig schon gezeigt hatte, wie er sich es vorstellte, als Regent zu leben und zu wirken, der geschrieben hat, der sich seine Gedanken gemacht hat. Davon wusste man in der Tat schon.

    Müller: Viele haben ja auch gesagt, jetzt im Nachhinein zumindest, er muss menschlich ein richtiger Kotzbrocken gewesen sein. Wussten das die Menschen damals auch?

    Bendikowski: Mit Verlaub hätte man es ein wenig anders ausgedrückt, Herr Müller, aber im Prinzip hatte er Verhaltensweisen an sich, die dazu führten, dass wir sicherlich sagen würden, mit ihm hätte ich nicht gerne zusammengearbeitet. Also er war mit einem bestimmten Sarkasmus ausgestattet, er war ironisch, er war auch verletzend, er hat Menschen vor Publikum schlecht behandelt. Er konnte auch einfühlsam sein, er konnte auch liebevoll sein, zu Freunden im engeren Kreise. Das heißt, wenn wir ein bisschen gerechter sein wollen – und der Geburtstag soll uns dazu anhalten -, war er auch emotional vielfältig.

    Müller: Herr Bendikowski, bevor wir weitermachen. Ich bekomme gerade noch einmal eine Korrektur aus der Regie. Ich habe gesagt, er ist 1721 geboren. Das war ein Dreher. Er ist natürlich am 24. Januar 1712 geboren. Deswegen sprechen wir heute über ihn, 300 Jahre alter Fritz. – Bleiben wir noch einmal beim Thema Popularität und auch Persönlichkeit. Ist es eine sehr gespaltene, äußerst gespaltene Persönlichkeit gewesen?

    Bendikowski: Nein, ist sie nicht. Das hören wir immer wieder; ich würde da zur Vorsicht raten. Wir tun immer so, als habe es einen Kronprinzen gegeben und einen König, als habe der eine in der Theorie immer das eine gepredigt und dann nach der Thronbesteigung das andere getan. Das sollten wir heute anders sehen. Wir haben einen Kronprinzen, der schon sehr genau beschreibt, was er hinterher tut, und nur weil er ein halbes Jahr später in den Krieg zieht, brauchen wir nicht so tun, als dieser Aufklärer habe sich plötzlich völlig verändert. Nein, nein, das ist schon konsequent. Dieser Friedrich hat schon als Kronprinz sehr genau eine Vorstellung davon, was für Preußen gut ist, er hat eine Vorstellung von der Staatsräson, er nennt sich später den ersten Diener des Staates. Was er macht, ist eher konsequent, als dass wir es mit einer widersprüchlichen oder gar gebrochenen Persönlichkeit zu tun haben. Nein, nein, wir haben es schon mit einer geschlossenen Person, mit einem Gesamtentwurf zu tun.

    Müller: Gut für den Staat, gut für Preußen, das ist ja eine relative Größe, gerade aus der Retrospektive, wenn wir uns heute dem Thema auch nähern. Er hat viele Kriege geführt, Zehntausende sind diesen Kriegen zum Opfer gefallen.

    Bendikowski: Ja. Was bleibt da zu sagen? Ja, er hat Krieg geführt. Er hat Krieg geführt – nicht weil er den Krieg liebte, sondern weil er sich gesagt hat, das ist für Preußen gut. Sie sehen diesen ersten schlesischen Krieg 1740: Er raubt diesem großen Reich Österreich die Provinz Schlesien, also eine echte Beute, eine strategisch, wirtschaftlich so wichtige Provinz, einfach weil er eine günstige Gelegenheit sieht. Die junge Maria Theresia ist nicht gefestigt auf dem Thron, und schon schlägt Friedrich zu für Preußen.

    Müller: War demnach, Herr Bendikowski, Krieg damals ein völlig legitimes Mittel der Politik?

    Bendikowski: Völlig legitim war es nie, war es auch im 18. Jahrhundert nicht. Es ging um die Begründung, auch da hatte Friedrich Schwierigkeiten. Aber es gab Momente, da hat man Krieg geführt des eigenen Gewinns wegen. Übrigens sind wir da heute nicht sehr viel besser, da sollten wir uns nicht über das 18. Jahrhundert erheben, meine ich.

    Müller: Die Staatsräson stand also demnach über alles?

    Bendikowski: Für Friedrich ja.

    Müller: Und wie hat sich das geäußert, außer seinen Kriegseinsätzen, die er geführt hat?

    Bendikowski: Na ja, nehmen Sie die Art und Weise, wie Friedrich regiert hat. Er hat schon als Kronprinz gesagt, der gute Fürst müsse sich alles selbst auf die Schulter legen, und das meinte er auch so. Das heißt, er hat sich um möglichst alles im Land gekümmert. Ging es um die Gewinnung von Land, also Eindeichen von Ländereien, ging es um die Kartoffel, um bestimmte Wirtschaftsgüter, ging es um einzelne Gerichtsverfahren, überall glaubte sich Friedrich, wähnte er sich als klügster Kopf Preußens. Sein Problem war vielleicht, dass er es wirklich war. Das heißt, er griff auch in Details ein, ließ sich nicht immer sehr begrenzt beraten, behandelte auch seine Minister und Beamten schlecht. Das heißt, er bürdete sich unendlich viel Arbeit auf. "Alles für Preußen", das war seine Vorstellung, was er dort tat.

    Müller: Er wird uns ja auch als Aufklärer immer wieder "verkauft", als Philosoph, als Künstler, als Musiker. Andererseits hat er ganz klare Rechtsreformen ja auch durchgebracht, da war er Reformer. Und Sie haben es gerade erwähnt, das müssen wir auch in diesem Gespräch besprechen: der Kartoffelbefehl 1756. Jetzt habe ich in einer Quelle nachgelesen, dass er gar nicht zuständig oder verantwortlich war für die Einführung der Kartoffel in Preußen. Stimmt das?

    Bendikowski: Damit rutschen wir gleich schon in einen Mythos. Also mit der Kartoffel ist es so: Der Vater schon hat sich bemüht, die Kartoffel einzuführen, und Friedrich hat das fortgesetzt, mit ein bisschen anderen Mitteln. Es gab diesen Befehl, es gab aber auch andere Methoden. Zum Beispiel fuhr dann in einer Stadt mal ein Wagen mit Kartoffeln vor und die Trommler liefen durch die Stadt, jeder Bürger möge sich seine Portion holen und einpflanzen. All das hätte sicherlich nicht gereicht, wenn nicht diese Zeit auch ihre Hungersnöte gekannt hätte, und gerade infolge des siebenjährigen Krieges erlebte Europa auch wieder Hungerzeiten, sodass die Menschen nach ersten unglücklichen Versuchen mit der Kartoffel – man wusste nicht genau, welchen Teil der Pflanze soll man essen, die ersten Exemplare waren auch nicht gerade wohlschmeckend. Das heißt, der Hunger hat dann letztlich dazu geführt, dass sich die Kartoffel in Preußen und in Europa weiter verbreitet hat. Friedrich hat maßgeblich dazu beigetragen, er war nicht der Erfinder der Kartoffel in Preußen.

    Müller: Kommen wir zum Philosophen Friedrich dem Großen. Er soll Aufklärer gewesen sein, Freimaurer. Korrespondenz mit Voltaire, darüber wird immer wieder geschrieben. Das hat einige Zeit gut gegangen und dann hat das wieder nicht funktioniert. Warum?

    Bendikowski: Mit Voltaire, das war mehr als Korrespondenz. Das war eine Freundschaft, eine tief gehende und lang anhaltende Freundschaft, die ihre Konjunkturen hatte. Der ältere Voltaire fühlte sich geschmeichelt, als der Kronprinz den Kontakt suchte, man schmeichelte sich gegenseitig, das war für beide Seiten gewinnbringend. Voltaire war auch zu Gast in Preußen, auch längere Zeit. Das ist dann nicht so richtig gut gegangen. Auch Voltaire war im persönlichen Umgang nicht gerade der einfachste Zeitgenosse, und so trennte man sich zwischendurch wieder. Aber die lang anhaltende Freundschaft blieb bestehen.

    Müller: Es ist auch viel darüber geschrieben und gemutmaßt worden, Herr Bendikowski, wie das war mit dem Anspruch und wie das war mit der Wirklichkeit. Anspruch und Wirklichkeit bei Friedrich dem Großen, wie weit fiel das auseinander?

    Bendikowski: Das ist eine retrospektive Betrachtung. Sein Anspruch war sehr groß als Kronprinz. Er hatte gesagt, er will sein Volk glücklich machen. Das gehört, wenn Sie so wollen, zur Rhetorik des Absolutismus. Die Wirklichkeit: An der Zeit gemessen hat Friedrich als Machtmensch viel erreicht. Er hat Preußen nicht nur stabilisiert, er hat Preußen größer, stärker gemacht und zur zweiten großen deutschen Macht neben Österreich erhoben, aus Sicht Friedrichs sicherlich fraglos ein Erfolg.

    Müller: Und die Reformen im Inneren?

    Bendikowski: Da ist einiges auf den Weg gebracht worden. Vieles ist eben nicht weiter gekommen, vieles ist liegen geblieben und vieles von dem mussten erst die preußischen Reformer Jahrzehnte später in Angriff nehmen.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Friedrich-Biograph und Historiker Tillmann Bendikowski. Der "Alte Fritz" wäre heute 300 Jahre alt geworden. Vielen Dank für das Gespräch.

    Bendikowski: Gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.