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Friedrich: Können nicht ganz auf V-Leute verzichten

Die Innenministerkonferenz berät heute erneut über Wege, ein juristisch wasserdichtes NPD-Verbot zu erreichen. Dazu müssen eingeschleuste V-Leute aus der Führungsebene der Partei abgezogen werden, da deren Aussagen vor Gericht keinen Bestand hätten. Innenminister Friedrich warnt jedoch vor einem Komplettabzug der verdeckten Ermittler.

Hans-Peter Friedrich im Gespräch mit Christoph Heinemann | 22.03.2012
    Christoph Heinemann: Die Tagesordnung der Innenminister aus Bund und Ländern lässt sich heute in wenigen Buchstaben zusammenfassen: einmal in dem Kürzel NPD (steht für eine rechtsextremistische Gruppierung), zu der die Ermittlungsbehörden über den Buchstaben V in Kontakt stehen. Die V-Leute berichten dem Verfassungsschutz über das, was die Rechtsextremisten denken, planen und tun. Trotz schlechter Erfahrungen möchten die meisten im Bundestag vertretenen Parteien und Politiker abermals versuchen, die NPD verbieten zu lassen. SPD und Grüne hatten damit 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht Schiffbruch erlitten.
    Am Telefon ist Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Guten Morgen.

    Hans-Peter Friedrich: Guten Morgen!

    Heinemann: Herr Friedrich, sind die Tage der NPD gezählt?

    Friedrich: Na ja, ich denke, das hängt nicht nur von einem Verbotsverfahren ab, sondern auch von der Frage, wie die NPD sich weiter entwickelt. Es gibt ja gute Zeichen, dass sie an Attraktivität verliert gegenüber ihren Anhängern. Also insofern lässt sich die Frage nicht leicht und schnell beantworten. Es gibt wie gesagt erste Auflösungserscheinungen, was den einen oder anderen sehr hoffnungsvoll macht.

    Heinemann: Ein Verbotsantrag bedarf der Beweise, und zu den Beweisen gehören die Quellen. Werden die Landesämter für Verfassungsschutz Ihnen die Klarnamen der V-Leute mitteilen?

    Friedrich: Na ja, das wird man sehen. Man muss wissen: Wenn man und je mehr man V-Leute im Bereich der NPD hat, umso relativ weniger gewichtig sind die Beweise, die man jeweils vor Gericht vorlegen kann, und das hat das Verfassungsgericht 2003 auch sehr klar gesagt, dass die Frage der V-Leute unmittelbaren Einfluss auf den Beweiswert der vorgelegten Beweise hat, und daraus ziehen wir jetzt die Konsequenz und sagen, wir ziehen zumindest aus den Führungsetagen auf Landes- und Bundesebene die V-Leute ab. Wir können nicht ganz verzichten, denke ich, auf die V-Leute, weil wir sonst zu wenig Informationen auch aus dem Umfeld der NPD haben.

    Heinemann: Was heißt genau "Führungspositionen"? Sind das formal einfach Vorstandsmitglieder oder einflussreiche Wortführer auch?

    Friedrich: Na ja, wir werden das insgesamt heute Nachmittag, heute Abend besprechen im Kreis der Innenminister, wo wir da genau die Grenzen ziehen. Man muss wissen: Je weiter man runtergeht in den Führungsetagen, umso weniger Beweismöglichkeiten und Zugang hat man natürlich. Andererseits, wie gesagt, hat es unmittelbaren Einfluss auf den Wert der Beweise, insofern müssen wir einen richtigen Mittelweg finden.

    Heinemann: Herr Friedrich, wer wird denn künftig noch für den Verfassungsschutz oder für die Polizei etwa im Drogenmilieu verdeckt arbeiten wollen, wenn er damit rechnen muss, dass sein Name nicht geheim bleiben wird?

    Friedrich: Das ist, glaube ich, eine sehr wichtige Frage. Das V-Mann-Wesen insgesamt ist ja in der Diskussion. Ich glaube, dass es wichtig ist, insbesondere im Bereich der Organisierten Kriminalität, aber auch des politischen Extremismus, dass man solche Kontakt- und Informationsquellen hat. Die darf man nicht gefährden, insofern haben Sie das richtig beschrieben, und deswegen müssen wir auch einen Weg finden, der es künftig erlaubt, dass wir solche Informationsquellen in den kriminellen und extremistischen Bereichen beibehalten können und wir da nichts zerstören, was uns langfristig mehr schadet.

    Heinemann: Welchen Weg?

    Friedrich: Nun gut, also wir werden wie gesagt sehen, dass wir möglichst Material sammeln, das nicht quellenbelastet ist, dass dieses Material nach Möglichkeit vom Beweisgewicht her ausreicht, um ein aggressiv kämpferisches Verhalten der NPD nachzuweisen, und dann werden wir sehen, wie wir im Einzelfall mit Materialien umgehen, die kontaminiert sind, das heißt, die von V-Leuten stammen, und das muss man eben sehr sorgfältig besprechen, und zwar vorher. Bevor man ein solches Verfahren beantragt oder in die Wege leitet, muss man wissen, was die Konsequenzen dann auch am Ende sind.

    Heinemann: Sie haben gerade gesagt, Beweismaterial, das möglicherweise nicht von V-Leuten stammt. Genau das ist ja der Punkt. Das Verfassungsgericht hat ja geradezu gesagt, das Beweismaterial müsse chemisch rein sein.

    Friedrich: Ja, da gehen durchaus auch die Meinungen in diesem Beschluss von 2003 auseinander. Die einen sagen, also man darf überhaupt keine V-Leute haben, die anderen sagen, V-Leute-Beobachtung ist möglich, aber relativiert natürlich das Gewicht der Beweise. Und genau dafür ist es notwendig, dass das Gericht natürlich auch weiß, stammt es von V-Leuten, wenn ja, in welchem Umfang. Das ist ja genau die Situation, über die wir sprechen müssen, und deswegen müssen wir sehr sorgfältig vorbereiten die Beweisführung – das haben wir in einer Arbeitsgruppe unter Führung des sachsen-anhaltinischen Innenministers und meiner Führung getan – und werden diesen Kriterienkatalog für eine saubere Beweisführung heute auch besprechen.

    Heinemann: Herr Friedrich, ist das Bundesverfassungsgericht nach dem schlampigen Verbotsantrag von 2003 nicht misstrauisch gegenüber Parteien, die sich, man kann es ja auch mal so lesen, einen Konkurrenten vom Hals schaffen wollen?

    Friedrich: Also das Verfassungsgericht würde ich nicht als misstrauisch bezeichnen, sondern das Verfassungsgericht geht seinem Auftrag nach, den es aus der Verfassung hat, und unsere Verfassung sieht vor, dass eine Partei nur dann verboten werden kann, wenn sie sich aggressiv kämpferisch verhält gegen unser Grundgesetz. Aber, und das kommt noch hinzu: Es gibt noch einen zweiten Maßstab, der nicht aus unserer Verfassung unmittelbar sich ableitet, sondern aus der Konvention der europäischen Menschenrechte, und der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat uns noch zusätzlich die Frage der Verhältnismäßigkeit auferlegt. Auch das ist etwas, was wir berücksichtigen müssen. Das heißt also, ist eine Partei wirklich auch in der Lage, ihre undemokratischen, gegen die Freiheit gerichteten Aktivitäten umzusetzen und damit eine Demokratie zu gefährden. Auch das wird ein wichtiger Punkt sein in unserer Prüfung.

    Heinemann: Wird es einen Verbotsantrag nur dann geben, wenn alle mitziehen, das heißt Bundestag, Bundesrat und Regierung?

    Friedrich: Rein formal kann natürlich jeder getrennt das machen, aber ich denke nicht, dass es einen Verbotsantrag geben wird, wenn man sich unter den Verfassungsorganen nicht einig ist, dass so was kommen muss. Insofern gibt es keinen formalen, aber doch, glaube ich, einen politischen Druck.

    Heinemann: Herr Friedrich, kurz ein anderes Thema noch. Die EU-Kommission setzt der Bundesregierung die Pistole auf die Brust. Wenn die Koalition nicht in vier Wochen ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung erlässt, das mit einer Richtlinie konform geht aus dem Jahr 2006, dann muss Berlin zahlen. Die Bundeskanzlerin hat mit der Justizministerin gestern ein ernstes Wörtchen geredet. Was hat sie ihr denn gesagt?

    Friedrich: Also da müssen Sie die Bundeskanzlerin fragen beziehungsweise die Justizministerin. Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir eine eindeutige Rechtslage auf europäischer Ebene haben. Die Europäische Union hat eine Richtlinie erlassen, die vorschreibt, dass jedes Land ein Gesetz erlässt, in dem eine Vorratsdatenspeicherung, also eine Speicherung von Kontaktdaten von sechs Monaten bis zwei Jahren, ermöglicht wird. Das haben wir bisher nicht umgesetzt, beziehungsweise das, was umgesetzt wurde, ist wieder aufgehoben worden vom Verfassungsgericht. Insofern stehen wir da jetzt in der Verpflichtung, auch auf europäischer Ebene das umzusetzen. Das ist die Lage und jetzt muss man sehen, wie die Justizministerin sich in dieser Sache einlässt.

    Heinemann: Der Druck aus Brüssel entspricht Ihren Interessen, Herr Friedrich, so sehr, dass man fast vermuten möchte, Sie hätten dafür gesorgt. Haben Sie?

    Friedrich: Also natürlich nicht. Aber der Druck aus Brüssel entsteht natürlich dadurch, dass die Sicherheitsbehörden aller europäischen Länder wissen, dass es dringend notwendig ist, dass man in der Lage ist, über IP-Adressen und über Kontaktdaten notfalls auch Verbrechern und Kriminellen auf die Spur zu kommen. Die ersten Meldungen jetzt auch aus Frankreich im Zusammenhang mit diesen Terroranschlägen zeigen ja, wie wichtig es ist, dass man an solche Computerdaten kommt. Insofern ist das eine international übereinstimmende Beurteilung der Lage, die natürlich auch meiner Beurteilung entspricht, keine Frage, und wenn die Kommission ihr Recht, das sie setzt, versucht durchzusetzen, dann habe ich damit nichts zu tun, sondern dann ist das etwas, was vorgesehen ist.

    Heinemann: Sie haben da gar nicht nachgeholfen?

    Friedrich: Was heißt nachgeholfen? Also die Europäische Union lässt sich von niemandem drängen, irgendwas zu machen. Natürlich gibt es eine heftige Korrespondenz zwischen der Bundesregierung und der Kommission, überhaupt keine Frage. Da wird natürlich im einzelnen das Verfahren und wie wir mit den Dingen umgehen in Deutschland beobachtet. Da haben wir uns natürlich auch geäußert, das ist überhaupt keine Frage. Aber die Europäische Union handelt aus eigenem Recht und eigenem Antrieb.

    Heinemann: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Friedrich: Gerne!

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