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"Fuck Off RB"

"Amarok" von 1990 ist nicht das bekannteste Album von Mike Oldfield, gilt jedoch als sein Meisterwerk. Oldfield stritt damals mit Virgin Records und deren Chef Richard Branson, den Oldfields erstes Album reich gemacht hatte, aber dann nur noch Popsongs wollte. "Amarok" war Oldfields Rache.

Von Bernd Lechler |
    Wie das schon losgeht. Schrille Akkorde und wilde Gitarren in ungeraden Taktarten, zu denen man nicht mitwippen kann, ohne vom Sofa zu fallen. "Amarok" hat zwar zugängliche, eingängige, liebliche Seiten, aber man muss schon auf der Hut sein und darf diese sehr dynamische Aufnahme nicht etwa gleich lauter machen, wenn’s leise wird, denn Mike Oldfield liebte den Gedanken, dass ein Virgin-Manager das Album auf dem Weg zum Büro aufdreht und ihm die Lautsprecher bald in rauchenden Fetzen aus der Autotür hängen.

    Er komponierte das sechzigminütige Werk ohne Unterteilungen und mit ständigen Stimmungswechseln, damit die Plattenfirma auch ja keine Single herauslösen konnte. Und falls Sie das Morsealphabet beherrschen, dann können Sie diese leisblechernen Akkorde bei Minute 48 mitbuchstabieren.

    "Fuck Off RB", empfiehlt der Künstler seinem Labelchef Richard Branson. Aber neben so trotzigen Kindereien beflügelten ihn vor allem musikalische Ideen im Überfluss - und nach Jahren voller Sampler und Computer die Rückkehr zum Handgemachten.

    Händeklatschen, Füßestampfen, Weckerticken und Zähnebürsten
    Die meisten Instrumente spielt der Multitalentierte selbst: eine Armada von Gitarren und Bässen sowie Banjo, Bouzouki, Sitar und Mandoline, außerdem Piano, Cembalo, diverse Orgeln, Glockenspiel, Marimba, Daumenklavier, Dudelsack, oder auch seine berühmten Tubular Bells, die aber in den Liner Notes ganz anonym als "hängende dünne Metallröhren" geführt werden - noch so eine lange Nase Richtung Virgin. Auch dieser kleine Geselle hier taucht ab Minute drei immer wieder mal auf.

    Und den Beat liefern allerlei Trommeln und Tamburine sowie Händeklatschen, Füßestampfen, Weckerticken und - äh - Zähnebürsten, aber interessanterweise kein gemeines Schlagzeug: "Amarok" ist mehr Folk und Weltmusik als Rock, voll von keltischen und afrikanischen Elementen - und Oldfieldschen Eigenheiten. Seine hochgepitchte Gitarre, die schiefen Takte, wie gesagt, und Ausbrüche von rasantem Gewusel.

    Zwischendurch ein lustiger Boogie, die Idyllen, die man sicher kitschig finden kann, die er aber auch selbst nach Kräften kontert.

    Und wie ein klassischer Komponist holt Oldfield möglichst viel Musik aus möglichst wenig Grundstoff. Nur eine Handvoll Themen werden in dieser Stunde ständig variiert; manchmal dürfen sie sich zwei Minuten lang ausmehren, manchmal winken sie nur kurz, wie jemand, der was ganz Wichtiges sagen will und sich dann doch wieder hinsetzt. Der Chor zum Beispiel, der nach einer Dreiviertelstunde das Finale einleiten wird, war uns doch schon in Minute drei viel diffuser begegnet, wird, von Moll nach Dur gewendet, kurz angezupft oder auch richtig pompös. Oder nehmen wir das hier, das mit Klavier eingeführt wird. Kommt eine halbe Stunde später auch mit Glöckchen gut. Da übernimmt den zweiten Teil dann die Flöte und hier wird es in seinen Einzelteilen verdoppelt und beschleunigt.

    Natürlich singt auch ein 60-köpfiger Zulu-Chor
    Genau: Flamenco kann er auch. Man muss diese ganzen Parallelen nicht erkennen, trotzdem spürt man den großen Zusammenhang. Die verschiedenen Teile sind mal elegant verwoben, mal eher hart aneinandergeklatscht: Klar, sagen manche, deshalb ist er ja auch nur Mike Oldfield und nicht Philip Glass, andererseits hat das auch seinen Reiz, wie überhaupt diese ganze irrwitzige Fülle - mit irischer Blechflöte zu afrikanischen Trommeln, Haushaltsgeräuschen in kunstvoll gesetzten Arrangements und Walzer neben Squaredance, es wird fragil und bombastisch, lyrisch und lustig, und natürlich singt auch ein 60-köpfiger Zulu-Chor, was denken Sie denn, übrigens einen von Oldfield selbst verfassten Text, der ins Deutsche übersetzt - ach, egal.

    Hatten wir Margaret Thatcher schon erwähnt?

    "Hello everyone."

    Damals noch im Amt, taucht sie in Gestalt der Parodistin Janet Brown kurz vor Schluss auf, redet pseudobedeutendes Politikerzeugs, bis sie vom Chor übertönt wird und in den Abgrund tanzt - ein netter Gag, der sich halt leider rasch abnutzt.

    War "Amarok" nun ein "wichtiges" Album in dem Sinne, dass es andere beeinflusst hätte? Nein. Allein schon, weil es sich schlecht verkauft hat. Und Oldield ist ohnehin ein Fall für sich. Schon als er mit 19 sein gepriesenes Debüt "Tubular Bells" aufnahm, hatte er eine so eigene Stimme gefunden, dass niemand auch nur auf die Idee kam, ihn imitieren zu wollen. In den 80ern produzierte er zunehmend belanglose Popsongs, in den 90ern versumpfte er in New-Age-Mystik und Ibiza-Chillout. "Amarok" war sein letzter, höchster, zorngetriebener, euphorischer Luftsprung.


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