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Fünf Jahre Pop-Kultur Festival
Divers und vielstimmig

Die Geschichte der Pop-Festivals in Berlin ist turbulent. Doch mit „Pop-Kultur“ bietet die Hauptstadt seit immerhin fünf Jahren an mehreren Tagen Raum für Diskussionen rund um Identität, Queerness und Feminismus - nebst einer Bühne für Bands, die entdeckt werden wollen. Popkultur ist Patchwork.

Von Adalbert Siniawski | 21.08.2019
Das Berliner Festival "Pop-Kultur" in der Kulturbrauerei - Gäste warten in einem Saal der Eventlocation auf die Eröffnung
Das Berliner Festival "Pop-Kultur" in der Kulturbrauerei (picture-alliance/dpa/Maurizio Gambarini)
In Berlin wurde 2011 die legendäre Musikmesse "PopKomm" begraben, die aus NRW in die Hauptstadt umgezogen war. Und auch dem Format "Berlin Music Week" ging nach fünf Jahren die Luft aus. Der Mix aus klassischer Branchenmesse mit Ausstellern fürs Fachpublikum - feat. angeschlossenes Konzertprogramm - hat nach mehreren Locationwechseln im digitalen Zeitalter ausgedient. Stattdessen "Pop-Kultur Festival" - jetzt schon zum fünften Mal. Muss man da nicht denken: Hurra, wir leben noch?
Katja Lucker: "Nee, das Gefühl ist sehr gut. ‚Pop-Kultur‘ ist ein Festival, das so sehr aus Künstlerinnen- und Künstlersicht gestartet ist, und gar nicht als Branchenevent der Musikindustrie. Deswegen vergeben wir Auftragswerke - damit sind wir eigentlich immer noch ganz alleine in den Commissioned Works -, was dann bei uns zur Premiere kommt. Gleichzeitig haben wir ein ganz großes Nachwuchsprogramm - auch schon seit dem ersten Jahr, so um die 40 bis 50 Workshops von Profis. Wir haben viele Kooperationen, die eben nicht Branchenevent oder irgendwas sind."
Der Pop nimmt es mit der Hochkultur auf
Da lernen dann 250 Talente den letzten Schliff beim Komponieren, Vermarkten und bei der Labelarbeit, wie Festivalleiterin Katja Lucker erklärt. In Berlin, wo viele Newcomer aus der ganzen Welt ihr Glück versuchen, ist das tatsächlich ein kleines, aber feines Angebot.
Die etablierten Künstler bringen neben den 100 Konzerten dieses Jahr 15 vom Festival finanzierte Auftragsarbeiten zur Aufführung: So wird Indie-Musiker Jens Friebe zusammen mit einer Band aus Menschen mit Behinderung Richard Wagners "Ring" dekonstruieren und auf 60 Minuten trimmen. Der Pop nimmt es mit der Hochkultur auf, wie verwegen! Das Essener Indie-Rock-Trio "International Music" will sein Debütalbum zusammen mit dem Ensemble "The Dorf" zum Orchesterwerk aufblasen. Und unter dem Stichwort "Pop-Hayat" werden Fragen rund um kulturelle Identität, Feminismus und Queerness im postmigrantischen Diskurs verhandelt.
Harter Wettbewerb ums Geld
Nicht alle Konzepte sind neu, nicht alle nachhaltig. Aber ein Alleinstellungsmerkmal sind die Commissioned Works schon, im harten Wettbewerb ums Geld mit dem "Reeperbahn Festival" in Hamburg und "c/o pop" in Köln.
Katja Lucker: "So denken wir alle nicht, das hat auch nichts mit Konkurrenz zu tun."
Beteuert Katja Lucker. Dabei müsste sie doch neidisch nach Hamburg gucken, wo die Kulturstaatsministerin in diesem und dem vergangenen Jahr 6,5 Millionen Euro locker macht und man sich neben 600 Konzerten sogar eine Leistungsschau in New York City leisten kann. Die Hauptstadt bekommt vom Bund fürs "Pop-Festival" umgerechnet nur gut ein Sechstel.
Katja Lucker: "Man kann keine Auftragsarbeiten vergeben, wenn man diese Förderung nicht hat. Wir können auch das Nachwuchsprogramm nicht machen ohne diese Förderung. Das ist ja tatsächlich, muss man auch mal so sehen, verglichen mit dem Geld, was in Hochkultur und so weiter fließt, einfach immer noch ein Tropfen auf den heißen Stein."
Nische für Newcomer und Raum für Debatten
Und dennoch ist das Geld ein Grund, warum das Event angefeindet wird. Zum einen von links, weil manche durch die Bundesmittel darin ein - Zitat - "Staatspop-Festival" sehen. Was Quatsch ist, denn mehr Nische für Newcomer aus dem In- und Ausland und Raum für Debatten rund um Inklusion und Aktivismus gibt es auf keinem anderen Festival, schon gar nicht einem kommerziellen.
Zum anderen gibt es Anfeindungen von Seiten der israelfeindlichen BDS-Kampagne. Auch dieses Jahr ruft die pro-palästinensische Bewegung Musikerinnen und Musiker zum Boykott auf, weil die israelische Botschaft Mittel für Reisekosten nach Berlin zuschießt. Katja Lucker und ihr Team haben geradlinig reagiert - übrigens anders als die "Ruhrtriennale" mit ihrem Zick-zack-Kurs 2018 der Ein- und Ausladung der BDS-sympathisierenden Band Young Fathers. "Pop-Kultur" hat Absagen von Musikern kritisiert und sich der Diskussion gestellt. Auch wenn 2018 ein Panel zum Thema "Boykott als Form des Protests" einiges an Nerven kostete.
BDS-Aktivist: "Das Pop-Kultur unterstützt Apartheit und Besatzung …"
"Das Gute liegt so nah"
Katja Lucker: "In diesem Jahr gibt es keine Absagen. Ich glaube, dass es eher so ist, dass Künstlerinnen und Künstler schauen, und auch, wenn wir sie anfragen, und selber sehen: ‚Ach, das sind die … Da möchten wir vielleicht nicht auftreten.‘"
Den großen Auftritt haben neben einzelnen prominenten Namen wie Joy-Division-Gründer Stephen Morris, Anna Calvi, CocoRosie, Planningtorock, Die Goldenen Zitronen und Shabazz Palaces vor allem Bands und Musiker, die entdeckt werden wollen. Etwa unsere osteuropäischen Nachbarn: Rap von Dacid Go8lin aus Albanien oder von Alyona Alyona aus der Ukraine, Rumpel-Rock von Repetitor aus Serbien oder Synth-Pop des Russen Alex Kelman.
Katja Lucker: "Ich habe selber mal ein ganz tolles, polnisches Festival kuratiert in Berlin, und da habe ich selber nochmal gedacht: Das Gute liegt so nah."