Donnerstag, 25. April 2024

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Für ein positives Gefühl
Bücher über den Körper als Zuhause

Die Mädchen: top Figur, schöne Haare, leuchtende Augen. Die Jungs: cool, sportlich, lässig. Dieses Klischee transportieren Werbung, Medien, auch die Cover vieler Jugendromane. Wir stellen drei Bücher für Kinder und Jugendliche vor, die eine selbstbewusste Haltung zum eigenen Körper fördern wollen.

Von Maria Riederer | 26.06.2021
4 Buchcover zum Thema "Wo die Seele wohnt – Bücher über den Körper als Zuhause"
Drei Kinder- und Jugendbücher (eines kann man sogar ausziehen), die einen selbstbewussten Umgang mit dem eigenen Körper stärken wollen (Buchcover Klett Kinderbuch, Arena und Tulipan Verlag)
"Manche Menschen fühlen sich zu dick. Sie würden so gerne schlanker sein. Der Grund dafür ist oft, dass in Europa Dünnsein allgemein als schön gilt. In der Werbung, im Internet und in Zeitschriften sind die meisten Menschen schlank und sportlich, sie wirken glücklich und zufrieden. Viele Leute denken jeden Tag daran, dass sie lieber dünner wären – selbst, wenn sie gar nicht sehr dick sind. Jeder Mensch hat eine eigene Wohlfühl-Figur, mit der er oder sie sich richtig fühlt. Von außen betrachtet kann das ziemlich unterschiedlich aussehen."

Originelle Aufklärungsbücher

Ein Ausschnitt aus dem Sachbuch "AnyBody" von Autorin Katharina von der Gathen und Illustratorin Anke Kuhl. Die beiden sind ein bekanntes Team vor allem für originelle Aufklärungsbücher, darunter ein Titel über das Liebesleben der Tiere im Klett Kinderbuch Verlag. In all diese Bücher eingeflossen sind die Erfahrungen der Autorin, die als Sexualpädagogin vor allem mit Grundschulkindern arbeitet.
"Wenn man kleine Kinder beobachtet, dann kann man erkennen: Die sind noch ganz in ihrem Körper, die sind quasi ihr Körper selbst, also leben ihren Körper. Und irgendwann verliert sich das. Kinder lernen: Es macht etwas aus, wie ich von außen gesehen werde. Und wir sind ja alle Bildern ausgesetzt, die wir erfüllen müssen. Ich denke, immer mehr sind Kinder auch darauf geeicht, von außen gesehen zu werden und auch bewertet zu werden.
Eine bunte Doppelseite im Buch zeigt einen Park voller Menschen – aller Altersstufen. Fast jede Person hat eine Gedankenblase über dem Kopf:
"- Dem dicken Kind würde ich kein Eis kaufen
- Aha, Susi hat auch Cellulitis.
- Cooles Outfit – voll mutig.
- Oh, die kenn ich doch! Ist die aber alt geworden!
- Also muss das sein? So knappe Hotpants?"

Egal welcher Körper

Anybody - der Titel des Buches - bedeutet wörtlich: Jeder oder Jede. Auf dem Buchumschlag ist die Vokabel durch zwei Großbuchstaben in Wortbestandteile aufgeschlüsselt: Any Body - Jeder Körper. Wobei das englische Wort any per se alle Möglichkeiten einschließt - so dass die Übersetzung auch jedweder Körper heißen kann, oder gar – egal welcher Körper.
Der Titel verspricht nicht zu viel: Autorin und Illustratorin führen mit viel Charme und Witz durch alle Facetten des Seins in und mit einem Körper. Durch Verwandlungen im Laufe des Lebens und Eigenheiten jedes Menschen, durch gesellschaftliche und kulturelle Prägungen wie biologische Gegebenheiten. Von A wie Alt sein bis Z wie Zuhause.
"Der eigene Körper ist das Zuhause eines jeden Menschen. Es ist gut, wenn man gerne darin wohnt. Niemand kann vorher auswählen, mit welchen körperlichen Eigenschaften er oder sie auf die Welt kommt. Aber man kann herausfinden, wie man sich mit seinem eigenen Körper am wohlsten fühlt."

Ein Haus mit vielen Menschen

Die Illustratorin Anke Kuhl hat dieses Zuhause ins Bild gesetzt: Ein Haus mit vielen Menschen, die sich unterhalten, die miteinander oder allein spielen, die tief schlafen oder lernen. Ein Haus zum Wohlfühlen. Daher stammt auch der Untertitel des Buches: "Dick und Dünn & Haut und Haar: Das große ABC von unserem Körper-Zuhause". Die Kapitel tragen Titel wie:
"Einzigartig – Divers – Körperflüssigkeiten – Körpersprache - Veränderungen – Verliebt - Sich Schämen - Der erste Eindruck – Gänsehaut - Gemeinheiten – Komplimente…"
"Es ist eigentlich die wichtigste Botschaft des Buches, dass Kinder einen Blick dafür kriegen oder wieder neu lernen, den Körper als Zuhause zu empfinden: dass nur ich mich darin wohlfühlen kann und es nicht für andere ist."
In ihrer Praxis stellt Katharina von der Gathen immer wieder fest, dass der Weg zu diesem positiven Bewusstsein schon für Kinder voller Hindernisse steckt.
"Durch digitale Medien, in denen fast ausschließlich Bilder angeboten werden, die bearbeitet sind, die retuschiert sind, prägt sich Kindern ein Begriff von Normalität ein, der völlig verschoben ist und der zwangsläufig eigentlich zu der Idee kommt: Okay, wenn das Normalität ist, dann bin ich aber nicht nochmal."

Jutta Nymphius: "Oben ohne"

Wer die Buchumschläge von Jugendbüchern studiert, wird feststellen, dass auch die dort abgebildeten jungen Menschen – oft sind es Fotos - hauptsächlich gutaussehend sind: Die Mädchen: top Figur, schöne Haare, leuchtende Augen. Die Jungs: cool, sportlich, lässig. Diese Bilder heften sich in die Köpfe der jungen Leser und Leserinnen, noch bevor sie das jeweilige Buch aufgeschlagen haben. Zwei aktuelle Jugendromane beschäftigen sich mit dem Zusammenhang dieser überall kursierenden Bilder und dem eigenen Selbstbild und Selbstwert.
"Ich wäre so gern eine Sanduhr. Aber ich bin eine Pyramide.
,Mach dir keine Sorge, das ist überhaupt kein Problem', erklärt Silva mir gerade. Das können wir alles suuuupergut verstecken, und du kannst trotzdem richtig heiß aussehen.' Die verschiedenen Figurtypen hat mir Silva eben genau erklärt: ,Bei der Sanduhr-Frau sind die Schultern genauso breit wie die Hüften. Und die Taille dazwischen ist ganz schmal,' hat sie gesagt und mir dabei ein strahlendes Lächeln geschenkt. Silva selbst ist ein Musterbeispiel für die gaaanz tolle Sanduhr-Figur. Wenn man sie umdreht, rieselt es wahrscheinlich aus dem Kopf."

Ranking-Listen über das Aussehen

13 Jahre alt ist Amelie, die Protagonistin des Jugendromans "Oben ohne" von Jutta Nymphius. Vergeblich wartet sie darauf, dass sie in das hineinwächst, was sie für erstrebenswerte Idealmaße hält. Solange das nicht der Fall ist, versteckt sie sich unter den viel zu großen Hemden ihres Vaters. In der Schule wiederum erstellen die Jungen Ranking-Listen über das Aussehen der Mädchen, höhnische Bemerkungen unter den Mädchen sind ebenfalls an der Tagesordnung.
Amelie erlebt sich und ihren Körper fast ausschließlich aus den Augen der anderen oder gemessen an den Schönheitsidealen ihrer Lieblings-Videokanäle. In einer eindrucksvollen Szene im Roman versucht sie, sich selbst zu begegnen. Dem Mädchen, das sie ist, wenn kein anderer hinschaut.
"Seit einiger Zeit treffe ich heimlich jemanden. Vor allem abends, wenn es zu dämmern beginnt. Dann gehe ich in mein Zimmer und schließe ab – und öffne ich die Tür meines Kleiderschankes. An der Innenseite hängt ein großer Spiegel. Das Mädchen dort drin sieht mich jedes Mal sehr scheu und doch erwartungsvoll an. Sie ist nackt. Ich mustere sie von oben bis unten. Dabei versuche ich ein zuversichtliches Lächeln, aber ich kann nicht verbergen, dass das, was ich sehe, nicht in Ordnung ist."

Nicht in Ordnung

Nicht in Ordnung. Schon mit 13 Jahren gelingt es dem Mädchen nicht, in ihrem Körper zuhause zu sein. Kira, eine neue Klassenkameradin macht ihr vor, wie das geht:
"Am meisten staune ich über Kiras Klamotten. Obwohl sie nicht gerade schlank ist, trägt sie meist knallenge Tops und Shirts, die bei jeder Bewegung hochrutschen und ihre Speckrollen freigeben. Aber all das scheint nicht nur sie überhaupt nicht zu stören. Auch niemand sonst traut sich, eine Bemerkung darüber zu machen, erst recht keine höhnische."
Kiras Geheimnis: Es ist ihr egal. Ihr Stil ist eigenwillig, ihr Selbstbewusstsein unangreifbar. Ihr Körper gehört ihr. Anders als die anderen Mädchen verzichtet sie darauf, Selfies von sich zu verschicken. Amelie dagegen lässt sich, frisch verliebt, von ihrem Schwarm dazu überreden, ein Oben-Ohne-Foto zu verschicken. Auf dem Buchcover ist sie übrigens als Zeichnung abgebildet: Ohne Gesicht, nur mit einer Jeans bekleidet, aus der harmlose, kleine Speckringe hervorschauen. Die nackte Brust ist von einem Handy verdeckt, mit dem sie sich gerade selbst fotografiert.

Ilona Einwohlt: "Uncovered"

In die gleiche Falle tritt die Protagonistin Ella in llona Einwohlts Jugendroman "Uncovered – dein Selfie zeigt alles". Ella ist Sportlerin, durchtrainiert, gut aussehend. Ihr einziger angeblicher Makel: Sie ist klein. Aber auch sie steht außerhalb einer – wie sie sagt – "Klasse voller Püppchen". Auch Ella verliebt sich und verschickt ein freizügiges Foto.
"Ella positionierte das Handy so, dass man sie von oben auf der Matte liegen sah, den Schwarzgurt drapierte sie neben sich zu einem Herzen. Dann aktivierte sie den Selbstauslöser und legte sich lächelnd daneben. Es wurde ein besonders hübsches Bild. Dieses Foto drückte alles aus, was sie für Milan empfand. Ohne einen weiteren Kommentar schickte sie es los."
Amelie und Ella vertrauen den Jungen. Mit ihren allzu privaten Fotos geben sie auch ihre Selbstbestimmung aus der Hand und müssen sich diese nun mit Mühe zurückerkämpfen.

Selbstbestimmung und Selbstbewusstsein

Im Buch "AnyBody" von Katharina von der Gathen und Anke Kuhl heißt es unter den Stichwörtern Selbstbestimmung und Selbstbewusstsein:
"Ein Körper gehört nur dem Menschen, der in ihm wohnt. Keinem anderen. Jedes Kind hat das Recht, über seinen Körper zu bestimmen. -
Selbstbewusstsein heißt: Herauszufinden, was man kann und an sich selbst gut findet – und auch, was nicht so gut zu einem passt. Dabei ist es egal, was andere können und wie sie sind. Und auch, was sie von dir denken. Dann kann es beispielsweise auch sehr selbstbewusst sein, wenn man einfach vom Dreimeterbrett wieder herunterklettert."
Sich der Außenwelt nackt oder halbnackt zu zeigen, ist in den Jugendromanen von Ilona Einwohlt und Jutta Nymphius kein Akt der Selbstbestimmtheit, weil es nicht freiwillig geschieht. Im Kinderbuch "AnyBody" gibt es auch ein Kapitel über das Nacktsein, in dem es um Scham geht - und um Normalität. Es ist sogar möglich, das Buch auszuziehen. Wer den Schutzumschlag abnimmt, sieht darunter die abgebildeten Menschen ohne Kleider – vom Kind bis zum Greis.

Zwänge männlicher Selbstdarstellung

Drei Bücher über den Körper und die Wichtigkeit, darin zuhause zu sein. Leider sind auf beiden Jugendromanen Mädchen abgebildet, so dass Jungen wohl eher nicht danach greifen werden. Dabei lässt gerade Ilona Einwohlt in ihrem Roman "Uncovered" auch Milan zu Wort kommen, der ebenfalls in Zwängen männlicher Selbstdarstellung feststeckt. "AnyBody" von Katharina von der Gathen und Anke Kuhl richtet sich dagegen an anybody, an jeden und jede, egal in welchem Alter.
Katharina von der Gathen / Anke Kuhl (Ill.): "AnyBody – Dick & dünn & Haut & Haar: das große ABC von unserem Körper-Zuhause"
Verlag Klett Kinderbuch, Leipzig. 92 Seiten, 16 Euro, ab 8 Jahren.
Ilona Einwohlt: "Uncovered – Dein Selfie zeigt alles"
Arena Verlag, Würzburg. 225 Seiten, 8 Euro, ab 12 Jahren.
Jutta Nymphius: "Oben ohne"
Mit Illustrationen von Irmela Schautz
Tulipan Verlag, München. 174 Seiten, 13 Euro, ab 12 Jahren.