Donnerstag, 28. März 2024

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Kinderbücher zur Pandemie
Corona erzählt und erklärt

Die Entwicklungen in der Pandemie sind schnelllebig. Für Verlage ist es schwer, mitzuhalten. Die ersten Kinder- und Jugendbücher über Corona sind inhaltlich inzwischen überholt und waren literarisch auch eher Schnellschüsse. Wir stellen Titel aus diesem Frühjahr vor, die die Lektüre lohnen.

Von Christoph Ohrem | 27.03.2021
4 Cover der besprochenen Coronabücher
Vier Kinderbücher, die Wissen vermitteln oder vom Familienalltag während der Pandemie erzählen (Cover BoD, Hanser, Loewe, Sauerländer Verlag)
Der junge Held in Uticha Marmons Kinderbuch "Das stumme Haus" erfährt von der Pandemie aus den Fernsehnachrichten:
"Ich überlege immer noch, wie viele Leute wohl an dem Abend, genauso wie wir, vor dem Fernseher saßen und dachten, dass die Nachrichtenfrau nur mit ihnen spricht."
Nikolai heißt der Ich-Erzähler, genannt Nikosch. Er wohnt mit seinen Eltern und seinen zwei Geschwistern in einer kleinen Wohnung eines Mehrfamilienhauses. Die Bewohnerinnen und Bewohner nennen es liebevoll "Kaninchenbau", weil darin immer so viel los ist.
"Die ganze Sendung lang ging es nur um diese eine Sache, und als Papa am Ende den Fernseher ausschaltete, waren wir erst mal eine ganze Weile still. Dann sagte Mama: ‚Also, ihr habt es gehört. Ab jetzt heißt es Hände waschen!' Ach so, dachte ich. Nein, das hatte ich nicht gehört."

Sogar die Sprache verändert sich

Schon bald kommt der Lockdown. Uticha Marmon erzählt in "Das stumme Haus" einen Kriminalroman für Kinder ab neun Jahren vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie. Zunächst erlebt die Leserschaft durch Nikoschs Augen, wie sich für die Kinder alles verändert, selbst die Sprache:
"Statt so normale Dinge wie ,Hof', ,draußen', ,Abendessen' oder vielleicht auch ,Zahnbürste' gab es jetzt neue Wörter. ,Konzept', ,Hygiene', ,Isolation', ,Distanz' und noch viel mehr Buchstabensalat, den ich nicht mal aussprechen kann. Aber im Gegensatz zu allen anderen hatten diese Wörter keinen Klang. Sie waren still, und immer wenn jemand sie sagte, verbreiteten sie nur noch mehr Stille. […] Die Stille der neuen Wörter machte es sich bei uns gemütlich wie ein Gast, den man nicht eingeladen hat, und drängte alles andere zur Seite."
Nikolai und seine Freunde bemerken eines Abends, wie sich jemand in den Keller ihres Hauses schleicht. Sie versuchen herauszufinden, wer der vermeintliche Einbrecher ist. Außerdem entdecken die Freunde, dass jemand bei Nacht aus einem benachbarten Haus S.O.S-Signale mit einer Taschenlampe sendet.
Viel Spannung, ein rasantes Erzähltempo und dazu noch Slapstick-Humor, wenn sich Nikoschs Vater beim Reparieren der Wohnung wieder einmal den Kopf stößt, sorgen für ein kurzweiliges Leseerlebnis. Das Buch streift bisweilen Klischees, und die Dramaturgie ist wenig subtil. Allerdings überzeugt Uticha Marmons "Das stumme Haus" auf inhaltlicher Ebene. Die Eltern der Kinder können sich nicht einfach ins Home Office zurückziehen, wie es bei so vielen anderen Corona-Büchern der Fall ist. Hier sind sie Putzkräfte, Krankenschwestern oder auf die Tafel angewiesen, um etwas zu essen zu haben. Solche Schwierigkeiten lösen die Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses mit Solidarität.

Selim Özdogan: "Auch in Wolonien"

Selim Özdogans Kinderroman "Auch in Wolonien" richtet sich an eine etwas jüngere Leserschaft und beschäftigt sich mit der Pandemie in einer Art Kammerspiel. Ralf und Elenor halten die Corona-Pandemie zunächst vor ihrem Sohn Raviv und ihrer Tochter Nefeli geheim. Das ändert sich, als Nefeli eine Maske geschenkt bekommt.
"- Warum hat Selda sie dir geschenkt?
- Damit wir nicht krank werden, hat sie gesagt. Es gibt nämlich eine neue Krankheit, Corona. Das ist ganz, ganz gefährlich, hat Selda gesagt, man kann sterben davon. Ihre Mutter, ihr Vater und ihre große Schwester haben auch schon Masken. Alle müssen ganz vorsichtig sein. Das ist ansteckend und das kommt aus China. Da sind schon ganz viele tot.
Nefelis Mundwinkel zittern leicht, wie immer, wenn sie Angst hat. Ralf und Elenor haben den Kindern bisher nichts über Corona erzählt. Das hätten wir vielleicht doch tun sollen, denkt Elenor jetzt.
- Müssen wir denn sterben, wenn wir das kriegen?, fragt Raviv."
Nicht nur die Schulen und Kitas schließen, auch die Besuche bei der geliebten Großmutter fallen aus. Ralf und Elenor arbeiten im Home Office, was ein Stresstest für die ganze Familie ist. Raviv ist fassungslos, als ihm klar wird, dass seine Geburtstagsfeier nicht stattfinden kann.

Alltagsprobleme, einfühlsam erzählt

Es sind Alltagsprobleme, die Selim Özdogan in "Auch in Wolonien" einfühlsam beleuchtet. Etwa wenn Ralf mehr als einmal tief durchatmen muss, wenn er im Spagat von Home Office und Kinderbetreuung die Nerven verliert. Allabendliche Vorleserituale, Videotelefonate und ein heimlicher Spielplatzbesuch - was sich zunächst eher seicht liest, streift auch schwere Themen. Etwa als Oma Hilde sich meldet und vorschlägt, dass die Kinder doch, wie vor der Pandemie, an einem Mittwoch zu Besuch kommen sollen.
"- Man kann nicht alles nach hinten verschieben.
- Was denn nicht?, fragt Raviv.
- Den Tod, antwortet Hilde. Den Tod kann man nicht aufhalten. Wenn er kommt, dann kommt er. Manchmal hat man noch ein bisschen Zeit, aber oft geht es schnell. Ich bin jetzt 72, vielleicht habe ich noch zwanzig Jahre, aber vielleicht auch nur noch zwei oder nur zwei Monate. Oder zwei Wochen.
- Mama, sagt Elenor.
- Sag nicht Mama, das ist die Wahrheit. […] Die Zeit, die wir jetzt nicht haben, können wir nicht irgendwann hinten dranhängen. Die haben wir jetzt verloren. Um andere zu schützen. Um mich zu schützen. Aber ich entscheide, dass ich nicht mehr geschützt werden will. Ich gehe ja ohnehin nirgends mehr hin. Also, in fünf Tagen ist Mittwoch."
"Auch in Wolonien" arbeitet die privaten Herausforderungen einer Familie im Lockdown sprachlich und inhaltlich überzeugend auf. Da der Erzähler die Perspektiven aller Familienmitglieder aufgreift, schärft der Roman so auch den Blick für den jeweils anderen.

"Monster-Mikroben"

Obwohl die gedruckten Sachbücher natürlich nicht mit der Geschwindigkeit mithalten können, in der neue Fakten über das Virus bekannt werden, lohnt es, sie zu lesen. Nicht nur, um Kindern Infos zu bieten, sondern auch um das eigene Wissen aufzufrischen. Teils sind die Publikationen eher als knappe Broschüre aufgearbeitet und sogar als Gratisdownload erhältlich. So etwa "Coronavirus" des Beltz & Gelberg Verlags. Die Illustrationen hat Grüffelo-Erfinder Axel Scheffler beigesteuert. Wer tiefer in die Materie einsteigen möchte, dem sei hier das aufwändig konzipierte "Monster-Mikroben" von Marc van Ranst und Geert Bouckaert ans Herz gelegt.
"Das Buch ist tatsächlich ursprünglich 2008 schon erschienen in den Niederlanden."
Saskia Heintz ist die verantwortliche Lektorin beim Hanser Verlag.
"Aufgrund der Vogelgrippe hat man das damals entwickelt, und ich bin sehr zufrieden, dass wir da noch einmal aktualisieren konnten zusammen mit den Niederländern und natürlich das Corona-Kapitel ergänzen konnten."
"Monster-Mikroben. Alles über nützliche Bakterien und fiese Viren" kann natürlich nicht alles erklären, wie es im Titel heißt. Das sehr übersichtlich gestaltete Buch vermittelt aber doch sehr viel. In kurzen und gut strukturierten Kapiteln schildern Marc van Ranst und Geert Bouckaert hier die Welt der Kleinstlebewesen, der Mikroben. Die Kapitel mit Überschriften wie "Was sind Mikroben und was tun sie?" oder "Warum kommt die Grippe immer wieder zurück?" schließen jeweils mit einem Fragebogen ab, in dem man überprüfen kann, ob man alles behalten hat.

Die Pandemie ist immer einen Schritt voraus

Auch wenn Verlag und Autoren das zur Vogelgrippe erschienene Buch um ein Corona-Kapitel aktualisiert haben und somit neben allgemeinem Wissen auch auf die aktuelle Lage Bezug nehmen, ist die Entwicklung der Pandemie der Buchbranche nicht nur in dieser Publikation ein paar Schritte voraus, gibt Saskia Heintz zu:
"Zum Zeitpunkt der Drucklegung im Herbst 2020 war zum Beispiel noch nicht bekannt, dass man gegen Corona so schnell einen Impfstoff entwickeln würde. Das hat sich natürlich glücklicherweise inzwischen herausgestellt. Insofern werden weitere Forschungsergebnisse immer wieder nach und nach in dieses Buch eingearbeitet und ergänzt werden."

"Die spannende Welt der Viren und Bakterien"

Das wohl umfangreichste Sachbuch zum Thema haben Karsten Brensing und Katrin Linke veröffentlicht. "Die spannende Welt der Viren und Bakterien" heißt es. Ein Buch, das auch Christian Drosten empfiehlt. Auf 192 Seiten erfährt die Leserschaft zum Beispiel, dass nicht alle Viren und Bakterien gefährlich sind. Diese Differenzierung und das Bemühen, das Phänomen in einem großen Kontext darzustellen, machen dieses Buch so besonders.
Die einzelnen sehr kompakten Kapitel enthalten zusätzlich Infokästen, in denen angesprochene Punkte noch einmal vertieft werden. Das ist ganz schön anspruchsvoll für eine Leserschaft ab acht Jahren. Da kommen die auflockernden und unterhaltsamen Illustrationen ins Spiel, die zum Teil das Beschriebene darstellen und zum Teil einfach nur Schmuck sind. Die Viren haben etwa große Kulleraugen und schauen grimmig oder erstaunt, auf jeden Fall witzig.
"Es ist natürlich auch so ein Kinderbuchmittel, um die Kinder nicht komplett abzuschrecken oder zu verlieren."

Bunte und schelmische Illustrationen

Nikolai Renger hat schon mehrere Sachbücher von Karsten Brensing illustriert. Die bunten und schelmischen Illustrationen lockern das sehr informative Buch gelungen auf.
"Auf der einen Seite war natürlich gewünscht, dass die so ein wenig witzig sind und skurril, so dass man da noch eine zweite Ebene schafft zu dem eher sachlichen Thema. Und dann gab es natürlich auch so Schaubilder und so etwas, wo ich dann doch genau sein musste. Nicht unbedingt vom Stil her, aber von der Darstellung schon."
Auch wenn die meisten Autorinnen und Autoren noch nicht auf die verschiedenen Impfstoffe und deren Anwendung eingehen konnten, wird dies sicherlich bald Thema werden. In dem Sachbuch "Keine Angst vor dem kleine Piks!" greift die Kinderärztin Sybille Mottl-Link das Thema auf. Das Buch erscheint Ende März.
Die Sachbücher für Kinder bieten über die konkrete Pandemie hinaus Wissen und ermöglichen interessante Einblicke in ein spannendes Gebiet der Biologie. Viele fiktive Kinder- und Jugendbücher leben allein von ihrem Erzählanlass – der Verarbeitung der Krise. Die große Zahl auch im Selbstverlag herausgegebener Bücher, die sich dem Thema widmen, setzen zu sehr auf das derzeitige Publikumsinteresse. Gerade solche biederen und langweiligen Bücher werden schnell verschwinden. Es braucht eben doch mehr als nur ein aktuelles Thema, um Bücher zu schreiben, die bleiben.
Uticha Marmon: "Das stumme Haus"
Verlag Fischer Sauerländer, Frankfurt a. M. 208 Seiten, 14 Euro, ab 9 Jahren.
Selim Özdogan: "Auch in Wolonien"
BoD Verlag, Norderstedt. 102 Seiten, 7 Euro, ab 5 Jahren.
Elizabeth Jenner, Kate Wilson, Nia Roberts: "Coronavirus"
Illustriert von Axel Scheffler
Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim. 15 Seiten, gratis Download, ab 5 Jahren.
Marc van Ranst, Geert Bouckaert: "Monster-Mikroben"
Aus dem Niederländischen von Stefanie Ochel
Hanser Verlag, München. 72 Seiten, 15 Euro, ab 7 Jahren.
Karsten Brensing, Katrin Linke: "Die spannende Welt der Viren und Bakterien"
Illustriert von Nikolai Renger
Loewe Verlag, Bindlach. 192 Seiten, 16,95 Euro, ab 8 Jahren.
Sybille Mottl-Link: "Keine Angst vor dem kleinen Piks!"
Loewe Verlag, Bindlach. 32 Seiten, 10 Euro, ab 3 Jahren.