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Für Gott und Kroatien (1/5)
Politische Botschaft aus der Kathedrale

Seit dem Ende des Kommunismus hat die Katholische Kirche in Kroatien stark an Bedeutung gewonnen. Der Klerus propagiert einen rigiden Konservatismus und Nationalismus. Das stört diejenigen, die im früheren Jugoslawien noch Priester erlebt haben, die stärker am Dialog interessiert waren.

Von Dirk Auer | 16.04.2018
    Die Kathedrale in der kroatischen Hauptstadt Zagreb
    Die Kathedrale in der kroatischen Hauptstadt Zagreb: Bei der jüngsten Volkszählung haben sich 86 Prozent der Befragten als Katholiken bezeichnet (Imago)
    Die Kathedrale des Erzbistums Zagreb: Mit ihren zwei markanten und weithin sichtbaren Türmen ist sie eines der höchsten Gebäude Kroatiens. Gerade ist wieder ein Bus herangerollt mit einer Gruppe japanischer Touristen; ein paar Gläubige laufen über den Platz, um drinnen eine Kerze anzuzünden. Mittendrin im Treiben steht Branimir Pofuk und schaut nach oben:
    "Sie haben die Kathedrale renoviert, das freut mich; sie war für mich immer ein besonderer Ort. Aber ich war lange nicht mehr drinnen, die politischen Botschaften, die aus ihr heraus dringen, gefallen mir nicht mehr. Die Priester sagen: Wir sind die wahren Kroaten. Wir schützen die kroatische Identität, die kroatische Nation, den kroatischen Staat. Und alle anderen sind Feinde."
    Traurig sei das, sagt Branimir Pofuk, und für ihn auch persönlich enttäuschend. Er ist 53 Jahre als und hatte selbst noch eine ganz andere Kirche kennengelernt, als Kroatien noch ein Teil Jugoslawiens war. Sein Vater war Kommunist, doch die Mutter äußerst religiös – und mit ihr ist er von klein auf jeden Sonntag in die Kirche gegangen.
    "Was mich faszinierte, war die Musik. Und dann hatten wir dort einen Pastor: ein Intellektueller, ebenfalls ein Musiker. Bei ihm habe ich zum ersten Mal Schallplatten von Bach, Beethoven und Mozart gesehen. Und auch die anderen Priester, die sich da versammelten, das war die alte Generation: geistreiche Menschen, Intellektuelle. Und als ich 14 Jahre alt war, hatte ich den Wunsch, selbst Priester zu werden."
    Religionsfreiheit war auch im Kommunismus garantiert
    1979 war das. Staatspräsident Tito war noch am Leben, der Kommunismus war die herrschende politische Ideologie, ein Ende des atheistischen Vielvölkerstaats Jugoslawien überhaupt noch nicht abzusehen – und der junge Branimir besuchte das katholische Seminar für Priesteranwärter, hier, direkt neben der Kathedrale. Vier Jahrzehnte später schaut er auf das vierstöckige Gebäude. Und bereut nichts.
    "Das war ein großes Privileg. Ich hatte großartige, interessante Lehrer. Sie haben einen offenen Dialog gefordert und gefördert. Und sie haben uns gelehrt, dass wir frei sind. Dass der Mensch seine Entscheidungen frei trifft. Und nicht, dass unser Glaube bedroht ist, weil wir in einem System mit einer atheistischen Ideologie leben."
    Das Verhältnis von Kirche und sozialistischem Staat war zwar naturgemäß nicht immer spannungsfrei. Aber die Religionsfreiheit war gesetzlich garantiert, so dass – wer wollte – seinen Glauben durchaus unbehelligt leben konnte. Nur ein Beispiel, erklärt Branimir Pofuk: 1971 kam es zu Protesten für eine größere Autonomie Kroatiens innerhalb des jugoslawischen Gesamtstaats, der sogenannte kroatische Frühling.
    "Als dieser niedergeschlagen wurde, ist mein Vater demonstrativ aus der Partei ausgetreten und fortan jeden Sonntag in die Kirche gegangen. Und das hatte keine Konsequenzen für ihn! Von den Nationalisten wird heute behauptet: Jugoslawien war eine furchtbare Diktatur, und wir durften nicht in die Kirche gehen. Es sei ein Regime gewesen, das die kroatische Identität zerstören wollte. Das ist eine Lüge. Aber die Nationalisten brauchen offenbar diesen Mythos, dass alles schwerer und schlimmer war als es eigentlich war".
    Zwar habe es auch damals schon eine gewisse Verbindung zwischen patriotischer Gesinnung und religiösem Glauben gegeben, sagt Branimir Pofuk:
    "Aber nach der Unabhängigkeit Kroatiens ist die Zugehörigkeit zur Kirche im Vergleich zu früher noch mal wichtiger geworden. Damit soll gezeigt werden, dass Du Kroate bist, das gilt besonders für diejenigen, die Kommunisten waren. Denn wie kann ein ehemaliger Kommunist besser demonstrieren, dass er jetzt plötzlich ein großer kroatischer Patriot ist, als dass er anfängt in die Kirche zu gehen!"
    "Die Menschen sollten einfach einer Autorität folgen"
    Der Dolac liegt nur ein paar hundert Meter von der Kathedrale entfernt, ein prächtiger Obst- und Gemüsemarkt und – vor allem am Wochenende – das weltliche Zentrum Zagrebs. Hier wird nicht nur eingekauft, hier trifft man sich, schwatzt und lässt sich nach getanem Einkauf in einem Café nieder. Branimir Pofuks Loslösung von der Kirche begann Mitte der 1980er-Jahre, nach dem Ende seiner Armeezeit.
    "Ich bin zurück nach Zagreb und hatte angefangen Theologie zu studieren. Aber nach ein paar Monaten hat mir das nicht mehr behagt. Es hat mich einfach alles zu stark an die Armee erinnert: Die Menschen wurden nicht ermutigt, mit dem eigenen Kopf zu denken, sondern sollten einfach einer Autorität folgen."
    Und dann war da ja noch seine alte Leidenschaft: die Musik! Vier Jahre bevor Jugoslawien begann auseinanderzufallen wuchs der Nationalismus, und viele Menschen begannen damals die Kirche zu entdecken – da ist Branimir Pofuk den umgekehrten Weg gegangen. Er verließ die theologische Fakultät und wurde Student an der Zagreber Musikakademie.
    In einem Café am Rande des Marktes bestellt sich Pofuk einen Cappuccino. Es ist einer der ersten Frühlingstage, und von der Kathedrale herüber läuten die Glocken zu Mittag.
    "Bei der letzten Volkszählung, 2011, habe ich mich zum ersten Mal noch nicht einmal mehr als Katholik deklariert. Ich bin religiös, aber ich gehöre keiner Kirche mehr an."
    Heute arbeitet er als Musikkritiker und Kolumnist einer großen Tageszeitung. Doch gleichgültig lässt ihn die Kirche bis heute nicht. Sie bleibt sein Thema, sein Lebensthema.
    "Ich kritisiere die Kirche in meinen Texten, aber ich sage immer: Ich kritisiere sie als Christ, der ich erst durch diese Kirche geworden bin. Ich habe nie bereut, dass ich am theologischen Seminar war. Aber ich sehe keine Gemeinsamkeiten mehr zwischen den Priestern, die ich damals kennengelernt habe und denen, die heute reden."