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Jugoslawienkrieg
Kroatiens unbewältigte Vergangenheit

Kroatien driftet immer weiter nach rechts. Krieg, Feind, Vaterland, Volk, Verrat – das sind die Schlüsselbegriffe eines radikalen politischen Diskurses, der immer hitziger geführt wird. Der EU-Beitritt vor fünf Jahren hat daran nichts geändert. Es herrscht ein Klima von Hass und Einschüchterung.

Von Norbert Mappes-Niediek | 22.01.2018
Gebäude in Kroatiens Hauptstadt Zagreb
"Wir haben keinen Weg gefunden, unsere nationale Identität auf die Grundlage positiver Wertvorstellungen zu stellen", sagt die Zagreber Sozialpsychologin Dinka Ćorkalo-Biruški (Imago)
In seiner unbewältigten Geschichte gefangen, treibt Kroatien immer weiter nach rechts.
"Slobodan Praljak ist kein Kriegsverbrecher! Mit Verachtung weise ich das Urteil zurück."
Ein früherer Armeegeneral, vom Kriegsverbrechertribunal in Den Haag soeben rechtskräftig verurteilt, schluckt im Gerichtssaal Gift und nimmt sich vor aller Augen das Leben. Seine letzten Worte und das Bild dazu gehen um die Welt. Die zweite Nachricht geht immerhin noch durch ganz Europa: die von den kroatischen Reaktionen. Von einer tiefen moralischen Ungerechtigkeit spricht der Premierminister und meint nicht die Vertreibungslager und den Dauerbeschuss von Wohngebieten, für die der General verurteilt wurde. Ungerecht findet er vielmehr das Haager Urteil. Aber Kroatien selbst ist erst von einer dritten Nachricht so tief erschüttert: Der Richter des U-Tribunals hat die Einmischung kroatischer Truppen in den Krieg im Nachbarland Bosnien ein "kriminelles Unternehmen" genannt.
Das Geschehen, um das es geht, spielt vor einem Vierteljahrhundert in der Herzegowina, dem steinigen Hinterland der dalmatinischen Küste. Kroatien, das jüngste Mitgliedsland der Europäischen Union, ist fest in seiner Geschichte gefangen, sagt die Zagreber Sozialpsychologin Dinka Ćorkalo-Biruški.
"Glorifizierung und Vergöttlichung des Krieges"
"Nach dem Krieg haben wir uns alle gefreut, dass er vorbei war, dass er endlich hinter uns liegt. Jetzt beginnt die Zukunft, dachten wir, jetzt geht es vorwärts. Jetzt bauen wir auf, jetzt sichern wir uns ab, jetzt pflegen wir unsere Verwundeten und beweinen unsere Opfer und schreiten voran. Aber dann begann das, was ich Glorifizierung und Vergöttlichung des Krieges nenne. Es gab und gibt kein anderes Narrativ als das vom Sieg, das von 'uns', den Kroaten, 'unseren' Opfern, 'unserem' Leiden. Eine Identität hat sich im öffentlichen Raum auf dieser Basis nicht bilden können."
Krieg, Feind, Vaterland, Volk, Verrat – das sind die Schlüsselbegriffe des eigenartigen Diskurses, der in Kroatien von Monat zu Monat hitziger geführt wird. Es klingt wie ein Befund aus einer psychiatrischen Krankengeschichte, wenn die Zagreber Sozialpsychologin Dinka Ćorkalo-Biruški den mentalen Zustand ihrer Nation beschreibt.
"Wir haben keinen Weg gefunden, unsere nationale Identität auf die Grundlage positiver Wertvorstellungen zu stellen."

Der EU-Beitritt vor bald fünf Jahren hat das Syndrom nicht gebessert. Im Gegenteil. Eine Phase der Entspannung und Reform, über Jahre hinweg auch orchestriert von der großen Nationalpartei HDZ, ging ausgerechnet jetzt zu Ende.
Der Angeklagte Slobodan Praljak am 29. November 2017 vor dem UNO-Tribunal für das frühere Jugoslawien in Den Haag
Der Angeklagte Slobodan Praljak am 29. November 2017 vor dem UNO-Tribunal für das frühere Jugoslawien in Den Haag (Robin van Lonkhuijsen / POOL / AFP)
Den Politologen Dejan Jović wundert es im Prinzip nicht, dass der Reformwelle ein Rückstoß folgte.
"Ein Teil dieses Reformprozesses war simuliert, das heißt, es stand kein ernsthafter Wille dahinter. Das Phänomen zeigt sich auch in anderen Ländern wie in Polen oder Ungarn - und in anderer, in ökonomischer Hinsicht auch in Rumänien und Bulgarien -, dass sich gleich nach dem Beitritt - wenigstens in der ersten Phase - konservative und nationalistische Kreise wieder regen."
Aber was hier geschieht, lässt sich mit dem Bild von der Welle allein nicht erklären. Europa, Aufbau, Wirtschaft, Demokratie – das alles klingt im modernen Kroatien unwirklich, fremd, wird höchstens zynisch zitiert. Es ist ein trauriger Diskurs, kein fröhlicher von Sieg und Triumph, was einem 22 Jahre nach Kriegsende und 26 Jahre nach der Unabhängigkeit auch merkwürdig vorkommen müsste. Niemand ist von irgendetwas begeistert. Und umgekehrt waren die wenigstens auch ernsthaft entsetzt, als der Richter im fernen Holland sein klares Urteil über Verbrechen der Kriegszeit sprach.
"Die breitere Öffentlichkeit, die so genannte Bevölkerung, die ist ja nicht in Massen zu der großen Feier zu diesem 'In memoriam für Slobodan Praljak' gegangen. Die Parkplätze, die man reserviert hat, waren leer. Es kamen drei Busse aus der tiefsten Provinz."
Erzählt der Verleger und Essayist Nenad Popović, der einen Teil seiner Jugend in Deutschland verbracht hat und für beide Länder ein feines Sensorium hat.
Kriegsveteranen wollen ihre Feindbilder gewahrt wissen
Freude über den Sieg und Entsetzen über die Opfer in dem so lange zurückliegenden Krieg wirken künstlich. Produziert und angeheizt werden die Stimmungen von den Verbänden der Kriegsveteranen, die die Interessen von angeblich 500.000 Menschen vertreten – bei einer Einwohnerzahl von wenig mehr als vier Millionen eine phantastisch übertriebene Zahl. Die "Verteidiger", wie sie mit einem neukroatischen Wort genannt werden, achten sorgfältig darauf, dass ihre Ansprüche, ihr Ruhm und ihre Feindbilder gewahrt bleiben.
Widersprechen aber will den Veteranen in der politischen Öffentlichkeit kaum jemand. Die Rede vom triumphalen Sieg über die großserbische Aggression, von heldenhafter Verteidigung, unterliegt strenger Sprachregelung. Nach einer Erklärung des Parlaments, die im Rang einer Verfassungsbestimmung steht, war der Krieg der Jahre 1991 bis 1995 "legitim und gerecht" und hatte "Verteidigungs- und Befreiungscharakter". Ursprünglich galt die Kodifizierung des historischen Urteils nur für den Krieg um die Unabhängigkeit Kroatiens, der gegen die jugoslawische Armee geführt wurde. Inzwischen gilt der kollektive Persilschein auch für die Einmischung in Bosnien, für die General Praljak in Den Haag verurteilt wurde. Wer an der behördlich festgestellten Wahrheit zweifelt oder wer die teils beträchtlichen finanziellen Vorrechte der so genannten Verteidiger ins Zwielicht rückt, bekommt es mit den Veteranenverbänden zu tun. Sozialpsychologin Dinka Ćorkalo-Biruški.
"Ich verwende einen Ausdruck, der etwas schwächer ist als Angst. Sagen wir, ein Unbehagen, das Thema Privilegien für Verteidiger überhaupt anzurühren. Am besten, man lässt die Finger davon. Bei unserer grenzenlosen Dankbarkeit gegenüber den Verteidigern, bei unserem Respekt vor ihren Opfern, kann jedes Wort als falsch ausgelegt, falsch verstanden werden, und es kann sich jeden Augenblickumkehren in die Frage: Wo warst du 1991?"
Wer darauf keine gute Antwort weiß, läuft Gefahr, als vaterlandsloser Geselle gebrandmarkt zu werden – auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen. Die moralische Erpressung reicht aus, der nationalistischen Regierungspartei trotz elender Wirtschaftslage und allgemeiner Depression, eine Stimmenmehrheit zu sichern. Dass die oppositionellen Sozialdemokraten dagegen nicht ankommen, sind sie selber schuld, sagt der Politikwissenschaftler Dejan Jović.
Es geht um die Deutung der 90er-Jahre
"Sie haben zu allem eine Alternative im Talon, außer zu den nationalen Mythen. Wenn es um die Deutung der 90er-Jahre geht, haben sie keine andere Erzählung zu bieten. Da spielen sie ausschließlich auf fremdem Spielfeld und versuchen das Spiel nach den Regeln der anderen zu gewinnen."
Und verlieren dabei regelmäßig. Debatten über die stagnierende Wirtschaft, die fehlenden Perspektiven für die Jugend, die massenhafte Auswanderung, werden unter der Hand zur Erzählung vom Übel, das der Krieg hinterlassen hat und das die inzwischen stark dezimierte serbische Minderheit im Land bis heute angeblich darstellt.
Kroatien mit seinen 1,2 Millionen Arbeitsplätzen verliert seit dem EU-Beitritt 2013 jährlich rund 25.000 Einwohner, immer häufiger ganze Familien. In ihrem Roman "Stajska bolest", zu Deutsch Stallkrankheit, schildert die Schriftstellerin Bukovac den Gemütszustand der Daheimgebliebenen auch qualitativ.
"Stallkrankheit" ist ein umgangssprachlicher Ausdruck für den Status eines Pferdes, das zu lange in der Box eingesperrt war und dann an seinem Platz heftig zu hin- und herzuschaukeln beginnt. Es braucht Bewegung. Es findet keinen Ausweg aus seiner Lage. Das ist in etwa die Situation, in der ich im Moment die Menschen hier sehe."
Als treffendes Beispiel zitiert die Autorin ihr unglückliches Heimatstädtchen Glina, das im Krieg umkämpft war und heute, obwohl nur rund 75 Kilometer von der Hauptstadt Zagreb entfernt, noch immer die Hoffnungslosigkeit der Kriegszeit ausstrahlt, wo Geschäfte leer stehen, Fabriken sowieso, wo nur die Wettbüros boomen und wo selbst die bosnischen Flüchtlinge, die man nach der Vertreibung der Serben hier ansiedeln wollte, nicht bleiben mögen.
"Komisch, dass dieses Territorium irgendwie niemand zu brauchen scheint, jetzt, da der Krieg doch lange vorbei ist. Das finde ich eigenartig. Es war doch zu erwarten, dass nach alledem hier etwas geschieht."
Unterstützer der teils nationalistischen, teils christdemokratischen Honoratiorenpartei HDZ nach der Parlamentswahl am 8. November 2015
Unterstützer der teils nationalistischen, teils christdemokratischen Honoratiorenpartei HDZ nach der Parlamentswahl am 8. November 2015 [*] (picture alliance / dpa / Antonio Bat)
Honoratiorenpartei HDZ auf nationalistischem Kurs
Statt dass etwas geschieht, wird der nationale Diskurs im Land immer radikaler. Begonnen hat es schon 2012, im Jahr vor dem EU-Beitritt. Damals regierten noch die Sozialdemokraten mit der linksliberalen Volkspartei. Die teils nationalistische, teils christdemokratische Honoratiorenpartei HDZ, wegen etlicher Korruptionsfälle kompromittiert, lag am Boden - bis Tomislav Karamarko sie übernahm und auf einen nationalistischen Kurs führte, anfangs wohl nur, um die zersplitterte extreme Rechte aufzufangen und sich so ein paar zusätzliche Prozentpunkte zu sichern. Die Rechnung ging auf; die HDZ gewann die Wahl, Karamarko wurde Premierminister, musste dann aber wegen einer neuerlichen Korruptionsaffäre schon nach einem halben Jahr wieder abtreten. Danach entspannte es sich allerdings nicht. Sein aktueller Nachfolger Andrej Plenković blieb der Gefangene der extremen Rechten, analysiert der Politologe Jović.
"Auch wenn er selbst dem, sagen wir, gemäßigten, zentristischen, pro-europäischen Flügel der Partei angehört, hat es Premierminister Plenković, der die HDZ ja führt, nicht geschafft, sich von diesem Narrativ zu distanzieren, das ja über Jahre gewachsen ist und zu einem zentralen Bestandteil der Identität der Partei geworden ist - und ganz Kroatiens, wenn die HDZ es führt."
Einen großen autoritären Umbau der Verfassung, wie in Ungarn oder in Polen, gibt es in Kroatien nicht – noch nicht, wie viele Kritiker meinen. Davor steht ein relevanter Teil der Bevölkerung, der hellhörig ist gegen autoritäre Tendenzen, aber auch ein relevanter Teil der Regierungspartei HDZ, der lieber nach Deutschland blickt als nach Ungarn oder Polen. Aber schon wurden kritischen Nichtregierungsorganisationen, ähnlich wie in Ungarn, die Mittel gekürzt oder gestrichen. Und spürbar ist die Rechtsentwicklung vor allem für die serbische Minderheit, beziehungsweise deren kleinen Rest, der im und nach dem Krieg geblieben ist. In der Rede vom nationalen Heldentum ist für Serben nur die Rolle des Feindes reserviert – es sei denn, sie geben ihre Identität auf, werden katholisch und deklarieren sich als Kroaten.
"Leider wird man sagen müssen: Ein guter Serbe ist nur einer, der keiner mehr ist."
Sagt bitter Milorad Pupovac, ihr Vertreter. Als der Zagreber Linguistik-Professor der Staatspräsidentin Kolinda Grabar Kitarović brieflich von den Angriffen, Demütigungen und Beleidigungen von Serben berichtete, gab das Staatsoberhaupt den Vorwurf ungerührt zurück an die bedrängte Minderheit. Dem Neujahrsempfang des Serbischen Nationalrats in Kroatien, eigentlich ein Pflichttermin für Sie,blieb die Präsidentin demonstrativ fern.
Rehabilitierung des Ustascha-Regimes
Schon als bedrohlich empfinden nicht nur Serben die nächste Eskalationsstufe des nationalen Extremismus: die Rehabilitierung des Ustascha-Regimes aus dem Zweiten Weltkrieg. Ursprünglich von Mussolini protegiert, dann, nach der Eroberung und Zerschlagung Jugoslawiens 1941, von Nazi-Deutschland an die Macht gebracht, hat das Regime einen, wenn auch ganz von Deutschland abhängigen, "unabhängigen" kroatischen Staat geschaffen und bis zu seinem Ende 1945 Serben, Juden und Roma verfolgt und ermordet, wahrscheinlich etwa 70 oder 80.000 allein im KZ Jasenovac. Dass die Ustascha Verbrecher waren, galt noch unter dem neuerlichen Staatsgründer Franjo Tudjman in den 1990-er Jahren als gesichertes Wissen.
Heute aber haben wichtige Teile der Gesellschaft das mörderische Regime für sich rehabilitiert – die meisten auf eine subtile oder wenigstens trickreiche Weise, wie der Historiker Tvrtko Jakovina erzählt:
"Ich nenne das 'deflective evasionism', ablenkende Vermeidungshaltung. Sie leugnen nicht, dass in Jasenovac etwas Schlimmes passiert ist. Aber dann kommt immer das große Aber: Das waren die anderen, oder, wir mussten das ja schon wegen der Deutschen tun, die Leute da waren Aufständische, sie waren selbst schuld, und am wichtigsten: Schaut mal, was da 1945 passiert ist! Heraus kommt eine vollständige Relativierung."

Doch damit nicht genug.
Ein Mann sucht den Namen eines Verwandten, der im Zweiten Weltkrieg im Konzentrationslager Jasenovac ermordet wurde.
Ein Mann sucht den Namen eines Verwandten, der im Zweiten Weltkrieg im Konzentrationslager Jasenovac ermordet wurde. (imago stock&people)
"Es gibt noch eine zweite Gruppe, die in den letzten fünf, sechs Jahren wesentlich lauter geworden ist und die auf große Unterstützung vor allem in kirchlichen Kreisen zählen kann, im Besonderen beim Bischof von Sisak und seinen engsten Mitarbeitern, und die die Geschichte vollkommen verdreht. Ihre Erzählung geht wie folgt: So gut wie niemand ist in Jasenovac umgekommen, das war ein reines Arbeitslager. Juden, soweit es sie gab, wurden nach Auschwitz gebracht; das lag dann in deutscher Verantwortung. Dann gab es welche, die sich gegen die kroatische Obrigkeit aufgelehnt haben. Wirkliche Opfer gab es erst ab 1945."
Was das bedeutet, illustriert der Historiker mit dem Vergleich zur deutschen Debatte um die Vergangenheitsbewältigung: Es ist nicht die AfD, es sind nicht einmal die Thesen eines Björn Höcke. Es ist purer Neonazismus:
"Analog hieße das mit anderen Worten: In Auschwitz ist niemand umgekommen. Alle Opfer wurden erst von den Sowjets umgebracht, als sie das Lager befreiten."
Merkzeichen für den Revisionismus ist der Gruß der Ustascha: Za dom spremni – für die Heimat bereit! – angelehnt an das Vorbild der Nazis.
"Dieser Gruß ist, völlig unzweifelhaft und ohne die leiseste Möglichkeit einer anderen Deutung, einzig und ausschließlich mit der Ustascha-Bewegung verbunden, einzig und ausschließlich vergleichbar mit dem deutschen Sieg Heil! und mit keinem anderen Gruß."
Radikale Revisionisten in der katholischen Kirche
Dass Jakovina solche radikale Revisionisten ausgerechnet in der katholischen Kirche ausmacht, die sich doch andernorts, etwa in Deutschland oder mit Papst Franziskus, dem nationalistischen Zeitgeist entgegenstellt, ist kein Ausreißer. Eher ein Symptom. Als die neue Nation nach dem Krieg ihre Unverwechselbarkeit zeigen wollte, war die Kirche zur Stelle. Mit Glauben, mit Nächsten- oder gar Friedensliebe hatte die Funktion nichts zu tun; allein um die Identität ging es. Ein Kroate ist katholisch; wer es nicht ist, gehört nicht dazu – auch wenn er, wie der im letzten Jahr verstorbene Zagreber Intellektuelle Slavko Goldstein, sein Leben lang hier gelebt, sich um die Unabhängigkeit des Landes verdient gemacht hat und nach der Lesart, wie sie noch zu Franjo Tudjmans Zeiten galt, sogar zu den Vätern der Nation zählt. Der Verleger und Essayist Nenad Popović:
"Niemand ist zu seinem Begräbnis gekommen, niemand von Staat, Republik, Parlament: null. Er hat ein Begräbnis zweiter Klasse bekommen. Er ist fast ein Adenauer - oder so jemand – für Kroatien gewesen. Und am Tag darauf kam natürlich ein Posting eines katholischen Pfarrers: Gott sei Dank ist der Jude tot."
Nenad Popović kennt dieselbe Kirche aus jugoslawischer Zeit noch ganz anders.
"Die katholischen Theologen waren die Angesehensten, angesehenste Intellektuelle. Nicht nur in Kroatien, auch in Serbien, auch unter Muslimen, waren sie sehr angesehen. Das war eine Kirche des Lichts, eine aufgeklärte, verlässliche Organisation, und die Caritas hatte ein ungeheures Ansehen."
Die Erinnerung macht deutlich, was sich geändert hat. Tatsächlich ist im neuen Kroatien nicht einmal der Pfarrer mit seiner Freude über den toten Juden ein echter Ausreißer; etliche seiner Kollegen lesen bis heute Messen für den Führer Ante Pavelić, den kroatischen Hitler. Was mit der versteinerten Erinnerung an den Krieg der Neunzigerjahre begann, erreicht mit der Rehabilitation eines historischen Massenmörders erst einen vorläufigen Höhepunkt. Dejan Jovic hat dazu einen einfachen Rat:
"Man müsste den Mut haben, kritisch auch über die kroatische Seite der Neunzigerjahre zu sprechen."
Man müsste.

[*] Anmerkung der Redaktion: In dieser Bildunterschrift haben wir ein falsches Datum korrigiert: Das Bild wurde im Jahr 2015 aufgenommen.