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Für Gott und Kroatien (5/5)
"Das ist Fake-Katholizismus"

Priester, Bischöfe und Kardinäle prägen das offizielle Bild der Katholischen Kirche in Kroatien. Aber viele Menschen sind mit dem nationalkonservativen Kurs der Geistlichen nicht einverstanden. Und versuchen, ihren Glauben nach eigenen Regeln auszuleben.

Von Dirk Auer | 20.04.2018
    Die zum Gebet gefalteten Hände eines Gottesdienstbesuchers in der Kathedrale von Zagreb
    "Jetzt ist es in Katholik zu sein", sagen Kirchen-Kritiker, "aber dieser Opportunismus, diese Oberflächlichkeit, dieser Mainstream – das ist doch alles Mist." (Imago)
    Das Büro von Ana und Otto Raffai ist ein ausgebauter Schuppen im Garten. Dort herrscht kreatives Chaos. Überall liegen Info-Materialien herum, an der Wand ist ein großer weißer Papierbogen gepinnt.
    Auf dem trägt Ana die nächsten Projekte ein: Eine Konferenz, ein Seminar für gewaltfreies Handeln im Mai, dann ein Workshop, ein Training – schnell hat sich das Jahr gefüllt, und die beiden Friedensaktivisten müssen mit den Terminen hin- und her jonglieren.
    Beide sind um die 60 Jahre alt und haben, noch zu Zeiten Jugoslawiens, in der kroatischen Hauptstadt Theologie studiert.
    "In meinem Studium habe ich noch vermittelt bekommen, dass Dialog in der Gesellschaft möglich ist. Daran glaube ich auch heute noch sehr stark. An einen Dialog zwischen Christen und Muslimen und zwischen Gläubigen und Atheisten. Weil ich erlebt habe, dass es immer auch eine gemeinsame Basis für den Menschen gibt."
    "Alles dreht sich um Richtlinien und Dogmen"
    Erlebt haben die beiden aber auch, wie schnell diese zerbrechen kann: durch Nationalismus – und den kriegerischen Zerfall Jugoslawiens Anfang der 90er Jahre. Als Reaktion darauf entschieden sie sich 1995, ihr Leben der Friedensarbeit zu widmen. Und das alles, ohne eine offizielle Funktion in der Kirche zu haben, wie Otto Raffai betont.
    "Die Kirche hier ist sehr starr, alles dreht sich um Richtlinien und Dogmen, nicht um die persönliche Verantwortung und das Engagement des Einzelnen. Als ob die universale Botschaft Gottes in einem Käfig eingeschlossen wurde."
    Und der Käfig, sagt Ana, das ist diese staatstragende Verantwortung, die so viele Priester vor sich hertragen.
    "Wenn ich den nationalistischen Priestern hier zuhöre, sorgen sie sich dauernd um das kroatische Volk, warnen vor dem Kommunismus und der Morallosigkeit. Der Glaube dient ihnen zur Markierung ihre nationalen Identität. Aber 'kroatischer Katholik ' – was heißt das eigentlich? Ich als Christ, ich sollte mich doch für jeden einsetzen – egal welcher Nation man angehört. Die Liebe zur Heimat, zur Nation darf nie größer sein als gegenüber den Menschen! Jeder ist dein Bruder."
    Und deine Schwester, fügt ihr Ehemann politisch korrekt hinzu.
    Durch den Garten führt ein Pfad rüber zum Wohnhaus. Zur Familie Raffai gehören auch drei erwachsene Kinder. Eine Freundin ist gerade zu Besuch. Es ist immer was los bei Raffais.
    Bild der Kirche wird vom nationalkonservativen Flügel bestimmt
    Auf dem Tisch liegt ein Text. Es ist eine Petition vom vergangenen Jahr. Darüber steht: Nicht in meinen Namen. Unterschrieben wurde sie von mehr als 2000 Gläubigen.
    "Die Petition wurde gestartet, weil wir finden dass es nicht geht, wenn im Namen unseres Glaubens einige Priester sogar Sympathien für das faschistische Ustascha-Regime aus dem Zweiten Weltkrieg zeigen. Das Regime beruht auf rassistischen Prinzipien. Und Rassismus kann man nicht mit dem Evangelium rechtfertigen. Nicht in meinem Namen!"
    Ob es was gebracht hat? Das öffentliche Bild der Kirche wird nach wie vor vom nationalkonservativen Flügel der Kirche bestimmt. Am Abend haben die beiden noch einen Termin in der Stadt, um einen ihrer neuen Workshops vorzustellen. Es ist ein Jammer mit unserer Kirche, sagt Otto Raffai nachdenklich. Denn eigentlich gäbe es heute, gut 20 Jahre nach dem Krieg, doch so viele Aufgaben:
    "Im Evangelium gibt es die Botschaft von Versöhnung und Verzeihen, aber sie wird von der Kirche nicht genutzt, um die Traumen des Krieges zu verarbeiten und zu überwinden."
    "Jetzt ist es in, Katholik zu sein"
    Ankunft im Haus für Menschenrechte, am Rand der Zagreber Innenstadt. Verschiedene politische Gruppen haben hier ihre Büros, es gibt einen großen Sitzungsraum, wo sich nach und nach etwa 20 Aktivisten einfinden.
    "Wir haben hier Organisationen kenngelernt, die sich wie wir für Frieden einsetzen. Oft waren es Atheisten. Aber sie engagieren sich für andere Menschen, und das hat mir die Augen geöffnet. Zusammen können wir etwas erreichen: Ich als Gläubiger, die anderen als Atheisten."
    Die Gruppe sitzt im Kreis zusammen, jeder stellt ein Projekt vor. Dann sind Ana und Otto Raffai an der Reihe: Sie planen einen Workshop zum gewaltfreien Schreiben. Wir wollen üben, erklärt Otto, mit einem Text auf ein gesellschaftliches Problem zu reagieren, die eigenen Meinung sollte klar sichtbar sein – aber auf eine nicht-aggressive Weise formuliert werden.
    Nach einer Stunde ist alles vorbei. In kleinen Gruppen steht man noch ein wenig zusammen. Es ist eine Gesellschaft, in der sich das Theologenpaar Raffai sichtbar wohl fühlt – und der beide näher sind als so manchen der neuen Katholiken.
    "Jetzt ist es 'in' Katholik zu sein. Aber dieser Opportunismus, diese Oberflächlichkeit, dieser Mainstream – das ist doch alles Mist. Wie die Leute sich gegenseitig fragen: 'Gehst du zur Messe?' Das ist Fake-Katholizismus."
    Ja, bekräftigt Otto, während er seine Jacke holt:
    "Der Katholizismus wurde zur Staatsreligion erhoben. Aber das darf nicht sein. Ich denke, dass ein Christ immer in Opposition zur Macht sein sollte. Wir engagieren uns für den Menschen, nicht für den Staat."