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Für Israel gibt es kein Jiftlik

Das Jordantal ist eines der ältesten Agrargebiete der Erde und extrem fruchtbar. Als Israel 1967 die Westseite des Jordantals besetzte, konfiszierte es auch große Flächen des palästinensischen Landes. Nach wie vor versucht die israelische Regierung, die Palästinenser von ihrem Land zu verdrängen.

Von Beate Hinrichs | 06.08.2011
    Es ist heiß und staubig in Jiftlik. Die Sonne brennt unbarmherzig auf Lehmhütten und Verschläge mit Wellblechdächern, auf Schafe im Schatten von Zeltplanen, die aus Säcken grob zusammengenäht sind. "Südzucker" steht auf einigen. In diesem Dorf im Jordantal leben 4000 Menschen - ohne richtige Häuser, ohne Strom und ohne Wasser, klagt Mohammed Njoum von der Union of Agricultural Work Committees, der Vereinigung palästinensischer Dorfkomitees in der Westbank.

    "Wenn Du in einem Dorf wohnst, hast Du ein Recht auf Wasser, Strom und medizinische Versorgung. Darum müssen sich die Behörden kümmern. Es ist ihre Aufgabe. Dieses Gebiet hier ist unter israelischer Verwaltung; Israel müsste also die Infrastruktur bereitstellen - aber nur, wenn es die Existenz des Dorfes anerkennt."

    Doch Jiftlik ist auf keiner israelischen Karte verzeichnet, sagt Mohammed Njoum. Das Dorf liegt im so genannten C-Gebiet, wie 60 Prozent der Westbank. Die Palästinenser hier unterstehen israelischer Militärherrschaft und Verwaltung.

    "Das Völkerrecht sagt ganz klar: Eine Besatzungsmacht darf die Einheimischen nicht vertreiben. Darum erkennt Israel die Dörfer hier nicht an. Denn wenn es diese Orte nicht gibt, können die Bewohner nicht verdrängt werden. Wenn hier israelische Bulldozer anrücken, dann zerstören sie kein Dorf, sondern nur einen nicht anerkannten Ort. Für Israel gibt es kein Jiftlik."

    Von einem Hügel aus hat man einen guten Überblick über das Tal, in dem Jiftlik liegt. Direkt daneben liegen israelische Siedlungen zwischen Palmenhainen, Gewächshäusern und Swimmingpools. Die Straße nach Jiftlik dürfen Israelis benutzen, aber nur solche Palästinenser, die im Jordantal registriert sind.

    Jede Verbesserung der Infrastruktur müssen die Palästinenser bei der israelischen Verwaltung beantragen: Wenn sie Häuser bauen wollen, Brunnen bohren, Wasserleitungen verlegen oder Straßen ausbessern. Die Genehmigungen dafür bekommen sie jedoch so gut wie nie.

    Darum sind die Familien weder an das Wasser- noch an das Stromnetz angeschlossen und wohnen in Hütten, die sich kaum von Vieh-Verschlägen unterscheiden. Gemauerte Behausungen walzt das Militär mit Bulldozern platt. Auf den Feldern sind bestimmte Düngemittel verboten, aus "Sicherheitsgründen", wie es heißt, und jüngst hat das Militär vorübergehend alle Trecker konfisziert - offiziell, um sicherzustellen, dass keines der Fahrzeuge gestohlen ist.

    In Jiftlik haben die Bewohner ein Dorfkomitee gebildet, um den israelischen Verdrängungsversuchen zu trotzen. Hussein A'idi, Chef des Komitees, erläutert weitere Probleme:

    "Die Gesundheitsversorgung ist miserabel. Wir haben hier eine Klinik der palästinensischen Regierung und eine von einer palästinensischen Gesundheitsorganisation. Aber die sind nur bis zwei Uhr nachmittags besetzt. Danach muss für jeden Schlangenbiss ein Krankenwagen aus Jericho oder Nablus kommen, und das kostet eine halbe Stunde Anfahrt und 150 Schekel, rund 30 Euro."

    Ein weiteres Hindernis stellt das israelische Militär den palästinensischen Bauern einfach vor die Tür, sagt Ahmed Sa'id:

    "Seit 2008 verteilt die Armee hier überall Zementblöcke, auf denen steht: "Schießgebiet. Zutritt verboten." Manchmal direkt vor unseren Häusern! Wir leben dann plötzlich im militärischen Sperrgebiet. Wenn jemand angeschossen wird, ist das unser Problem."

    Knapp ein Drittel des Jordantals ist mittlerweile als Militärzone ausgewiesen; weitere Flächen deklariert Israel als Naturschutzgebiet. Die Folge: Die Palästinenser können ihr Vieh nicht mehr zu den Weidegründen bringen und viele Felder nicht mehr bestellen.

    Für die fehlt ohnehin das Wasser. Denn Palästinenser bekommen keine Genehmigung, Brunnen zu bohren. Hier, auf einem Gurkenfeld, zeigen die Bauern ein altes Bohrloch, das kaum noch Wasser liefert. Die Brunnen in den jüdischen Siedlungen sind zehn Mal so tief - reich bewässert gedeihen dort üppige Trauben, Zitrusfrüchte und Palmen.

    Viele Einheimische verdingen sich hier als Tagelöhner, denn ihre eigene Landwirtschaft wird stranguliert - sie sollen aus dem fruchtbaren Jordantal in die dicht besiedelten A-Gebiete unter palästinensischer Kontrolle vertrieben werden.

    So wie den Menschen in Jiftlik geht es rund 20.000 Palästinensern in der Jordansenke. Die Vereinigung der Dorfkomitees und ihr deutscher Partner "medico international" helfen ihnen standzuhalten. Sie haben fantasievolle Lösungen gefunden, die ohne Genehmigung klappen: Eine Wasserleitung aus Plastikschläuchen, einfache Treibhäuser und Viehhütten, Bienenzucht für Bäuerinnen. Einen Teil des Geldes dafür steuert das Auswärtige Amt bei.

    Tsafrir Cohen koordiniert die Arbeit von medico international. Er betont: Hier eine Ernte zu ermöglichen, das ist gegen die israelische Übermacht schon ein Akt des Widerstands.

    "Das ist ganz offensichtlich, diese gesamten Ausschlussmechanismen der Besatzung sind hier wirklich so was von offensichtlich, dass jeder, der offenen Herzens hier reinkommt, einfach genau weiß, was die Besatzung darstellt eigentlich. Das ist die Besatzung in klein, und hier über dieses kleine konkrete Dorf und die konkreten Probleme die gesamte Problematik der israelischen Besatzung feststellen kann"