Archiv


"Für mich ist dieser Bundespräsident ein Secondhand-Bundespräsident"

Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Landtag von Thüringen, Bodo Ramelow, hält die Herausgabe der Antworten von Bundespräsident Wulff auf Medienanfragen für viel zu spät. Wulff setze seine Salamitaktik fort und sei ein Getriebener, der sein Amt nicht mehr ausüben könne. Ramelow kritisiert außerdem Wulffs Verhältnis zum Springer-Konzern, der ihn als Ministerpräsidenten "erst hoffähig geschrieben" habe und nun fallen lasse.

Bodo Ramelow im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: In den letzten Tagen war es etwas ruhiger geworden, rund um die Kredit- und Medienaffäre von Bundespräsident Wulff. Zwar debattierte gestern der Landtag in Hannover über offene Fragen, doch insgesamt hatte die Aufmerksamkeit nachgelassen. Das hat der Bundespräsident gestern Nachmittag selbst geändert, indem er über seine Anwaltskanzlei nun doch detailliert Fragen und Antworten zu der Affäre veröffentlichen ließ.

    [...]

    Mitgehört hat Bodo Ramelow, er ist der Fraktionschef der Linkspartei im Landtag von Thüringen. Guten Morgen, Herr Ramelow!

    Bodo Ramelow: Guten Morgen!

    Engels: Nun ist die Ankündigung also doch wahr geworden: Zahlreiche Fragen und Antworten von Journalisten sind im Netz. Sind Sie zufrieden?

    Ramelow: Überhaupt nicht. Er hat in dem Fernsehinterview gesagt, morgen wird das veröffentlicht, und dann hat er wieder das gemacht, was wir von ihm gewöhnt sind: Salamitaktik, abwarten und dann alles über die Anwälte laufen lassen. Im Kern nähert er sich ja dem eigentlichen Problem überhaupt nicht. Er hat kein Verhältnis zu den Dingen, die da alle eingetreten sind. Er hat einen Kredit genommen und er hat im niedersächsischen Landtag die Unwahrheit gesagt. Ich verstehe überhaupt nicht, warum er die Frau Geerkens nicht von Anfang an benannt hat. Ich verstehe überhaupt nicht, warum ein Kredit, bei dem er bis heute sagt, dass der völlig in Ordnung sei, wenn der in Ordnung war, wieso hat er ihn nicht damals schon transparent gemacht? Und mit Verlaub, das BW-Darlehen, da kann ich nur sagen: Ein Geldmarktdarlehen, das man nimmt, das ist ein übliches Geschäft unter Firmen. Das gibt es nicht für Hypothekendarlehen. Und dann setzt er sich in die Fernsehsendung und sagt, ich habe ja gar kein Hypothekendarlehen. Ja, er hat ein Firmendarlehen. Anders kann ich es ja nicht deuten, denn er hat ein mit 0,9 Prozent zur Verfügung gestelltes Geldmarktprodukt, das dann bedient wird, wenn er einen Geldabruf tätigt. Das ist in der Wirtschaft durchaus üblich, da sind dann auch die Zinskonditionen niedriger, aber die stehen für Privatkunden nicht zur Verfügung. Und wenn dann Bürger dieses Landes hören, dass eine staatliche Bank - die BW-Bank ist eine öffentliche Bank -, eine solche Bank einem Ministerpräsidenten oder einem Bundespräsidenten ein Geldmarktprodukt anbietet, das der Normalbürger nicht bekommen kann und das ungefähr der Hälfte dessen entspricht, was üblicherweise die Bürger an Zinsen für ihre Hypotheken zu zahlen haben, dann ist was faul im Staate Dänemark, und für mich ist dieser Bundespräsident ein Secondhand-Bundespräsident. Die Frage ist nur, in wessen Hand er mittlerweile die zweite Hand ist, denn es gibt noch eine zweite Seite. Die zweite Seite ist die Rolle des Springer-Konzerns bei der Angelegenheit, also nicht die Medien - die Medien gehen ihrer Aufgabe akkurat nach, das will ich ausdrücklich sagen. Aber dieser Springer-Konzern hat Herrn Wulff als Ministerpräsidenten quasi erst hoffähig geschrieben. Er hat die Privatseite ganz akkurat so begleitet, dass man sich schon gewundert hat, ob er sozusagen der Außendienstmitarbeiter des Springer-Konzerns ist, und dieser Springer-Konzern lässt jetzt diese Person Wulff so massiv fallen. Das wirft auch noch ganz andere Fragen auf, ob ein Bundespräsident noch die Souveränität hat und das Volk repräsentiert oder ob er eine bestimmte Gewogenheit haben muss, um bei einem bestimmten Konzern, ja, liebesdienerisch nett zu sein.

    Engels: Sie haben jetzt ungefähr in zwei Minuten noch mal die gesamte Affäre Wulff zusammengerollt. Dann wollen wir noch mal schauen, speziell darauf, dass es aber doch zumindest, wenn auch mit Verspätung, ein Fortschritt ist, dass es diese Publikation gibt, und wir haben Herrn Wulff zu Beginn noch mal gehört. Wenn man scheibchenweise Fragen kriegt, muss man eben auch mit der Beantwortung manchmal scheibchenweise sein. Das beeindruckt Sie gar nicht?

    Ramelow: Überhaupt nicht! Denn wenn die Frage kommt, kann er die Frage sofort veröffentlichen. Es sind ja Medienanfragen. Also wenn er sowieso das Gefühl hat, dass diese Fragen unangenehm sind, dann ist das Einzigste, was hilft, Öffentlichkeit. Und diese Fragen, von denen wir jetzt Kenntnis haben, die ich auch zum Teil wirklich seltsam finde - mich interessiert auch nicht mehr, ob er für 50 Euro ein Abendessen dazugelegt gekriegt hat oder anderes. Ich wundere mich eben nur noch, dass Hotelrechnungen von Fremden bezahlt werden. Bei mir ist das durchaus unüblich, ich zahle meine Rechnungen selber und ich hoffe, dass ich auch weiß, wenn ich im Hotel bin, wie abgerechnet wird, damit ich nicht später in Medien erfahre, dass irgendjemand für mich bezahlt hat. Also diese Dinge, die sich darum mittlerweile herumranken, haben mit dem eigentlichen Ausgangspunkt ja schon gar nichts mehr zu tun. Und das zeigt, dass Herr Wulff als Mensch nur noch ein Getriebener ist, und er kann dieses Amt nicht mehr ausüben, denn dann hätte er jede einzelne Frage sofort dokumentieren können und dann hätte die Bevölkerung gesehen, dass da auch ein unangenehmes Spiel getrieben wird. Aber dann wäre das Spiel zu Ende gewesen, weil es hätte keine weiteren Nachfragen mehr gegeben.

    Engels: Aber wenn man die Umfragen analysiert, dann ist in der Tat viel Vertrauen für Herrn Wulff verloren gegangen, aber breite Rücktrittsforderungen innerhalb der Bevölkerung werden ja nun nicht erhoben. Muss es nicht auch mal gut sein, hört man eben dort. Vielmehr: Müssen Sie sich da an die eigene Nase fassen?

    Ramelow: Na ja, ich habe ja gesagt, also mir wäre es lieber, wir würden nicht schon wieder einen Bundespräsidenten wählen. Als Herr Wulff gewählt wurde - ich bin ja Wahlmann gewesen in der Bundesversammlung, ich habe ihn nicht gewählt, ich habe damals für mich den Kommentar losgelassen, es wird der teuerste Frührentner, den Deutschland je bekommen hat. Ich habe leider recht behalten, denn irgendwann ist eine Verlängerung nicht mehr möglich. Selbst wenn er sich jetzt hinzieht bis zum Ende der Legislatur, seiner Legislatur, wird er der teuerste Frührentner sein. Ich fand das schon bei der Wahl unangenehm und nicht richtig. Ich denke, dass man heute die Frage aufwerfen muss, ob das Bundespräsidentenamt nicht eine neue Positionierung bekommen muss. In der Nachkriegsentwicklung war die Form der Bundesversammlung eine richtige Form. Es repräsentiert die Bundesländer und den Bundestag in der großen Bundesversammlung. Es ist sozusagen eine Repräsentationsversammlung des deutschen Volkes. Heute, glaube ich, wäre es besser, wir würden eine Direktwahl bekommen; dann muss aber das Bundespräsidentenamt auch erweitert werden für Bürgeraufgaben, sodass der Bundespräsident zum Beispiel für bundesweite Volksbegehren, das Amt selber auch, zuständig sein sollte, dass die Zulassungen von Volksbegehren über das Amt geregelt werden, oder ähnliche Geschichten. Also ich könnte mir eben mehr direkte Demokratie in Verbindung auch mit einem direkt vom Volk gewählten Bundespräsidenten vorstellen. Aber was ich nicht mehr akzeptieren kann, ist ein Bundespräsident ad personam, der von einem Konzern abhängt.

    Engels: Der Fraktionschef der Linkspartei im Landtag von Thüringen - vielen Dank an Bodo Ramelow.

    Ramelow: Bitte! - Gerne!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.