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Wulffs Antworten im Internet

Die Anwälte des Bundespräsidenten haben nun doch zahlreiche Antworten Christian Wulffs auf Journalistenanfragen ins Internet gestellt. Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Gero Neugebauer belegen diese, dass "beim normalen Menschen" der Eindruck der Vorteilsnahme ensteht. So etwas könne man nicht bloß formaljuristisch abwehren.

Gero Neugebauer im Gespräch mit Bettina Klein | 19.01.2012
    Silvia Engels: Nun also doch! Überraschend hat gestern die Anwaltskanzlei von Bundespräsident Christian Wulff im Auftrag des CDU-Politikers die Fragen und Antworten zahlreicher Journalisten rund um seinen Hauskredit und anderes veröffentlicht. Im Internet ist seit dem späten Nachmittag Material im Umfang von mehr als 240 Seiten nachzulesen. Ob und welche neuen Details dabei genau zutage gekommen sind, wird sich wohl erst nach intensivem Studium im Laufe des Tages zeigen. Es war ja tagelang von Beobachtern und Politikern aller Lager gefordert worden, dass Christian Wulff detailliert auf die Fragen rund um seinen Hauskredit antwortet. Gestern ist das ja nun geschehen, und meine Kollegin Bettina Klein hat gestern Abend mit dem Berliner Politikwissenschaftler Gero Neugebauer gesprochen. An ihn ging die Frage, für wie relevant er nach einer ersten Durchsicht das Ganze hält.

    Gero Neugebauer: Also erst mal hat man Schwierigkeiten, das zu ordnen. Viele Fragen werden wiederholt, manche gleiche Anfragen mehrfach ins Netz gestellt, in Antworten auf diese oder in Antworten auf jene verwiesen, und manches, was sozusagen dort steht, wird man sehr unterschiedlich lesen. Das heißt, jemand, der als Bankkunde mal einen Kredit gekriegt hat, wird bei dieser oder jener Sache "hoppla" sagen, und Steuerberater werden sagen, "ach nein". Aber wie gesagt, ich hatte den Eindruck, dass die relevanten Sachen schon darin sind, nämlich die Frage des Kredits, des ersten Kredits wie des zweiten, und dass nichts über Motive erklärt wird.

    Bettina Klein: Nehmen wir einen der Hauptkritikpunkte: der Kredit, die Umstände des Zustandekommens. Gibt es dazu denn substanziell neue Erkenntnisse jetzt?

    Neugebauer: Das ganze Problem beginnt ja damit, dass Herr Wulff zwar seinerzeit bedauert hat, dem niedersächsischen Landtag nicht erklärt zu haben, dass er diesen Kredit von Frau Geerkens hat. Aber wenn Sie sich die Entstehungsgeschichte des Kredits angucken: Herr Geerkens geht mit dem Ehepaar Wulff auf Immobiliensuche und Frau Geerkens erklärt, ach, geben wir ihm doch das Geld, aber nicht als einen Kredit, der getilgt werden soll, sondern auf den nur Zinsen gezahlt werden. Und da frage ich mich: Warum erzählt der Wulff so was nicht bereits im niedersächsischen Landtag? Da muss er doch irgendwie schon das Kribbeln zwischen den Schulterblättern gehabt haben.

    Klein: Und das geht aus diesen E-Mails jetzt hervor, was Sie gerade genannt haben?

    Neugebauer: Nein, das geht da nicht hervor. Es geht nicht aus den E-Mails hervor, dass an irgendeinem Punkt Herr Wulff das Gefühl gehabt haben musste, jetzt geht es ein bisschen vielleicht zu weit. An einem Punkt würde ich ihm das zugestehen, nämlich als er diesen rollierenden Geldmarktkredit in ein Hypothekendarlehen mit einem schlechteren Zins umwandelt, ohne dass es dafür eine Erklärung gibt. Denn die Bank sagt, mit uns hat er darüber nicht gesprochen. Das ist für mich nicht erklärbar, und natürlich ist ein Ministerpräsident zugleich der oberste Wirtschaftsförderer seines Landes. Und dann ist es auch okay, wenn er Beziehungen zu Unternehmen und Unternehmern hat. Das ist dann alles dienstlich. Aber wenn er dann bei einigen dieser Unternehmer privat erscheint und Urlaub macht, nicht einmal übernachtet für weiß der Teufel wie viel wenig Euros oder viel, dann ist das auf einmal privat. Aber dieses Private ist auch politisch, und das sieht er nicht.

    Klein: Wenn wir noch mal bei diesen E-Mails bleiben. Was ist denn Ihrer Meinung nach überhaupt lesens- oder erwähnenswert daraus?

    Neugebauer: Die breit gefächerte Neugier der Journalisten, die allerdings - und das muss man sagen: Es sind ja nur die Journalisten-Mails; es sind ja nicht die Mails und Anfragen von Privaten. Da steht ja vielleicht auch noch was anderes drin. Aber da die Journalisten hier gefragt sind, sagen wir es mal so, ist es so: Das ist das Breite, aber das sich dann immer wieder konserviert. Wenig Raum finden diese Fragen, hat da nun irgendein Autor Geld von der Union gekriegt und da weiß Herr Wulff nichts davon, oder auch manche Urlaubssachen finden auch wenig Berücksichtigung, ebenso diese Herauf- und Herabstufung von Meilen oder das Besser-Sitzen in Flugzeugen. Ich glaube, das hat auch mancher Journalist vielleicht schon erlebt, dass er dann auf einmal nach vorne gebeten wurde, weil es hinten zu voll war, oder er denen angenehm erschien. Aber das meiste konzentriert sich in der Tat auf die Geldfrage, und zwar immer in einem Kontext, von dem man sagen kann: Wieso hat er eigentlich nicht vermuten müssen, dass beim normalen Menschen der Eindruck entstehen muss, hier ist eine Vorteilsnahme, oder hier wird ein Vorteil gewährt. Das kann man dann nicht mit formaljuristischen Sachen abwehren, indem man sagt, das hat er nicht in seinen Bezug aufs Amt gesetzt, oder der entsprechende Paragraf fünf des niedersächsischen Ministergesetzes spricht nicht davon, dass es sich um ein Geschenk handeln könnte.

    Klein: Wenn wir das Ganze jetzt einordnen in Bezug auf die Vorgänge der vergangenen Wochen, die als Affäre Wulff bezeichnet werden, inwiefern bringt es uns weiter, dass wir diese Fragen und Antworten jetzt nachlesen können?

    Neugebauer: Wer sich die Mühe macht, das zu systematisieren - und die Dinge sind teilweise sehr unsystematisch reingestellt -, der wird darauf kommen, dass man sagt, es gibt in der Tat wohl kaum einen Anlass zu sagen, hier liegen Dinge von strafrechtlicher Relevanz vor. Aber es gibt schon Dinge - und ich bin in dem Sinne kein Jurist, dass ich das so beurteilen kann -, aber es gibt schon Dinge, die ein Geschmäckle haben. Aber was eben auffällt, ist: Der ganze Komplex, der dazu geführt hat, dass Wulff in Misskredit geraten ist, dass er nämlich angefangen hat, sein Amt einzusetzen, um seine Interessen als Privatperson zu schützen, beispielsweise Inhalt der Ansage auf der Mailbox von Herrn Diekmann, oder der Inhalt der Gespräche, das wird hier alles überhaupt nicht und wenn, dann nur mit dem Hinweis thematisiert: Das ist privat und darüber reden wir nicht. Und solange das nicht offen ist, muss auch der Verdacht weiterhin bestehen bleiben, dass Herr Wulff an einem bestimmten Punkt angefangen hat, das Amt für sich einzusetzen und damit das Amt zu beschädigen.

    Klein: Abschließend, Herr Neugebauer: Er hat ja damit auf jeden Fall ein Versprechen eingelöst und die versprochene Transparenz hergestellt. Bringt das dem Bundespräsidenten Glaubwürdigkeit zurück?

    Neugebauer: Wenn man das so formal sieht, ja - mit reichlicher Verspätung und immer auch noch nicht ganz uneingeschränkt, weil eben noch nicht alles veröffentlicht ist. Aber ich halte das schon gar nicht mehr für das Entscheidende, weil nicht die Transparenz, die ja auch mehr oder weniger durch den öffentlichen Protest erzwungen worden ist, ist das Relevante, sondern die Fragen, warum, mit welchen Interessen unternimmt er bestimmte Dinge und ist nicht in der Lage, sie auch heute noch so aufzuklären, dass man sagen kann, okay, dir sei verziehen.

    Engels: Der Politikwissenschaftler Gero Neugebauer im Gespräch mit Bettina Klein.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.