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Fukushima ist weit weg

Kalifornien schaut besorgt in Richtung Westen - die Bewohner fragen sich, ob das, was Japan gerade erlebt, auch in Kalifornien passieren könnte. Zwei Atomkraftwerke stehen in einem Erdbebengebiet.

Von Kerstin Zilm |
    Die kalifornische Senatorin Barbara Boxer erwartet Antworten von der US-Atomregulierungsbehörde NRC. "Wie sicher sind unsere Kernkraftwerke?" fragt sie in einem Brief an den NRC-Chef Gregory Jaczko. In einer Anhörung von Mitarbeitern der Behörde vor dem Senat forderte Boxer schnelles Handeln:

    "Ist dies nicht eine Warnung? Sollte es uns nicht nachdenklich stimmen, dass es ein Erdbeben der Stärke 9,0 gab, wo es niemals erwartet wurde? Sollten Sie als Verantwortlicher nicht sagen, dass Sie keine Genehmigungen mehr erteilen werden, bevor die Kraftwerke nicht nach neuesten Erkenntnissen nachgerüstet wurden, besonders die in Erdbebenregionen und die alten Kraftwerke? Ist das zu viel verlangt?"

    Sichtlich aufgebracht verweist die Senatorin aus Kalifornien auf die Verantwortung der Behörde NRC. In der Tat ist die Bundesbehörde in Washington zuständig für die Atomkraftwerke in den USA, die bereits in Betrieb sind, sie entscheidet über Wartung und Sicherheitsstandards. Zwar können die einzelnen Bundesstaaten wie auch Kalifornien den Bau neuer Kraftwerke verzögern, die letzte Entscheidung aber fällt die oberste Behörde in Washington.

    Deren Chef, Gregory Jaczko versucht, die besorgte Senatorin zu beruhigen: beide Kraftwerke in Kalifornien seien sicher und rund um die Uhr überwacht von Inspektoren.
    "Wir werden sehr ernsthaft prüfen, was in Japan passiert ist. Wenn wir die Information bekommen, dass es Sicherheitsprobleme gab, werden wir sofort handeln. Wir machen uns dieselben Sorgen, wie Sie. Unsere Aufgabe ist es, für die Sicherheit der US-Bürger zu sorgen."

    Einigen Kaliforniern wird in diesen Tagen bewusst, dass es auch bei ihnen zu einer atomaren Katastrophe kommen könnte - wegen der zwei Atomkraftwerke am Pazifik, die sich in einem Erdbebengebiet befinden. Sie haben sich mit Jodtabletten eingedeckt und Notfallausrüstungen für Erdbeben gekauft. Doch zwei Wochen nach dem Unglück in Japan und neuen Schlagzeilen, die die Nachrichten bestimmen, ist auch im Westküstenstaat die erste Aufregung verebbt. Nicht anders am AKW in San Onofre, an der Südspitze eines wild-romantischen Strands mit hohem Kliff, hellem Sand und Blick auf scheinbar endloses Meer. Niemand demonstriert vor den Toren des Kernkraftwerks. Im Gegenteil, im Schatten der Kühltürme genießen Surfer und Angler einen paradiesischen Tag in Kalifornien:

    "Ich mach mir keine Sorgen deswegen. Ich denk nicht mal drüber nach. Es ist wie mit den Haifischen - sie sind da, aber was soll's? Ich geh gerne surfen, ein Sport, der Spaß macht."

    "Es ist ein guter Ort zum Angeln. Wenn es eine Tsunami-Warnung gibt, geh ich natürlich nicht an den Strand mit dem Atomkraftwerk, aber an einem sonnigen Tag wie diesem - warum nicht?"

    Fünf Kilometer vom Kraftwerk entfernt - im Küstenort San Clemente. Hier haben sich rund drei Dutzend Bewohner zu einer Stadtratsitzung versammelt. Sie sind weniger sorglos als andere ihrer Landsleute und äußern ihre Bedenken: mehr als sieben Millionen Menschen lebten im 50-Kilometer-Umkreis des Kraftwerks, sagen sie, es gebe nur eine Evakuierungsstraße. Und im hiesigen AKW habe es Pannen mit Generatoren und rostigen Rohren gegeben.
    Doch auch die Bewohner San Clementes tragen ihre Einwände in ruhiger Form vor, niemand wird laut, alle halten sich an die drei Minuten Redezeit und als die Bürgermeisterin einen Aktionsplan verspricht, gibt es höflichen Applaus.

    Gary Headrick leitet die Umweltschutzorganisation Sanclementegreen. Er fordert für die USA den Ausstieg aus der Atomenergie.

    "Unser Kraftwerk hat die schlechteste Sicherheitsbilanz der USA, wir sind zehnmal schlechter als der Standard. Wir müssen in erneuerbare, sichere Energie investieren. Wir wollen Deutschlands Vorbild folgen. Sie machen es richtig!"

    Ein Ausstieg aus der Atomkraft wäre nicht einfach für Kalifornien. Erstens, weil Washington über die Zukunft bestehender Anlagen entscheidet. Und zweitens, weil der Bundesstaat fast fünfzehn Prozent seiner Energie aus der Kernkraft bezieht. Die Betreiber der Kraftwerke, die die Modernisierung ihrer Anlagen bezahlen müssten, versichern unterdessen, dass diese sicher seien. Auch Steven Conroy, Sprecher des Stromunternehmens Southern California Edison, Betreiber des Kraftwerks in San Onofre:

    "Die Anlage ist sicher. Wir haben zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen. Mehrere Reserve-Generatoren. Wir wissen, dass es hier eine Erdverwerfung gibt, unser Kraftwerk kann allem standhalten, was von dort ausgelöst werden könnte."

    Doch mit Umweltschützer Gary Headrick glauben viele, dass die AKW-Betreiber nicht ausreichend in notwendige Modernisierung investiert haben und dass die US-Atomregulierungsbehörde zu nachlässig inspiziert. Die kritischen Stimmen aber werden weniger. Von Tag zu Tag. Die meisten Kalifornier sind bereits wieder zur entspannten Tagesordnung zurückgekehrt.

    "Viele, die lange neben so etwas leben, akzeptieren das Risiko, stumpfen ab, sind desensibilisiert. Manche wissen nicht mal, warum diese Kuppeltürme da stehen. Unwissenheit ist ein Segen!"