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"Fumifugium" vor 360 Jahren
Eine der frühesten Schriften über Luftverschmutzung

Pestilenzartiger Gestank und Rauchschwaden, die durch jede Ritze dringen: So beschrieb John Evelyn die Luftverschmutzung im London des 17. Jahrhunderts. Er schlug vor, die größten Dreckschleudern aus London zu verbannen und rund um die Stadt Felder mit Duftblumen anzulegen.

Von Irene Meichsner | 01.05.2021
    Historische Zeichnung der City of Westminster, einem Stadtbezirk von London, mit der der Themse im 17. Jahrhundert
    Historische Zeichnung der City of Westminster, einem Stadtbezirk von London, mit der Themse im 17. Jahrhundert (IMAGO/imagebroker)
    "Es ist dieser entsetzliche Gestank, den der Reisende schon meilenweit entfernt riecht, wenn er sich London nähert, (und der die ganze Stadt besudelt). Es ist dieser furchtbare Rauch, der unsere Kirchen vernebelt, unsere Kleidung beschmutzt und die Gewässer verfaulen lässt. Er überzieht die Wände mit einem gelblichen, schwefelhaltigen Film, er tötet unsere Bienen und Blumen, und er lässt die wenigen, kümmerlichen Früchte, die überhaupt heranreifen, unangenehm bitter schmecken."
    "Fumifugium oder Von den Unannehmlichkeiten, die mit der verrauchten Luft in London einhergehen, nebst einigen Vorschlägen, dagegen Abhilfe zu schaffen" – so lautet der Titel einer der frühesten Schriften zum Thema Luftverschmutzung. Der Autor war John Evelyn, ein englischer Architekt und Gartenbauer. Im Vorwort seines knapp 40 Seiten langen Pamphlets schrieb er am 1. Mai 1661, von den üblen Dünsten regelrecht angewidert:
    "Dass diese glorreiche und altehrwürdige Stadt, deren Machtbereich sich bis zu den entferntesten Punkten der Erde erstreckt, ihr vornehmes Haupt in Wolken von Rauch und Schwefel hüllen soll, missbillige ich zutiefst."

    London im Kontrast zu den schönen Städten der Zeit

    Evelyn, der 1620 in Wotton in der Grafschaft Surrey zur Welt kam, stammte aus einer Familie, die durch die Herstellung von Schießpulver reich geworden war. Als 1642 der englische Bürgerkrieg ausbrach, ging er, ein überzeugter Royalist, für einige Jahre ins Ausland. Evelyn war begeistert von Städten wie Rom, Florenz und Paris – und umso bestürzter, als er 1652 nach London zurückkehrte und sah, welchen vergleichsweise traurigen Anblick die Stadt bot.
    "Die Häuser – dicht gedrängt, kein Schmuck, keine Pracht. Und dann dieser pestilenzartige Qualm, an einem nebligen Tag ist es wie die Hölle auf Erden."
    Blick auf eine Dorfstraße in Feldheim (Brandenburg) Auf der Straße fährt ein LKW, links schmucklose grau-braun gestrichene Häuser, im Hintergrund die Windräder eines Windparks.
    Luftverschmutzung - Saubere Luft reduziert rasch Gesundheitsrisiken
    Schon einfache Maßnahmen zur Reduzierung der Luftverschmutzung führen schnell zu enormen gesundheitlichen Verbesserungen für die Bevölkerung. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der amerikanischen Thoraxgesellschaft.
    Als Karl II. 1660 wieder auf den Thron zurückkehrte, war Evelyns Erleichterung groß. In seinem "Fumifugium", dem er eine Widmung an den Monarchen voranstellte, schlug er eine Reihe von konkreten Maßnahmen vor, wie sich die Lage in London verbessern ließe. Als Erstes müssten die größten Dreckschleudern aus der Stadt verbannt werden. Evelyn dachte dabei vor allem an die Brauereien, Salz- und Seifensiedereien, die Kalkbrennereien und Färbereien, die mit ihren Kohleöfen den größten Teil der Ruß-Emissionen verursachten.
    "Wir können auch noch die Kerzenmacher und Metzger hinzunehmen, wegen des scheußlichen Gestanks, den der Talg und das verdorbene Blut verbreiten. Zumindest sollte kein Vieh mehr in der Stadt geschlachtet werden dürfen."
    In einem zweiten Schritt sollten rund um die Stadt Felder mit den wohlriechendsten Pflanzen angelegt werden – Rosen, Jasmin, Zimt-Himbeeren, Wacholder, Lavendel und Rosmarin. Diese Düfte sollte der Wind dann in die Stadt hineintragen, die Evelyn mit weiteren Gärten, Blumenbeeten und Parkanlagen geschmückt sehen wollte.

    Luftverschmutzung als Metapher?

    Möglicherweise ging es ihm dabei aber gar nicht nur um die Lösung eines Umweltproblems. Der britische Historiker Mark Jenner liest das "Fumifugium" auch als eine politische Allegorie. Der dunkle Rauch, der London einhülle, sei eine Metapher für die politische Unordnung in der Zeit des sogenannten republikanischen Interregnums. Und die Aussicht auf saubere Luft ein Symbol für die Erneuerungskraft durch die wiederhergestellte Monarchie. Auf den König habe Evelyn damit die Rolle einer Heldengestalt projiziert, fast wie ein Messias.
    "Mit dem ‚Fumifugium’ eröffnete er dem König die Möglichkeit, sich selber mit einem solchen Anschein der Glorie zu umgeben."
    Immerhin, die Aufmerksamkeit, die Evelyn mit seinem Appell erzielte, reichte, um ihm einen Posten als Beauftragter für die Verbesserung der Londoner Straßen einzubringen. Auf seine Anregung hin wurden in den königlichen Parkanlagen mehr Bäume angepflanzt. Im September 1666, nur sechs Tage nach dem "Großen Brand von London", bei dem vier Fünftel der City durch eine Feuersbrunst zerstört wurden, legte er einen Plan zum Wiederaufbau der Stadt vor – ohne damit jedoch durchdringen zu können. Schließlich wandte sich Evelyn, der 1706 starb, anderen Themen zu. Mit seinem "Fumifugium" hinterließ er ein einzigartiges Dokument, das auf drastische Weise vor Augen führt, unter welchen katastrophalen Bedingungen Menschen damals lebten.