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Fußball in Nahost (8)
Der Mythos der Gleichberechtigung

Katar will sich die als weltoffen und tolerant präsentieren. Deutlich wird das auch im Sport: Das Emirat will Mädchen und Frauen fördern, zumindest offiziell. Doch wie glaubwürdig ist diese Offensive in der patriarchalen Gesellschaft?

Von Ronny Blaschke | 04.12.2022
Nationalspieler Serge Gnabry spielt gegen eine lokale Auswahl junger Frauen und Mädchen in Katar.
Nationalspieler Serge Gnabry spielt gegen eine lokale Auswahl junger Frauen und Mädchen in Katar. (picture alliance / dpa / Federico Gambarini)
In einer Shoppingmall von Doha betreibt Fatma ein Studio für Kampfsportarten. Doch ein Foto von ihr darf nicht auftauchen. Nicht im Eingangsbereich, nicht im Internet. Ihr Vater und ihre Brüder wollen das so. „Ich muss immer im Hintergrund bleiben, das schmälert meinen Stolz“, sagt Fatma. „So geht das schon lange: Ich wurde als Spielerin mehrfach für das Fußball-Nationalteam angefragt. Aber dort gibt es Kameras. Mein Vater will nicht, dass ich beim Sport gefilmt werde. Er glaubt, dass ich damit zur Schau gestellt werden würde.“
In Fatmas Heimat, in Katar, prägt der Wahhabismus die Gesellschaft der Einheimischen. Ähnlich wie in Saudi-Arabien, es handelt sich um eine konservative Auslegung des sunnitischen Islam. Doch es gibt liberale Rückzugsorte. Fatma studiert an einer amerikanischen Universität, die in Doha eine Außenstelle unterhält. Viele katarische Frauen verzichten hier auf die Abaya, die traditionelle Bekleidung, die auch das Haar bedeckt. Eine Karriere im Fußball bleibt Fatma dennoch verwehrt.
Sie sagt: „Bei den Spielen in unserer Fußballliga dürfen keine Männer zuschauen. Es geht wie auf einem Flughafen zu. Kameras und Handys sind nicht erlaubt. Meist verhindern die Eltern sehr früh, dass ihre Töchter trainieren. Sport gehört eigentlich zum Unterhaltungssektor. Aber wenn man nicht filmen darf und keine Zuschauer zulässt, dann können wir als Frauen nicht weit kommen.“

Botschafterin gegen Stereotype

Der Sport ist in Katar ein Sinnbild für die Stellung der Frau. Häufig müssen sie die Erlaubnis eines männlichen Vormunds einholen. Zum Beispiel, wenn sie heiraten oder in einem öffentlichen Job arbeiten wollen. Gesetze des Staates, die in weiten Teilen der patriarchalen Gesellschaft auf Zustimmung stoßen. Die Regierung will sich als tolerant präsentieren. Aus diesem Grund organisiert Katar ein Sportereignis nach dem nächsten. Zum Beispiel die Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Doha 2019.
Damals auch mit dabei: die katarische Hürdenläuferin Mariam Farid. Sie sagt: „Nach meinem Rennen kamen zwanzig Journalisten auf mich zu, die meisten aus dem Westen. Sie haben nur darüber berichtet, dass ich von ,Kopf bis Fuß verschleiert‘ bin. Viele Leute in Europa halten uns vor, dass der Nahe Osten verschlossen ist und dass wir uns öffnen sollen. Doch dieselben Leute wollen Signale des Fortschritts nicht anerkennen. Aber ich werde mich weiter dafür einsetzen, Stereotype zu brechen.“
Die katarische Hürdenläuferin Mariam Farid bei der Leichtathletik-WM in Doha 2019.
Die katarische Hürdenläuferin Mariam Farid bei der Leichtathletik-WM in Doha 2019. (imago images / Chai v.d. Laage / CHAI via www.imago-images.de)
Mariam Farid will sich nicht auf das Image der „unterdrückten Frau“ reduzieren lassen. Auf Instagram lässt sie mehr als 100.000 Follower an ihrem Alltag teilhaben. Sie weiß, welche Fragen von Journalisten aus Europa kommen könnten.  „Ich spreche es laut aus: Ich bin stolz darauf, dass ich meine Wettbewerbe mit dem Hidschab bestreite. Früher habe ich im Sport darauf verzichtet, aber ich habe mich nicht so wohl gefühlt. Durch den Hidschab fallen mir die Haare nicht ständig ins Gesicht. Und außerdem ist meine Schönheit dadurch nicht für jeden sichtbar.“

Fußballnationalteam als Alibi?

Die Geschichte des Frauensports in Katar ist jung. Erst 1998 organisiert der Leichtathletikverband erstmals einen größeren Wettkampf für Frauen. Zu jener Zeit gibt es noch keine Angebote für Mädchen, erinnert die katarische Sportfunktionärin Amna Al Qassimi: „Damals haben wir es nicht für möglich gehalten, dass Frauen irgendwann an großen Wettkämpfen teilnehmen dürfen. In unserer Kultur war es üblich, dass Mädchen entweder zu Hause oder in der Schule Sport treiben. Das war’s.“
Anfang des Jahrtausends bringt Musa bint Nasser al-Missned, die zweite Ehefrau des damaligen Emirs, die Gründung des Frauen-Sportkomitees auf den Weg. Diese Organisation soll sich „für die Gleichstellung der Geschlechter im Sport“ einsetzen. Das große Ziel Katars ist schon damals die Ausrichtung der Fußball-WM der Männer. Doch für einen Zuschlag der Fifa müssen Bewerber auch die Frauenförderung nachweisen.
2009 wird in Katar eine Fußball-Auswahl der Frauen gegründet. Im Oktober 2010 bestreitet sie ihr erstes Länderspiel. Anderthalb Monate später wird die Männer-WM nach Katar vergeben. Amna Al Qassimi, die Geschäftsführerin des Frauen-Sportkomitees, erinnert sich: „Am Anfang war das ein Schock für uns. Wir haben spät im Frauenfußball begonnen, also hatten die anderen Nationalteams einen Vorsprung. Wir haben in Katar eine Frauenliga aufgebaut und mit dem Nationalteam einige Länderspiele bestritten, zum Beispiel gegen Afghanistan, die Malediven und Palästina.“

Neue Fitnessstudios für Frauen

Doch lange Zeit ist das Nationalteam kaum aktiv und wird auch nicht in der Weltrangliste der Fifa geführt. Die Aspire-Academy, eines der größten Sportzentren der Welt, konzentriert sich auf die Förderung von männlichen Talenten. Das Frauen-Sportkomitee ist wesentlich schlechter ausgestattet.
Studien aus anderen Ländern des Nahen Ostens zeigen: Regelmäßiger Sport kann bei Frauen zu mehr Selbstbewusstsein und zu einer gesellschaftlichen Teilhabe führen. Susan Dun von der Northwestern University in Doha glaubt, dass in Katar ein Wandel angestoßen wurde: „Als ich zum ersten Mal nach Katar kam, gab es kaum Aktivitäten für Frauen. Die am meisten verbreitete Betätigung für sie war das Gehen. Inzwischen haben viele Fitnessstudios für Frauen geöffnet. Es gibt Yoga und Spinning. Es werden Radwege gebaut. Auch für Sportkleidung und Geräte sind Angebote gewachsen.“
Ob die Jahre lange Vorbereitung auf die Fußball-WM zu mehr Gleichberechtigung im katarischen Sport führen kann? Das junge Frauen-Nationalteam jedenfalls spielt in der öffentlichen Debatte kaum eine Rolle.