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Fussball-WM
"Für Brasilien wird es noch einige schmerzhafte Erkenntnisse geben"

Für Brasilien sei die Bilanz der WM - nicht nur in sportlicher Hinsicht - sicher sehr nüchtern ausgefallen, sagte der frühere FIFA-Marketingdirektor Guido Tognoni im DLF. Die umstrittene Hilfe der FIFA für den austragenden Staat bewege sich im "mikroskopischen Bereich" in ökonomischer Hinsicht.

Guido Tognoni im Gespräch mit Christine Heuer | 14.07.2014
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    "Sepp Blatter wird sich wieder herausschälen können", sagte Tognoni. (picture alliance / dpa / Diego Azubel)
    Tognoni sagte weiter, Sepp Blatter werde wahrscheinlich mit großer Mehrheit als Chef des Weltfußballsverbands im Amt bestätigt. Er sei an möglichen Korruptionsfällen nicht unmittelbar beteiligt gewesen. Falls nötig, werde Blatter wieder einige alte Verbündete fallen lassen. "Blatter ist klug genug, sich nicht die Finger zu verbrennen." Den Europäern falle nun die undankbare Aufgabe zu, einen Kandidaten zu finden, der ohne Siegeschance gegen Blatter antritt.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Wir schauen voraus. Nach der WM ist vor der WM. Die nächste findet in Russland statt, die übernächste soll in Katar stattfinden, was bekanntlich sehr umstritten ist, ebenso wie die FIFA. Der Weltfußballverband steht notorisch unter Korruptionsverdacht, beherrscht von einem alten Autokraten, der sich vor allem selbst an der Macht erhalten will. Das ist so das Bild, das die Öffentlichkeit von Sepp Blatter gewonnen hat.
    Über die FIFA, die nächsten Austragungsorte und Demokratisierungsversuche im Weltfußball möchte ich jetzt mit Guido Tognoni sprechen. Der Schweizer war über viele Jahre ein wichtiger FIFA-Mitarbeiter, zuletzt ihr Marketingdirektor und gilt seit seinem Ausstieg als einer ihrer wichtigsten Kritiker. Guten Morgen, Herr Tognoni.
    Guido Tognoni: Guten Morgen nach Deutschland.
    Heuer: Sie sind kein Freund mehr der FIFA. Haben Sie die WM und das Finale gestern trotzdem genossen?
    Tognoni: Ja. Ich habe die WM und das Finale sehr genossen. Die WM war am Fernsehen wirklich ein sehr gutes Ereignis: 64 Spiele ohne Zwischenfälle, 64 Spiele meistens mit guter Laune im Stadion, außerhalb der brasilianischen Kolonie natürlich, auch mit einem hoch verdienten Sieg der Deutschen, welche sich mittlerweile als Fußballnation Nummer eins auf der ganzen Welt etabliert haben, und ich denke, das könnte noch einige Jahre so sein.
    "Die Zahlenbilanz als solche ist ernüchternd ausgefallen"
    Heuer: In Brasilien werden nach dem WM-Ende wieder Proteste erwartet, weil viel Geld für die WM ausgegeben wurde, das den Menschen fehlt. Die FIFA hat auf der anderen Seite Milliarden verdient. Hat sie Brasilien benutzt? Hilft es einem Staat nicht, wenn er die Fußball-WM bekommt?
    Tognoni: Die sogenannte Hilfe für einen Staat, für einen Austragungsstaat, ist ja höchst umstritten und die bewegt sich jeweils im mikroskopischen Bereich in ökonomischer Hinsicht. Ob eine WM dann dem Staat psychologisch hilft, das kommt auch auf das Ergebnis drauf an. Für Brasilien ist das sicher sehr ernüchternd ausgefallen. Die Zahlenbilanz als solche ist ernüchternd ausgefallen mit den Milliarden-Investitionen, aber auch mit dem fußballerischen Ergebnis, weil Brasilien hat eigentlich aus fußballerischer Sicht eine katastrophale WM hingelegt. Brasilien ist eine Nation wie jede andere geworden in der Zwischenzeit, abgelöst von Nationen wie Deutschland, welche eben als Ganzes viel besser organisiert sind als dieses Land, was sich heute bei so einem Großprojekt wie einer WM auch im Fußball niederschlägt. Ich denke, für Brasilien wird es noch einige schmerzhafte Erkenntnisse absetzen, aber das kümmert die FIFA nicht mehr so groß. Die Karawane zieht weiter, das Augenmerk gilt es, Richtung Russland zu richten und später hoffentlich noch auch Richtung Katar.
    Heuer: Sie sagen "hoffentlich". Katar wird ja sehr kritisiert, es hat keine Fußballstruktur, es ist dort eigentlich zu heiß und es gibt den Vorwurf der Sklavenarbeit. Sollte die Katar-WM abgesagt werden?
    Tognoni: Einfach so kann man die WM nicht absagen. Nein, ich finde das nicht. Die Hitze ist ein Problem, aber das ist nicht das größte Problem. Dass Katar keine Fußballstruktur hat, das wusste man schon lange. Man hätte Katar aus diesem Blickwinkel nicht einmal als Kandidat zulassen dürfen. Was jetzt nun herauskommt bei der Untersuchung des FIFA-Untersuchungsrichters Michael Garcia aus den USA, das wird uns in den kommenden Wochen beschäftigen. Ich erwarte nun bald einmal nach der Rückkehr der FIFA die Publikation dieses Berichtes und ein Urteil des Richters aus Deutschland. Aber was danach daraus wird, muss man sehen: Ist es ein Fall Katar, ist es ein Fall FIFA, muss nochmals gewählt werden, muss nochmals durch wen gewählt werden? Das sind alles offene Fragen, welche die FIFA in nächster Zeit ziemlich intensiv beschäftigen wird.
    Blatter "wollte ja auch nicht Katar"
    Heuer: Es gibt einen Machtkampf in der FIFA. Josef Blatter möchte noch einmal antreten. Erste Frage dazu: Welche Folgen hätte das für die FIFA?
    Tognoni: Sepp Blatter, was auch immer da herauskommt, der wird sich wieder herausschälen können, weil er war ja nicht unmittelbar beteiligt, falls es zu Korruptionsfällen gekommen ist. Sepp Blatter ist klug genug, da sich nicht die Finger zu verbrennen. Er wollte ja auch nicht Katar, er wollte eher die USA, er hat nicht für Katar gestimmt. In dieser Hinsicht kann Sepp Blatter dem Treiben ziemlich gelassen zuschauen. Er wird ja nie ein Mann sein, der sagt, ich übernehme die Gesamtverantwortung für das, was geschehen ist, sondern er wird, wenn nötig, wieder einige ehemalige Verbündete fallen lassen und sich gestärkt fühlen in seiner Position als FIFA-Präsident.
    Heuer: Gegen Blatter in der FIFA machen sich ja seit einiger Zeit die Europäer stark. Frage an Sie: Sind die nicht selbst korrupt? Michel Platini hat für Katar gestimmt, Beckenbauer soll das auch getan haben, es gibt den Vorwurf, die WM 2006 sei gekauft worden. Will man da den Teufel mit dem Beelzebub austreiben?
    Tognoni: Nein, nicht unbedingt. Ich meine, wenn man von Michel Platini sprechen will - wäre er von den Katari bezahlt worden, wäre er sicher der Letzte, der zugegeben hätte, schon gleich nach der Wahl, dass er für dieses Land eingetreten ist. Es mag andere Gründe gegeben haben. Fußballerische Gründe können es nicht gewesen sein, das muss man auch wieder festhalten. Ich glaube auch nicht, dass Platini nochmals die gleiche Stimme abgeben würde. Näheres weiß man nicht, das war ja eine geheime Stimmabgabe. Dass diese Wahl nicht einfach so rund gelaufen ist wie ein Autokauf, das ist ganz klar. Was die Europäer betrifft, sie stellen sich gegen Blatter. Sie haben jetzt die undankbare Aufgabe, jemand zu finden, der sich für die Wahl, für eine hoffnungslose Wahl gegen Blatter zur Verfügung stellt, weil wenn nicht irgendwelche große Zwischenfälle passieren in den nächsten zwölf Monaten, dann wird Blatter mit einer ziemlich satten Mehrheit, vielleicht mit einigen Gegenstimmen aus Europa, wieder ein weiteres Mal gewählt, und da hat die UEFA einen sehr schwierigen Stand.
    Heuer: Guido Tognoni, ehemaliger Marketing-Direktor der FIFA, heute einer ihrer stärksten Kritiker. Ich danke Ihnen, Herr Tognoni, für das Gespräch.
    Tognoni: Gern geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.