Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Futbolpolitika - Fußball und Politik in Russland (12)
Staatsfußball von Putins Gnaden

Die von der russischen Regierung ausgerufene Dekade des Sports hat ihren Höhepunkt erreicht. Nach den Olympischen Spielen ging auch die Fußball-WM ohne Skandale über die Bühne. Während des Turniers hat sich Wladimir Putin selten im Stadionumfeld gezeigt. Dennoch stützt der Fußball seit Jahren seine Machtstrukturen.

Von Ronny Blaschke | 15.07.2018
    FIFA-Präsident Gianni Infantino und Russlands Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen im Vorfeld der Fußball-WM in Sotschi.
    FIFA-Präsident Gianni Infantino und Russlands Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen im Vorfeld der Fußball-WM in Sotschi. (imago / Tass)
    Die Abwicklung der Sowjetunion unter Boris Jelzin war chaotisch. Aufstände, Streiks, Privatisierungen. Die Wirtschaft schrumpfte um fünfzig Prozent. Oligarchen wurden reich, während die Bevölkerung verarmte. Korruption zog auch in den Fußball ein. Wo sich allein Spartak Moskau ohne enge Bindung an Staat schnell auf die freie Wirtschaft einlassen konnte.
    Neun Meisterschaften in zehn Jahren brachten dem Klub hohe Einnahmen aus der Champions League, sagt der Osteuropa-Experte Timm Beichelt von der Universität Viadrina in Frankfurt (Oder): "Gleichzeitig war es aber ein Verein, der sich der staatlichen Kontrolle dadurch irgendwo entzog. Das war in den 1990er Jahren okay unter Jelzin. Aber dann kam Putin und dann war es eben nicht mehr okay. Und gleichzeitig hat diese ganze Clique, die da an die Macht gekommen ist, viel aus Sicherheitskräften bestehend, denen hat auch nicht besonders gefallen, in welchem Zustand viele traditionsreiche Vereine in Russland waren. ZSKA ist ja ein Verein der Armee, und das hat zwischendurch wirklich dubiosen Leuten gehört. Und war auch von der Mafia mehr als durchdrungen. Und deshalb wurde da gewissermaßen aufgeräumt. Aber die Tage, in denen sich Spartak nur deshalb durchsetzen konnte, weil es westliche Devisen hatte, waren damit gezählt."
    Der russische Präsident Wladimir Putin (r) und Clemens Tönnies, Aussichtsratsvorsitzender des Bundesligavereins Schalke 04, halten ein Schalke-Trikot mit der Aufschrift des  Sponsors Gazprom.
    Gazprom sponsert den Bundesligisten Schalke 04. (dpa)
    1999 übernahm Putin die Regierung. Er profitierte von einem Wirtschaftsauschwung und steigenden Rohstoffpreisen. Die Sorge vor dem Machtverlust und der Wunsch nach globaler Anerkennung prägten sein Handeln. Sport hatte für ihn strategische Bedeutung. Der Staatskonzern und weltweit größte Erdgasproduzent Gazprom führte den Verein aus seiner Heimatstadt, Zenit St. Petersburg, in das europäische Spitzenfeld. Und übernahm auch Partnerschaften mit Schalke 04 und Roter Stern Belgrad, ebenso mit den internationalen Verbänden Uefa und Fifa.
    Der Osteuropa-Forscher Martin Brand sagt dazu: "Das Fundament für die Struktur ist erstmal, dass der Fußball in Russland nicht funktioniert als Markt. Das Zuschauerinteresse ist nun mal so gering, dass die Klubs weder aus Zuschauereinnahmen noch aus TV-Vermarktung signifikant Gelder generieren könnten. Da bot sich lange in den Neunzigerjahren die Privatwirtschaft an, also Oligarchen. Und nach und nach ist der Staat, beziehungsweise sind staatliche Unternehmen in diesen Fußball eingestiegen. Und aus meiner Sicht steht als übergeordnetes Interesse dahinter, den Staat und staatliche Unternehmen mit der Gesellschaft stärker zu verknüpfen."
    Abhängigkeit von staatlichen Konzernen
    Vor allem für eine effektive staatliche Kontrolle. Von den Einnahmen im russischen Vereinsfußball kamen zuletzt nicht mal fünf Prozent aus der Fernsehvermarktung, in Deutschland sind es etwa dreißig Prozent, in England fast die Hälfte. In Moskau und St. Petersburg begaben sich Klubs in die Abhängigkeit von staatlichen oder halbstaatlichen Konzernen. Energieriesen, Banken, Transportwesen.
    So verknüpfte der Kreml Stränge von Politik und Wirtschaft im vermeintlich unideologischen und Fußball, schreibt Timm Beichelt in seinem neuen Buch "Ersatzspielfelder". Darin geht es auch um die den Armeeklub ZSKA Moskau. Und dessen undurchsichtige Beteiligungen: "Ein Verein, mehrheitlich vermutlich auch im Besitz des Verteidigungsministeriums, der in die staatlichen Strukturen eingebunden ist. Die Leistung, die dadurch möglich wird: Der Verein kann das alte sowjetische Erbe, und die Sicherheitsstrukturen, die dieses sowjetische Erbe möglich gemacht haben, symbolisieren, bis in die heutige Zeit. ZSKA Moskau hat auch heute von der Ideologie und den Personen, die dahinter stehen, eine Sicherheitsstruktur gebundene Ausstrahlung."
    Im Russland unter Putin wurde ZSKA Moskau sechs Mal Meister, Zenit St. Petersburg vier Mal. Doch allein mit Seilschaften in den Metropolen lässt sich das größte Land der Welt nicht regieren. Russland besteht aus 85 "Förderationssubjekten". Republiken, Regionen, Gebiete – mit unterschiedlichen Glaubensrichtungen und Graden an Autonomie. Lokale Eliten wünschen sich Freiräume, im Gegenzug garantieren sie Loyalität.
    Sechs von 16 Erstligisten werden von ihren Regionalverwaltungen gestützt, erläutert Martin Brand, Mitherausgeber des Buches Russkij Futbol: "Zum einen kann man sich eine gewisse Eitelkeit und Prestigedenken von regionalen Gouverneuren vorstellen. Zum anderen aber stehen auch die russischen Regionen in einer Wettbewerbssituation. Und ich glaube, dass ein erfolgreicher Fußballverein in der ersten russischen Liga da sicherlich ein Aushängeschild ist, was sowohl die Region im Vergleich zu anderen hervorhebt. Aber auch, was der regionalen Verwaltung Zustimmung gibt von den Menschen in der Stadt oder der Region."
    Ägyptens Mohamed Salah mit Ramzan Kadyrov
    Ägyptens Mohamed Salah mit Ramzan Kadyrov (AFP/Karim Jaafar)
    Die Weltmeisterschaft dürfte die Machtverhältnisse festigen. In der Krisenregion Tschetschenien ließ sich der autokratische Präsident Ramsan Kadyrow im Umfeld des ägyptischen Teamquartiers feiern. Der WM-Spielort Kasan wurde in internationalen Medien als Tourismusattraktion beschrieben. Davon könnte auch die zugehörige Republik Tatarstan profitieren, die sich lange von Moskau abwenden wollte. Ob aber der Vereinsfußball insgesamt aufblühen wird? Es ist erst vier Jahre her, da war der FK Rostow fast bankrott, gezeichnet durch Missmanagement und Wirtschaftskrise.
    120 Jahre Fußballtradition
    Der Journalist und Osteuropa-Experte Thomas Dudek sagt dazu: "Und da sind auch viele Spieler abgesprungen. Es haben Leute gesagt: Wir konnten uns nichts mehr zu essen kaufen, vor allem die jungen Spieler. Die Rettung ist gekommen durch Witali Mutko, den damaligen Sportminister. Der hat gesagt: Es kann nicht sein, dass Rostow eine WM-Gastgeberstadt ist, aber demnächst keinen Profiverein hat. Man hat dann mit staatlicher Hilfe agiert, und ein paar reiche Leute mal gezwungen, in den Klub zu investieren oder einzuspringen."
    Russland blickt auf eine Fußballtradition von 120 Jahren. Ob Stalin, Breschnew oder Gorbatschow. Keiner der Staatsführer ist als leidenschaftlicher Anhänger dieser Sportart aufgefallen. Und doch hat sie vielen genutzt. Wladimir Putin hat das perfektioniert. Fußball als politisches Herrschaftszeichen – ohne dafür allzu oft ins Stadion müssen.