Sonntag, 28. April 2024

Treffen in Indien
Die Ergebnisse des G20-Gipfels

Ohne die Staatschefs von Russland und China fand in Indien der G20-Gipfel statt. Ein Ergebnis des Treffens: Der Staatenverbund bekommt Zuwachs. Der russische Angriffskrieg wurde nicht klar verurteilt.

10.09.2023
    US-Präsident Joe Biden, Indiens Premierminister Narendra Modi, Bundeskanzler Olaf Scholz und andere Teilnehmer des G20-Gipfels am Sonntag beim Besuch des Mahatma Gandhi Memorials in Neu-Delhi
    Beim Thema Ukraine fand der G20-Gipfel einen Formelkompromiss. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Kenny Holston)
    Die Staats- und Regierungschefs der führenden Industrie- und Schwellenländer haben beim G20-Gipfel in Indien über aktuelle Themen beraten. Vor allem die gegenwärtigen Kriege und Krisen standen auf der Tagesordnung.
    Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den wichtigsten Industrie- und Schwellenländern (G20) in jeweiligen Preisen im Jahr 2022 (in Billionen US-Dollar)
    Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den wichtigsten Industrie- und Schwellenländern (G20) in jeweiligen Preisen im Jahr 2022 (in Billionen US-Dollar) (Statista)

    Überblick

    Was hat der G20-Gipfel beschlossen?

    Indiens Premierminister Narendra Modi wollte sein Land mit dem G20-Vorsitz als Fahnenträger des globalen Südens profilieren. Greifbarstes Ergebnis ist die Aufnahme der Afrikanischen Union (AU) als neues Mitglied. Damit ist der Kontinent deutlich stärker in der G20 vertreten, bislang war nur Südafrika Mitglied. Die AU vertritt die Interessen von rund 1,3 Milliarden Menschen.
    Der Schritt war im Vorfeld als wichtiges Ziel eingestuft worden. Ende des Jahrzehnts werde ein Viertel der Weltbevölkerung in Afrika leben, eine junge Bevölkerung mit Wirtschaftschancen, sagte Christoph Heusgen, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. Es sei wichtig, dass das auch beim G20-Gipfel zum Ausdruck komme. Der AU gehören alle international allgemein anerkannten afrikanischen Länder sowie das völkerrechtlich umstrittene Land Westsahara an. Insgesamt sind es 55 Staaten.
    Ganz im Sinne Russlands ist der G20-Aufruf, die „unverzügliche und ungehinderte Lieferung von Getreide, Lebensmitteln und Düngemitteln/Zusätzen von der Russischen Föderation und der Ukraine“ zu gewährleisten. Moskau fordert für seinen Export von Agrarprodukten eine Lockerung der westlichen Sanktionen gegen Russland. In diesem Fall könnte auch das im Juli von Kremlchef Putin aufgekündigte Abkommen zur Verschiffung von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer erneuert werden. „Das ist notwendig, um den Bedarf in Entwicklungs- und den am wenigsten entwickelten Ländern, besonders denen in Afrika zu befriedigen“, heißt es im Dokument.
    Beim Klimaschutz wird lediglich ein alter Beschluss bekräftigt, mittelfristig „ineffiziente“ Subventionen für die klimaschädlichen fossilen Energieträger Kohle, Öl und Gas abzubauen. Die G20 betonen auch ihr Ziel, bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu werden - also nicht mehr Treibhausgase auszustoßen, als wieder gebunden werden können. Einschränkend heißt es, dabei seien „unterschiedliche nationale Gegebenheiten“ zu beachten. Hinzu kommt das Ziel, die Kapazitäten erneuerbarer Energien bis 2030 zu verdreifachen.

    Wo gab es keine Einigung?

    Der Krieg in der Ukraine kommt in der Gipfelerklärung vor. Aber: Die Politiker konnten sich nicht ausdrücklich auf eine Verurteilung der russischen Invasion in der Ukraine einigen – anders als noch beim G20-Gipfel in Indonesien im vergangenen Jahr. "Es gab unterschiedliche Ansichten und Einschätzungen der Situation", hieß es dazu in der Erklärung, die von Indiens Ministerpräsident Narendra Modi als Gastgeber verkündet wurde.
    Die G20 verständigten sich auf einen Kompromiss, in dem alle Länder unter Verweis auf die Charta der Vereinten Nationen (UN) aufgefordert werden, von Angriffen auf die territoriale Integrität oder Unabhängigkeit eines Staates abzusehen. Zudem wird der Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen als unzulässig bezeichnet.
    Auf dem G20-Gipfel auf Bali 2022 hieß es noch, dass es zwar auch unterschiedliche Meinungen gab, die meisten Länder Russland aber für den Krieg gegen die Ukraine verurteilten.

    Wie bewertet die Bundesregierung den Gipfel?

    Bei dem Treffen seien "viele, viele Dinge vorangebracht worden, die wichtig sind für die weitere Entwicklung der Welt", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Neu-Delhi. Als Beispiel nannte er das Thema Klimawandel. Hier sei die Staatengemeinschaft nicht zurückgefallen, sondern ambitioniert geblieben - mit einer guten Kooperation zwischen den Industrie- und Schwellenländern. Auch zu Fragen der weltweiten Finanzarchitektur seien positive Gespräche geführt worden.
    "Ich bin auch sehr froh darüber, dass erneut noch einmal sehr klare Bekenntnis gegen den Einsatz von Nuklearwaffen hier zum Ausdruck gebracht worden ist", sagte Scholz und zeigte sich zufrieden, dass eine gemeinsame Formulierung zum Krieg in der Ukraine gefunden wurde.

    Welche weiteren Reaktionen gibt es?

    Kritik kam von der Ukraine. Die Erklärung der führenden Industrie- und Schwellenländer zur russischen Invasion in der Ukraine sei "nichts, worauf man stolz sein könnte", teilt der Sprecher des ukrainischen Außenministeriums, Oleg Nikolenko, auf Facebook mit. Es sei klar, dass eine Teilnahme der ukrainischen Seite an dem G20-Treffen es den Teilnehmern ermöglicht hätte, die Situation besser zu verstehen.
    Der russische Außenminister Sergej Lawrow bezeichnete die G20-Gipfelerklärung indes als Erfolg für Moskau. Es sei dank der Geschlossenheit des „globalen Südens“, darunter Gastgeber Indien, gelungen, eine „Ukrainisierung“ des Gipfels zu verhindern, sagte Lawrow in Neu-Delhi. Vielmehr gehe es in der „ehrlichen und ausbalancierten“ Erklärung wieder um die Entwicklung der Schwellenländer innerhalb der G20.
    Die Sprache in der Abschlusserklärung sei „etwas schwächer als im vergangenen Jahr“, sagte Stefan Kroll vom Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung im Dlf. Es sei schade aus westlicher Sicht, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht verurteilt werde, aber er komme schon vor. Dies sei „durchaus ein Erfolg“. Ohne den Kompromiss bei den Formulierungen wäre die Abschlusserklärung nicht möglich gewesen.

    Warum fehlten die Staatschefs von Russland und China?

    Zwei Machthaber fehlten bei dem Gipfel. Gegen Russlands Präsident Wladimir Putin hat der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl erlassen. Außerdem wurde berichtet, Putin habe Angst vor Anschlägen. Der russische Machthaber hatte bereits beim Treffen der BRICS-Staaten gefehlt. Russland wurde in Neu-Delhi von Außenminister Lawrow vertreten.
    Die Abwesenheit des chinesischen Staatschefs Xi Jinping interpretierten Beobachter als gezielte Spitze gegen den Gastgeber Indien, mit dem China über Grenzgebiete streitet. US-Präsident Joe Biden sagte zu Xis Abwesenheit: "Es wäre schön, ihn hier zu haben, aber der Gipfel läuft gut". Xi ließ sich von Ministerpräsident Li Qiang vertreten.

    Verlieren die G20-Staaten in einer multipolaren Welt an Bedeutung?

    Aus Sicht von Christoph Heusgen, dem Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, ist es gut, dass die wirtschaftsstärksten Länder der Welt im Rahmen der G20 weiterhin blockübergreifend und Kontinente-übergreifend zusammenkommen, um die wichtigsten Fragen auf der internationalen Tagungsordnung zu besprechen.
    Gremien wie das Bündnis der BRICS-Staaten sieht er nicht als "Konkurrenzveranstaltungen" an. Das von Russland und China dominierte Bündnis hatte sich kürzlich erweitert. Dort fehlten aber die Industrieländer, sagte der frühere Politikberater von Angela Merkel. Bei den G7 seien nur demokratische Marktwirtschaften vertreten.

    tei, tha, dpa, Reuters